Es steht schlecht um unser Land, denn alles ist… marode! Wohin man schaut, immer derselbe Befund. Die Autobahnen sind marode, die Infrastruktur ist marode, die Theater sind marode, die Schulen sowieso, und von der Digitalisierung wollen wir erst gar nicht reden.
’Marode’ ist das Zauberwort der Stunde. Die ganze Republik scheint mittlerweile marode zu sein, der Begriff lauert an jeder Straßenecke. Man reibt sich die Augen und fragt sich, ob diese Wortwahl angesichts unserer vergleichsweise immer noch komfortablen Lebensbedingungen nicht ein wenig übertrieben ist.
Gibt es nicht auch noch etwas weniger dramatisch klingende Begriffe wie „erneuerungsbedürftig“ oder „renovierungsbedürftig“? Nein, habe ich neulich gelernt, das klingt zu harmlos, denn wenn man Drittmittel für die Sanierung von Häusern oder ganzen Stadtvierteln akquirieren will, braucht man andere sprachliche Kaliber, um zum Erfolg zu kommen.
„Sanierungsbedürftig“ ist das Mindeste, denn das klingt zumindest nach einer angemessenen Antwort auf den allerorts beklagten „Sanierungsstau“, aber ’marode’ ist zielführender, weil dramatischer klingend. Wer zaghaft nur von „Renovierungsbedarf“ redet, kann subventionsspezifisch gleich einpacken, denn eine solche Wortwahl klingt viel zu harmlos.
Neulich auf der Suche nach maroder Substanz: ein Toilettengang im Nürnberger Staatstheater während einer Opernpause. Alles ist ebenso sauber wie intakt, die Carrelage ist zwar alt, hat aber keine Risse, die Wasserhähne lassen sich noch drehen wie anno dazumal und sprudeln einen nicht ungefragt an, die Türen kommen einem nicht überfallartig entgegen. Vieles ist also paletti – aber offiziell marode und wird deshalb demnächst für viele Jahre der Nutzung entzogen.
In München, Coburg, Würzburg und Augsburg dasselbe Bild, obwohl meist nur die Bühnentechnik erneuerungsbedürftig ist. Man fragt sich, welches Wort den „Marodeuren“ einfallen würde, wenn sie die Zustände in einem kriegszerstörten Land wie der Ukraine benennen müssten. Mein Steigerungsvorschlag lautet: ruinös. Das würde auch zu den deutschen Panzern passen, von denen niemand weiß, ob man sie den malträtierten Ukrainern zumuten kann.