Wenn man vor einem ebenso runden wie wichtigen Jubiläum steht, ist es ratsam, frühzeitig in personeller Hinsicht die Weichen zu stellen. Das ist jetzt am Coburger Landestheater geschehen, nachdem die baulichen Voraussetzungen für eine verlässliche mittelfristige Planung, also der Umzug ins GLOBE, bereits geschaffen wurden. In drei Jahren, sprich 2027, wird das Landestheater Coburg sein 200-jähriges Theaterjubiläum feiern können, doch die alte Heimstatt am Schlossplatz dürfte sich dann noch in der Planungsphase für die umfassende Sanierung befinden.
Nach dem Weggang des letzten Intendanten hatte man in Coburg das Intendantenmodell vorübergehend aufgehoben und es bei den vier Direktoren der Sparten Schauspiel, Musiktheater, Orchester und Tanz belassen. Nun ist man zum Intendantenmodell zurückgekehrt und hat den Operndirektor Neil Barry Moss an die Spitze des Hauses gestellt, unterstützt von Bernd Vorjans, der als kaufmännischer Leiter in die Gesamtleitung integriert wurde.
Verlängert wurde kürzlich der Vertrag von Generalmusikdirektor Daniel Carter, und zwar bis zur Spielzeit 2027/28. Für Kontinuität bürgen auch die beiden anderen Direktoren, Matthias Straub für das Sprechtheater und Mark McClain für die Tanztheater- und Ballettsparte, deren erfolgreiches Wirken nun schon längere Zeit andauert. Kurzum: Das Coburger Landestheater ist für die kommenden Jahre, die von großen Anforderungen geprägt sein werden, bestens gerüstet.
Daniel Carter und Neil Barry Moss sind kürzlich auf Einladung des Richard-Wagner-Verbandes nach Bamberg gekommen, um über ihre Pläne im Bereich Musiktheater und die aktuelle Situation am Landestheater zu berichten und sich kritischen Fragen zu stellen. Nach der erfolgreichen Spielzeiteröffnung mit Giacomo Puccinis Operntryptichon „Il trittico“, in dem es um ein tödliches Eifersuchtsdrama, einen tragischen Suizid und eine Erbschleicherkomödie geht, folgt ab 16. November Gioachino Rossinis turbulente Komödie „Il Barbiere di Siviglia“, in Szene gesetzt von Sonja Trebes. Mit „Santa Baby!“ wird kurz darauf eine Weihnachtsrevue geboten, bevor im Dezember die Oper „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck in Szene gesetzt wird. Dieses Werk wird quasi gewohnheitsmäßig an vielen Opernhäusern zur Weihnachtszeit gezeigt, obwohl es trotz des Märchensujets keine typische Kinderoper ist und mit einer ziemlich anspruchsvollen, weil wagnerianischen Musik konfrontiert. Für Coburg bedeutet dieser Titel einen Strategiewechsel.
Wie Neil Barry Moss erläuterte, ist geplant, künftig vom Stagione-artigen Prinzip wegzugehen und bestimmte Operntitel fest im Repertoire zu halten bzw. zu behalten. Bislang wurde im Wesentlichen „abgespielt“, d.h. Premiere – Saisonaufführungen – Absetzung ohne eine spätere Wiederaufnahme. Der Intendant verspricht sich ebenso wie der Chefdirigent eine größere Flexibiltät. Fällt beispielsweise ein Protagonist oder eine Sängerin ohne Doppelbesetzung aus, kann kurzfristig ein anderes Werk mit abweichender Besetzung schnellen Ersatz bieten, weil das Gesangspersonal und das Orchester Text und Produktion bereits kennen.
Das Neue Jahr wartet in Coburg mit Richard Wagners „Der fliegende Holländer“ auf (ab 25. Januar), mit dem Musical-Vaudeville „Chicago“ (ab 22. März) und schließlich mit Leoš Janáčeks „Oper Jenūfa“. Neil Barry Moss inszeniert nicht weniger als drei dieser Werke aus dem Bereich Musiktheater, nämlich nach dem „Trittico“ auch die Wagner-Oper sowie das Musical. Aber schauen wir zunächst voraus auf das Naheliegende, also die Neuinszenierung von „Der fliegende Holländer“, der im Französischen auf den viel treffenderen Titel „Das Geisterschiff“ hört.
Diese Oper wartet mit einem sattsam bekannten Déjà-vu auf: Mann ist auf Reisen, Frau sitzt zu Hause und wartet. Dabei sind es noch nicht einmal die Gemahlinnen, die da bei Wagner auf die Folter gespannt werden, sondern es sind Zufallsbekanntschaften oder Zukunftsprojektionen. Der Tannhäuser behält sich die Wahl zwischen einem Lustschloss (Venusberg) und den heiligen Hallen der Wartburg vor, wo die ebenfalls ziemlich heilige Elisabeth seiner harrt. Der Mann hat also die Freiheit der Wahl, die Frau sitzt im Gefängnis ihrer Erwartungshaltungen. Unter diesen Konsorten ist ein gewisser Lohengrin wohl der Schlimmste. Er verlangt allen Ernstes von seiner Angebeteten, dass sie ihm nie irgendwelche Fragen nach seiner Herkunft stellen solle. Das ist sehr praktisch, denn so kann man sich bei Nichtgefallen wieder elegant aus dem Staub machen. Heute nennt man das Datenschutz. Der Holländer ist keinen Deut besser, denn er scheut das Landesinnere, reist von Küste zu Küste und ist sicherheitshalber auch noch gut bewacht von seinen Mannen. Irgendwann, so seine Hoffnung, wird ihn eine Frau durch ihre Treue erlösen.
Neil Barry Moss zögert bei der Frage, was man solchen Geschichten heute noch abgewinnen könne, ein wenig mit der Antwort. Das ist verständlich, schließlich sollte das Publikum bei der Premiere auch noch überrascht werden dürfen. Immerhin war zu hören, dass wir uns wohl auf ein „Stück im Stück“ werden gefasst machen müssen.
Für den Intendanten ist der Holländer eine eher unsichere Persönlichkeit, während Senta, die Auserwählte, eine sehr starke Protagonistin ist, und das nicht nur deshalb, weil ihr auch andere Optionen als der fremde Seemann zur Verfügung stehen. Eines kann er aber jetzt schon versprechen: Es wird in diesem dezidiert nautischen Stück ein Schiff geben, was andernorts längst nicht mehr selbstverständlich ist. Unvergessen ist, dass die zurückliegende Inszenierung bei den Bayreuther Festspielen ganz „im Trockenen“ stattfand.
Die Coburger hätten sogar gerne zwei Schiffe aufgeboten – schließlich gibt es im „Fliegenden Holländer“ auch zwei „Parteien“, nämlich die Norweger und das Holländerschiff. Doch das scheitert an den relativ beengten Bühnenverhältnissen im Coburger Globe, dem frisch bezogenen Ausweichspielort des Landestheaters. Immerhin verspricht Neil Barry Moss, dass man mit einem „bekannten Schiff“ aufwarten werde. Ob wir uns wohl auf die „Titanic“ gefasst machen können? Sichtlich stolz ist der Intendant darauf, dass er mit Åsa Jäger eine Idealbesetzung für die Senta gefunden hat. Auf die Frage, ob Senta sich, wie im Libretto vorgesehen, ins Meer stürzt, verweigern die beiden Coburger Chefs verständlicherweise die Antwort. Man wird sehen – und sich überraschen lassen.
Eine große Choroper wie der „Holländer“ legt natürlich die evidenten Platzdefizite des Globe schonungslos offen. Das neue Gebäude ist zwar attraktiv und sehr einladend, musste aber im Hinblick auf spätere Nutzungen auf essenzielle Theaterausstattungen verzichten. So besitzt es keinen Schnürboden und einen sehr eingeschränkten Backstagebereich. Wohin also mit zwei Chören? Tröstlich zu hören ist, dass man sich keine Sorgen um die Akustik machen muss. Daniel Carter betont das voller Überzeugung.
Im weiteren Saisonverlauf wird das noch wichtig werden, denn im März ist mit „Chicago“ ein spritziges Musical-Vaudeville zu sehen und zu hören.
Nach eventuellen Plänen für das barocke Opernrepertoire gefragt, bekommt man eine unmissverständliche Antwort: So wie es in dieser Saison keine Barockopern gibt, so wird es auch in der näheren Zukunft keine geben. Die Gründe dafür liegen auf der Hand, denn der Aufwand für spezielle Instrumente wäre zu hoch, außerdem gälte es auch für das Coburger Opernorchester, das ja einen sinfonischen Zuschnitt besitzt, spezifische Spielweisen im Sinne einer historisch informierten Interpretation zu beherrschen.
Das Gespräch über die gegen Ende der Saison geplante Neuinszenierung von Leoš Janáčeks Oper „Jenufa“ offenbart einen Generalmusikdirektor, der ein geradezu enthusiastischer Verehrer des mährischen Komponisten zu sein scheint. Einst ersteigerte Daniel Carter sogar ein Autograph Janáčeks, das er seither stets im Blickfeld behält. Mehrere Opern des Komponisten hat er bereits dirigiert. Kommt Carter bei diesem Thema in Fahrt, ist er kaum mehr zu stoppen. Das Publikum kann aber nur dankbar sein angesichts des hier ausgebreiteten Wissens über diese Musik und die Erfahrungen, die der Coburger GMD damit gemacht hat.
Dass an diesem Abend auch die Situation am Landestheater Coburg zur Sprache kommen würde, stand zu erwarten. Wann wird man die Wiedereröffnung des sanierungsbedürftigen Hauses am Schlossplatz erleben? Neil Barry Moss nennt das Jahr 2035 als frühesten Termin, ergänzt diesen hoffnungsfrohen Zeithorizont allerdings um Anspielungen auf die Erfahrungen in Berlin (Flughafen) und München (Stammstrecke). Auch die Befürchtung klingt an, dass bis dann das Globe so gut eingeführt sei, dass die Rückkehr aufgeschoben oder gar abgeblasen werde.
Hierin scheint das Dilemma für die beiden Coburger Chefs zu bestehen: einerseits ist das ausgelagerte Theater trotz seiner Stadtrandlage schnell beliebt geworden und gilt schon jetzt als Vorbild für andere Städte, andererseits will man es nicht allzu „schön reden“, weil dann die Versuchung bei den Stadtoberen steigen könnte, es für alle Zukunft dabei zu belassen. Es müsse jedoch betont werden, dass dieses ästhetisch faszinierende Gebäude trotzdem nur Interimscharakter habe und mangels wichtiger theaterspezifischer Defizite im baulich-technischen Bereich als Provisorium anzusehen sei.
Als künftig wichtiger werdende Herausforderung sehen es Daniel Carter und Neil Barry Moss an, das Coburger Landestheater regional noch stärker zu profilieren. Immerhin sei es „eingekreist“ von mehreren bedeutenden Dreispartenhäusern, nämlich denjenigen in Hof, Würzburg, Meiningen, Erfurt und Nürnberg. Natürlich war auch dieser Umstand ein Grund, ins musikaffine Bamberg zu kommen, um hier den von Hoffnungen und einer spürbaren Prise Optimismus getränkten Weg darzustellen, den die Coburger für die Zukunft ihres Hauses eingeschlagen haben.