Die Wiederentdeckung des begnadeten Komponisten Jaromír Weinberger gehört zu den größten Verdiensten von Berlins Komischer Oper in den letzten Jahren. Nach der fulminanten Präsentation der Operette „Frühlingsstürme“ im Januar 2020 sollte ein ganzer Weinberger-Schwerpunkt folgen, der jedoch der Pandemie zum Opfer fiel. Damit leider auch die Oper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“, deren Premiere nun nachgeholt wurde. Dass diese Oper zu den meistgespielten ihrer Zeit gehörte und dennoch so lange in Vergessenheit geraten konnte, ist kaum zu glauben, schon allein wegen Weinbergers faszinierender Musiksprache.
Das ebenso komische wie berührende Werk ist ein heiter-surreales Märchen über die Kraft der Musik, die Verlockungen des Abenteuers und die Macht der Liebe. Nach der Uraufführung 1927 in Prag brachte die deutschsprachige Erstaufführung in Posen ein Jahr später den Durchbruch. Die Schwanda-Oper avancierte in kurzer Zeit zum Welterfolg, allein bis 1931 gab es weltweit über 2000 Aufführungen. Die Berliner Erstaufführung fand 1929 statt, doch ab 1933 war es vorbei mit dieser genialen Mixtur aus Romantik, Märchen, Satire, Folklore und Höllen-Ulk – kein Wunder, denn Weinberger war Jude, wie die meisten Operettenkomponisten der Weimarer Zeit.
Der Plot handelt vom bodenständigen Volkshelden und Sackpfeifenvirtuosen Schwanda und Dorotka, seiner Liebsten. Die beiden erhalten Besuch vom berüchtigten Räuber Babinsky, einer Figur der böhmischen Volkssagen, die ein wenig an Robin Hood erinnert. Babinsky verliebt sich sofort in Dorotka und sinnt, wie er Schwanda loswerden könnte. Seine Idee: den Dudelsackpfeifer einfach in die weite Welt schicken. Das klappt auch, und Schwanda verzaubert nicht nur das Volk des benachbarten Königreichs, sondern ebenso dessen Herrscherin. Für seine Untreue wird der Titelheld vom Teufel geholt und schmort eine Weile in der Hölle (wo er zudem auf Hitler und Stalin trifft!). Doch Babinsky, der gute Räuber, befreit ihn und sorgt für das Happy End mit Dorotka.
Von den ersten Takten nimmt Weinbergers Tonsprache gefangen. Nach dem dynamischen Einstieg zeigt sich schnell, dass er, der u.a bei Max Reger studierte, souverän über alle Stilmittel der Spätromantik, der frühen Moderne und der beginnenden Filmmusik gebietet. Da darf z.B. auch mal meisterliche Kontrapunktik auftauchen, was als geradezu demonstrativer Hinweis auf seine Ausbildung in Prag und Leipzig verstanden werden kann. Weinbergers Originalität zeigt sich vor allem in den musikalischen Mitteln, mit denen er das (von Max Brod übersetzte) Libretto von Miloš Kareš auf bisweilen frappierende Weise kommentiert.
So nach der Pause, wenn es in die Hölle geht und Schwanda nur noch Kakophonie hervorbringt. Vorher hat er die Massen verzaubert, ja sie sogar völlig irre werden lassen. Der Dudelsack kommt übrigens nicht als originales Instrument vor, doch manche Oboenkantilenen erinnern an ihn. Weinbergers Musik ist im besten Sinne eklektizistisch, denn er bedient sich nicht nur bei Verdi, Wagner und Strauss, sondern auch bei Smetana, Dvorák und in harmonischer Hinsicht deutlich hörbar bei Janá?ek. Ainãrs Rubikis gelingt es eindrucksvoll, die Qualitäten dieser Partitur in allen Facetten zur Geltung zu bringen, und das mit einem Orchester, das am Premierenabend in Höchstform aufspielte.
Andreas Homoki, der frühere Intendant der Komischen Oper, hat sich für seine Inszenierung von Paul Zoller prägnante Bühnenbilder fertigen lassen, die dem Weg Schwandas auf seinen verschiedenen Stationen aussagekräftig folgen. Die Chöre werden von Otto Pichler wirkungsvoll choreographiert, stimmlich präsentieren sie sich von David Cavelius perfekt präpariert. Die Protagonisten Schwanda und Babinsky (dem die Doppelrolle als Erzähler und Intrigant zufällt) sind mit Daniel Schmutzhard und Tilmann Unger sowohl in schauspielerischer wie in gesanglicher Hinsicht bravourös besetzt. Ursula Hesse von den Steinen überzeugt als Königin durch ihr schönes Timbre. Alles in allem eine Inszenierung, die man unbedingt gesehen haben sollte – wozu noch im März und April mehrfach Gelegenheit ist.