Es gehört schon viel Mut dazu, ein weitgehend unbekanntes Werk mit großem Aufwand auf die Bühne zu wuchten und darauf zu vertrauen, dass genügend studentisches Publikum auch an einem Termin in die Bamberger Konzerthalle strömt, der knapp nach Semesterschluss liegt. Die Bamberger Universitätsmusik kann sich das offensichtlich leisten, denn die geradezu chronisch positiven Erfahrungen vieler Jahre haben zu einem soliden Publikumsstamm geführt, der weiß, dass hier jeweils zum Ende des Studienjahres – und oft genug auch zwischendurch – qualitätvolle musikalische Interpretation zu erwarten ist und daher in Treue kommt.
Diesmal also eine oratorienartige Balladenkomposition in Maximalbesetzung: Antonin Dvoráks „Die Geisterbraut“ für Chor, Orchester und Solisten, 1883-85 entstanden und als englische Erstaufführung unter dem Titel „The Spectre’s Bride“ in Birmingham von Dvorák selber dirigiert. Das Zweipersonenstück handelt von einem Mädchen, das seit drei Jahren auf die Rückkehr seines Liebsten aus dem Siebenjährigen Krieg wartet. Der kommt dann auch, aber als Toter, der seine Geliebte zur Hochzeit auf den Friedhof zu führen trachtet. Das Mädchen widersteht in extremis und rettet so ihre Seele.
Der Stoff ist im deutschen Sprachraum vor allem durch Gottfried August Bürgers Ballade „Lenore“ bekannt geworden, die allerdings einen anderen Schluss vorsieht: als das Mädchen im „Ehebett“ landet, erweist sich dieses als ein Bretterverschlag, mithin als Sarg. Erlösung ist hier also nicht angesagt, sondern der Tod als unausweichliche Sühnung für zuvor begangene Gotteslästerungen. Die beruhen auf dem Zweifel an göttlichen Entscheidungen und den bitteren Klagen der Protagonistin („Gott hat an mir nicht wohlgetan“, „Bei Gott ist kein Erbarmen“).
Antonín Dvorák, der übrigens leider nicht bis 1967 gelebt hat (wie das Programmheft insinuiert), lässt das Geschehen nicht nur erzählen, sondern dramatisiert es durch die Personifizierung des Toten und des Mädchens. Der Text erinnert an Elemente aus dem „Faust“ und aus dem „Erlkönig“. Der Tote ähnelt mit seinem Beharren auf das Entfernen der Glaubensutensilien des Mädchens (Gebetbuch, Rosenkranz, Kreuz) dem Verhalten des Mephistopheles, der Ritt in die Nacht besitzt deutliche Analogien an das Erlkönig-Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe.
Besondere Eindringlichkeit gewinnt die Ballade durch eine recht simple kompositorische Vorgehensweise: der Chor kommentiert sehr textnah, meist durch insistierende Wiederholungen, das vom Erzähler Vorgetragene. Zu Beginn erzählt das Mädchen herzergreifend von ihrem Verlust, vom Sehnen nach der Rückkehr des Geliebten und von den hoffnungsfrohen Hochzeitsvorbereitungen. Dann tritt der Tote geisterhaft auf den Plan, und das falsche Spiel nimmt seinen Lauf, übrigens mit teilweise recht hoffmannesken Zügen.
So in der Nr. 6, wo Erzähler und Chor quasi atemlos einen ausdrucksstarken Text zelebrieren. Der wie stets mustergültig präparierte Universitätschor machte das mit hinreißendem Engagement, vorbildlicher Deklamation, verlässlicher Intonation und präziser Einsatzgenauigkeit. Schade nur, dass in der Nr. 11 die Tuttischläge des Orchesters eine Spur zu grob gerieten und so die jugendlich timbrierten Frauenstimmen übertönten.
Der Bariton Philipp Kaven in der Rolle des Erzählers war in mehreren Abschnitten der kongeniale Partner des Chores, kulminierend in den langen Erzählungen der Nr. 15 und 16 mit ihren dramatischen Wendungen. Eine spannungsgeladene Darstellung! Bernhard Schneider als der Tote leitete dessen Eintritt ins Geschehen in der Nr. 7 mit angenehm unangestrengter Höhe und eher lyrischer Färbung ein, steigerte sich aber später zu markantem Gesang.
Die Sopranistin Judith Spießer in der Rolle des Mädchens überzeugte mit schöner Timbrierung und moderatem Vibrato ebenso wie mit ihrer souveränen Gestaltung. Ihre Noten enthalten nur einen einzigen Spitzenton, doch der geriet ihr so fulminant, dass man ihr auch gerne die Bewältigung der Partie der „Königin der Nacht“ glaubt. Insgesamt darf man feststellen, dass es dem Universitätsmusikdirektor Wilhelm Schmidts immer wieder gelingt, ausgezeichnete Besetzungen für die Positionen im Sologesang zu finden.
Er selber erwies sich einmal mehr als ein Dirigent, der Detailgenauigkeit mit dem Sinn für große Bögen und langen Atem zu verbinden weiß. Er hat sich dafür ein Orchester zusammengestellt, das in allen Gruppen semiprofessionelles Niveau besitzt und sicher durch die anspruchsvolle Partitur findet. Schon unter seinem Vorgänger Michael Goldbach hatte die Universitätsmusik stetig wachsende Kaliber aus dem Bereich der oratorischen Musik angepackt.
Bei Wilhelm Schmidts ist nun sogar die ganz große Symphonik angesagt: der Blick auf das kommende Wintersemester verspricht nichts Geringeres als Gustav Mahlers 2. Symphonie! Man fragt sich, wie lange es noch dauern wird, bis auch Mahlers „Symphonie der Tausend“ geboten wird… Die große Zustimmung zu diesen Projekten, ablesbar nach dem Dvorákkonzert am geradezu enthusiastischen Applaus des Publikums, dürfte genügend Rückenwind beisteuern für den Mut der Universitätsmusik zu weiteren Repertoirewagnissen.