Schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist das Künstlerhaus in der Nürnberger Königstraße mit seiner wechselvollen Geschichte das erste Haus am Platz und bildet aus Richtung des Bahnhofs kommend den Eingang zur Altstadt. Hier – auf dem Gelände des ehemaligen Salzstadels – war immer schon Platz für Kunst und Kultur, bis heute hat sich daran nichts geändert. Seit nunmehr acht Jahren ist das im historistischen Stil erbaute Künstlerhaus, das um die Jahrtausendwende um einen gläsernen „Kopfbau“ erweitert wurde, Sitz des KunstKulturQuartiers. Das Konzept des Quartiers wird durch die Zusammenlegung und Verknüpfung verschiedener Häuser und Abteile – namentlich der Kunsthalle, des Künstler- und Kunsthauses, der Kunstvilla, Tafelhalle und des Filmhauses – bestimmt und ist damit einmalig für die Region. Die Mitwirkenden am KunstKulturQuartier haben sich auf die Fahne geschrieben, die Kultur in all ihren Facetten zu präsentieren und eine Stimme für regionale und internationale Kunst zu sein. Die vielfältigen Angebote reichen von der offenen Siebdruck- oder Steinmetzwerkstatt bis hin zur kleinen oder großen Kunstausstellung sowie Filmfestivals.
Wir haben Dr. Matthias Strobel zum Gespräch gebeten und wollten von ihm wissen, was sich seit den Anfängen des KunstKulturQuartiers alles getan hat und inwieweit sich die Kulturstätte inzwischen etabliert hat.
ART. 5|III: Herr Dr. Strobel, als Direktor des KunstKulturQuartiers wirken Sie seit Beginn im Jahr 2008 maßgeblich an der Entwicklung der für Nürnberg und die Region so wichtigen Kulturinstanz mit. Sind Sie zufrieden mit der bisherigen Entwicklung des KunstKulturQuartiers und was haben Sie bisher erreicht?
Dr. M. Strobel: Zufriedenheit… das ist ein schwieriger Begriff, denn wenn sich ein Kulturschaffender zurücklehnt und sagt, er ist zufrieden, dann hat er innerlich fast schon gekündigt. Ein im Bereich der Kultur arbeitender Mensch kann eigentlich nie ganz zufrieden sein. Aber wir haben in den vergangenen acht Jahren sehr viel geschafft und darauf können wir als gesamtes Team stolz sein. Die verschiedenen Sparten wachsen zusammen und die bauliche Infrastruktur konnten wir wesentlich verbessern. Da denke ich vor allem an die Kunstvilla. Vor deren Eröffnung gab es sehr viele kritische Stimmen, ob denn das Gebäude überhaupt für Ausstellungszwecke geeignet sei. Diese Kritik konnten wir durch den Um- und Ausbau deutlich widerlegen. Die Bevölkerung nimmt dieses Gebäude sehr gut an und es ist „ihr“ Museum für regionale Kunst geworden.
Außerdem haben wir letztes Jahr hier im Künstlerhaus das alte KOMM-Kino verlagert und ein zweites, neben dem Filmhauskino, modernes und zeitgemäßes Kino geschaffen (Anm. d. Red: KOMM steht als Abkürzung für das Nürnberger „Kommunikationszentrum“). Das ist ein wichtiger Schritt, um das Profil des für das KunstKulturQuartier so wichtigen Filmbereiches zu stärken. Was jetzt noch ansteht, ist die abschließende Sanierung des hinteren Teils des Künstlerhauses, der alle Veranstaltungsräume umfasst. Dieser wird momentan geplant. Ich habe immer gesagt: Ohne dritten Bauabschnitt kein vollständiges KunstKulturQuartier.
ART. 5|III: Wie kam es damals überhaupt zu der Idee, verschiedene Kulturorte zu einer Einrichtung zusammenzuschließen? Was sind die Vorteile, nicht nur der Zusammenlegung der Einrichtungen, sondern auch in Bezug auf die unterschiedlichen Sparten der Kultur?
Dr. M. Strobel: Zum einen wollten wir eine bessere Vernetzung herbeiführen, zum anderen ging es darum, ein städtisches Zentrum für moderne und zeitgenössische Kunst zu schaffen. Wir haben die Kunsthalle als Ausstellungsraum für internationale zeitgenössische Kunst, die Kunstvilla als Museum für regionale Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts und das Kunsthaus als einen Ort für Gegenwartskunst, Themen- und Fotografie-Ausstellungen, nicht zu vergessen unseren ehrenamtlichen KOMM-Bildungsbereich. All das ist jetzt unter einem Dach gebündelt. Dieses Jahr im Herbst gibt es bei uns zum Beispiel eine große Porträtausstellung, die sowohl in der Kunsthalle als auch im Kunsthaus läuft. Damit bespielen wir über 1000 m² Ausstellungsfläche und das zeigt, dass das Zusammenwachsen geglückt ist.
Ein weiterer entscheidender Vorteil ist: Wir können die verschiedenen Sparten ob Tanz, Musik, Film, Kunst aufeinander beziehen. Das ist ein gewaltiges kulturelles Potential, über das kaum eine andere Einrichtung verfügt. Wir können beispielsweise zu den stattfindenden Ausstellungen Filme in höchster Qualität zeigen oder auch umgekehrt, Tanz mit Film verbinden, oder, oder… Dadurch können Verknüpfungen hergestellt werden, die vielleicht zunächst gar nicht so augenscheinlich sind. Hierbei sehe ich die größten Perspektiven und Vorteile für das KunstKulturQuartier.
ART. 5|III: Sie haben ja eigentlich auf Lehramt studiert, außerdem auch politische Wissenschaft, Soziologie und Neuere Geschichte. Wie sind Sie schließlich zur Kunst und Kultur gekommen und was reizt Sie daran?
Dr. M. Strobel: Biografien nehmen manchmal ganz komische Wendungen. Neben meinem Studium und meinem Job als Assistent an der Uni war ich in den 1980er Jahren ehrenamtlich im damaligen KOMM tätig. Schließlich kam eins zum anderen. Ich begreife Kunst und Kultur als ein ganz wichtiges „Lebensmittel“ für die Gesellschaft. Die große Vielfalt, die Kultur zu bieten hat, macht sie für mich so reizvoll.
ART. 5|III: Haben Sie auch direkten Kontakt zu den Künstlern?
Dr. M. Strobel: Manchmal mehr, manchmal weniger. Das ist davon abhängig, wie sehr ich in die einzelnen Projekte involviert bin. In der Regel ist der Kontakt aber weniger eng, denn dafür gibt es ja dann eine Leiterin der Kunsthalle oder des Filmhauses, einen Tafelhallen-Chef etc. – natürlich zusammen mit den jeweiligen Teams.
ART. 5|III: Welche Aufgaben gehören eigentlich zum Tagesgeschäft des Leiters des KunstKulturQuartiers? Und was macht Ihnen an Ihrer Arbeit besonders viel Spaß?
Dr. M. Strobel: Ich stelle die Bedingungen her, damit am Ende alles zusammenlaufen kann. Ich versuche Personal und Gelder zu gewinnen, erstelle Budgets, ziehe Bilanzen, führe Besprechungen mit Künstlern und Fotografen, Architekten und Ämtern, versuche programmatische Weiterentwicklungen wie z.B. die Beschäftigung mit Computerspielen zu initiieren und nächste Etappenziele zu vereinbaren. Was ich am liebsten mache, kann ich gar nicht sagen – die Mischung macht’s.
ART. 5|III: Wie haben sich die Museumsarbeit und auch das Museum an sich in den letzten Jahrzehnten aus ihrer Sicht verändert?
Dr. M. Strobel: Eine der ganz zentralen Veränderungen im musealen Bereich ist die Digitalisierung. Mit ihr ergeben sich insbesondere im Bereich der Vermittlung ganz neue und vielfältige Möglichkeiten. Wir können Ausstellungsrundgänge und Audioführungen ins Netz stellen, können mit QR-Codes arbeiten und damit das Wesentliche – die Ausstellung – auf ganz andere Weise unterstützen.
ART. 5|III: Und in diesem Zusammenhang: Was will und was kann das Museum heute als kultureller Ort leisten?
Dr. M. Strobel: Das Museum ist ein Ort der Selbstvergewisserung der Stadt, über ihre kulturellen Wurzeln und Einflüsse. Für die Identitätsbildung ist das Museum (oder die Kultur als Überbegriff) ein wichtiges Element, das leider immer noch zu sehr unterschätzt wird. Was zum Beispiel die Integration anbelangt, kann und muss Kultur eine entscheidende Rolle spielen und wichtige Aufgaben übernehmen. Das zeigt sich gerade in Bezug auf die Integration der bei uns lebenden Flüchtlinge sehr deutlich. Dabei wird Kultur eine zentrale Rolle spielen und ich hoffe, dass wir dafür auch die notwendige Unterstützung erfahren werden. Die Flüchtlinge haben im Moment sicherlich noch andere Sorgen, aber wenn es um diejenigen geht, die hier bleiben werden, müssen wir sie integrieren und dürfen nicht die Fehler wiederholen, die wir damals bei den Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern gemacht haben. Wir müssen die vielen kulturellen Identitäten frühzeitig wahrnehmen, stützen und auch präsentieren. Wir haben gerade erst während des von uns mitveranstalteten Filmfestivals Türkei-Deutschland wieder gemerkt, wie wichtig der Austausch zwischen den Kulturen ist.
ART. 5|III: Als promovierter Politikwissenschaftler: Was sagen Sie zur aktuell kulturpolitischen Lage im Land? Geld ist wahrscheinlich immer zu wenig da, oder? Wo sehen Sie Chancen und was ist verbesserungswürdig?
Dr. M. Strobel: Zurzeit ist es nicht nur eine Frage des Geldes: Mich treibt vor allem um, dass der kulturpolitische Diskurs etwas zu kurz kommt. Manche Entwicklungen deuten darauf hin, dass die sogenannten Events zunehmend im Vordergrund stehen und die wichtige Alltagsarbeit kultureller Institutionen hingegen nicht mehr so wertgeschätzt wird, wie es eigentlich sein müsste. Das große Fest und die große Besucherzahl sind die Kriterien für den öffentlichen Erfolg oder Nichterfolg. Diese sind aber teilweise nur wenig aussagekräftig. Dazu ein kleines Beispiel: Wir haben im Künstlerhaus weit über 720.000 Besucher im Jahr und davon sind „nur“ 4.600 Besucher der offenen Werkstätten. Diese Werkstätten, die durchschnittlich nur über drei bis fünf Arbeitsplätze verfügen, sind aber die einzigen ihrer Art in Nürnberg und deshalb eine wichtige Institution. Wenn ich den Erfolg der Werkstätten nun anhand der Besucherzahlen messen müsste, würde vielleicht deren Existenz in Frage gestellt. Das zeigt, wie gefährlich es ist, immer nur in Zahlen zu denken. Für eine ausgewogene Kulturlandschaft bedarf es zwar auch der großen Vorzeigeprojekte wie dem Staatstheater oder dem Multiplex-Kino, aber eben auch der kleinen Institutionen wie den Werkstätten, freien Theatergruppen oder lokalen Kinoinitiativen. Ich habe den Eindruck, dass oft vergessen wird, die Kulturlandschaft in ihrer Gesamtheit zu sehen.
Wie man das verbessern kann…? Es nützt wohl nichts, wir dürfen in Diskussionen nicht müde werden zu betonen, dass die Förderung kleiner Initiativen genauso wichtig ist wie die der großen „Tanker“.
ART. 5|III: Zum Abschluss ein Blick in die Zukunft und eine Prognose: Wie geht es kulturpolitisch im Land weiter? Wie stehen die Aussichten?
Dr. M. Strobel: Das ist ganz schwierig zu beantworten. Nürnberg ist wahrscheinlich eine der wenigen Ausnahmen, denn wir führen glücklicherweise keine Schließungsdiskussionen. Das gilt längst nicht für die ganze Bundesrepublik. In anderen Städten geht es teilweise um Theater- und Museumsschließungen. Im Vergleich zu anderen Bundesländern und Städten stehen wir gar nicht so schlecht da. Die kulturpolitische Situation jedoch generell als rosig zu bezeichnen, wäre ein gewisser Euphemismus. Ich hoffe, dass wir in der Region und in der Stadt weiterhin Unterstützung erfahren.
ART. 5|III: Und abschließend in einem Satz: Was bedeutet Kultur für Sie?
Dr. M. Strobel: – Überlegt – Kultur ist das wichtige Mittel, um sich über die Zeit, die Gesellschaft, das Leben selbst zu vergewissern, selbst zu reflektieren und damit auch sichtbar zu machen, dass dies, was man selber erlebt, nur eine mögliche von mehreren Varianten ist.
ART. 5|III: Herr Dr. Strobel, ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche weiterhin gutes Gelingen!