Auch in Bamberg ist die Reisesaison wieder in vollem Gang, die Gäste und Reisenden sind überall unterwegs und mischen sich unter die Einwohner. Da verwundert die Meldung, dass kürzlich einige Reedereien von Schiffs-Kreuzfahrten von den Bewohnern der Fahrtenziele ihrer Schiffe eine größere Willkommenskultur anmahnten. Sie haben wohl wahrgenommen, dass es auf diesem Sektor bisweilen Konflikte gibt. Kreuzfahrten sind aber nur Teil eines größeren Fragenkomplexes, nämlich der Frage nach dem Massentourismus.
Geben wir zu: auch wir reisen gerne. Wir machen – oft mehrmals im Jahr – Urlaub, um uns zu erholen und frische Eindrücke zu sammeln. Wir lernen gerne interessante Orte oder Landschaften kennen. So werden wir zwangsläufig ein Teil jener gewaltigen Welle von Reisenden, die zusammengenommen einen großen Wirtschaftsfaktor darstellt. Dennoch stört es uns, wenn sich Flüge wegen Überbuchung verzögern, wenn wir im Zug stehen müssen, da wir versäumt haben, eine Platzkarte zu buchen. Wir ärgern uns, wenn wir stundenlang um eine Eintrittskarte eines berühmten Museums warten müssen, wenn Strände überfüllt sind, wenn wir gerade noch der Gefahr entgehen, von schwankenden Selfie-Stics reisender Kurzzeittouristen aufgespießt zu werden. Uns stört also die große Zahl und wir nennen das dann „Massentourismus“. Die großen Zahlen sind nun aber einmal die Folge der Demokratisierung, der mobilen Gesellschaft und des wachsenden Wohlstandes in vielen Regionen der Welt. Für uns gibt es keine Ausnahmen oder Privilegien. Massentourismus, sind das nur die anderen?
Nehmen wir Bamberg oder andere beliebte Städte Frankens wie Rothenburg o. d. Tauber oder Dinkelsbühl, Würzburg oder Bayreuth. Sie sind berühmt und beliebt durch ihre kulturelle und geschichtliche Bedeutung. Wer hierher kommt, will meist vor allem Kultur erleben, hat also einen bereits kulturell vorgeprägten Hintergrund. Das touristische Angebot wird sich also immer spezifisch auf diese Besuchergruppen einstellen.
Von einem geistreichen Beobachter der Szene stammt der Satz: ,,Touristen sind eine unbewaffnete Besatzungsarmee auf Zeit“. Hier liegt ein Stück des Problems verborgen.
Störend wird von manchen das Auftreten größerer Gruppen empfunden. Das wirkt oft wie eine perfekt durchorganisierte Maschinerie von Gruppenreisen, mit Reiseführern, die häufig mit einem Fähnchen in der Hand und in ein Mikrophon sprechend die Besucher durch das Reiseziel lotsen. Alle bekommen dabei die gleiche Nachricht und bewegen sich oft puppenartig im gleichartigen Rhythmus.
So zeigen sich leider an manchen Zielorten touristischer Beliebtheit auch die negativen Folgen für die Struktur des Wirtschaftslebens. Kreuzfahrt-Tourismus und Massentourismus werden immer mehr zum Besuch im Schnelldurchlauf, gleichsam ein „Fast-Food Tourismus“ mit kürzester Verweildauer. In der Folge beginnt dann die Zunahme von Souvenirläden und Klimbim-Läden an den Hauptachsen der Fremdenbewegung. Sodann fällt das Absterben jeglicher Nahversorgung auf. Nicht mehr die Bewohner, sondern die Touristen strukturieren das Angebot in solchen Vierteln. An sehr beliebten Tourismus-Zielen ändert sich auch das soziale Verhalten mancher Bewohner, zu Lasten vorhandener Strukturen.
Bodenspekulation an touristischen Highlights nimmt zu, mit Zweckentfremdung von Wohnraum, mit Einrichtung von Ferienwohnungen, oft sogar ohne Genehmigung.
Ein Gegensteuern ist schließlich auch nötig aus Gründen der Sicherheit. Wenn z. B. der Kölner Dom jeden Tag ca. 20.000 Besucher zählt, dann ist es plausibel, dass man dort inzwischen keine Mitnahme von Koffern und größerem Gepäck mehr zulässt. Auch für den Bamberger Dom gelten bestimmte Regeln. Der heute so beliebte Titel „Weltkulturerbe“ wird dabei leider oft nur als schmückendes Prädikat zur Steigerung wirtschaftlicher Wertschöpfung missdeutet. Dabei bedeutete er doch von Anfang an vor allem den Ansporn und die Würdigung engagierter Pflege des kulturellen Erbes, bringt also eine besondere Verantwortung.
Die Schlussfolgerung muss lauten: Übersteigt die Zahl der Besucher eine gewisse Obergrenze im Verhältnis zu den Bewohnern eines Ortes, dann ist das Absterben vorprogrammiert, dann leben sie nicht mehr. Gerade in Venedig z. B. sind die Probleme seit langem bekannt. Es ist in der Tat schon ein Skandal, welchen rein physischen Schaden die riesigen Kreuzfahrtschiffe dort anrichten. In den letzten 50 Jahren hat sich dort schließlich die Einwohnerzahl glatt halbiert. In der Altstadt von Krumau in Tschechien leben heute nur noch ca. 350 Einwohner, mitten zwischen Hotels und Pensionen. Rothenburg o. d. Tauber zeigt die gleiche Auszehrung der Altstadt als Wohnort, bei aller Beliebtheit bei den Besuchern. Auf Mallorca oder in Barcelona protestiert die Bevölkerung, die sich nicht mehr in ihren eigenen Städten zu Hause fühlt! Man erwägt extra Steuern und Tourismus-Abgaben.
Fördert schließlich der Massentourismus das Wirtschaftsleben? Zwar mag es einige Branchen geben, etwa Souvenirläden, Cafés, Eisdielen oder Postkartenstände, die kurzfristig dabei Einnahmen erzielen. Aber langfristig gesehen überwiegen doch die finanziellen Belastungen aus den Kosten durch die strukturellen Reparaturmaßnahmen am Gemeinwesen. Die klagenden Reedereien, aber auch alle anderen Beteiligten müssen sich daher gründlicher mit der Realität des Massentourismus beschäftigen. Der Begriff „Willkommenskultur“ ist überdies durch die Flüchtlingskrise 2015/16 politisch gleichsam „verbrannt“. Er wirkt auf den Tourismus übertragen unpassend. Vielmehr ist von allen mehr Einfühlung in die gesellschaftlichen Realitäten und die gesamtwirtschaftlichen Folgen ihres Tuns zu fordern.
Das heißt z. B., an besonders beliebten Orten den Zustrom gezielt zu entzerren. Bamberg mit seinem großflächigen Stadtensemble bietet hierfür gute Gelegenheiten und hat bereits gute Ansätze hierzu getan.
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Massentourismus: Nutzen oder Schaden?, Foto © pixybay.com