Von der Muse und dem Modell zur selbstständigen Künstlerin. Die Illustrationen des Ausstellungsplakates der Stuttgarterin Véronique Stohrer geben treffend wider, wie die Frauen in den letzten 100 Jahren aus ihren traditionell von der Gesellschaft auferlegten Rollenklischees ausgebrochen sind...
Ab 1919 wurden Frauen, die sich beruflich als Künstlerin betätigen wollten, regulär an deutschen Kunstakademien als ordentlich eingeschriebene Studentinnen zugelassen. Diese Errungenschaft, die sich in diesem Jahr erst (!) zum 100. Mal jährt, stellt einen Meilenstein im weiblichen Bestreben nach Gleichberechtigung dar. Zuvor waren die verächtlich als „Malweiber“ bezeichneten Frauen den wohlwollenden oder vernichtenden Urteilen der Männer in leitenden Positionen sowie der Kritik der Professoren und Mitstudenten ausgeliefert. Als Folge waren sie zudem von den kostenintensiven Unterrichtsstunden bei Privatlehrern, überteuerten und separierten „Damen-Klassen“ oder auf die für Frauen eher geduldeten Ausbildungen im Zeichnen innerhalb der Kunstgewerbeschulen angewiesen.
Im beginnenden 20. Jahrhundert hatten sich die angehenden Künstlerinnen die Chancengleichheit gegenüber ihren männlichen Kollegen regelrecht zu „erkämpfen“, indem sie Zugang zu eigenen Atelierräumen und zudem zu den für eine professionelle künstlerische Ausbildung so notwendigen Aktstudien erlangten.
Wie wichtig dabei die Solidarität unter den gleichgesinnten Frauen, die gegenseitige Unterstützung und das gute Pflegen von Netzwerken war – ja, sie entwickelten sich zu regelrechten Meisterinnen im Vernetzen –, wird durch den gewählten Titel der aktuellen Präsentation zusätzlich unterstrichen.
In der Ausstellung werden die steinigen Wege von 10 frühen, zu Unrecht wenig bekannten Künstlerinnen nachgezeichnet und rund 40 Gegenwartspositionen gegenübergestellt. In Porträts und Landschaftsdarstellungen, Blumen-Stillleben und Kinderbildnissen stellen die Künstlerinnen der Klassischen Moderne nicht nur ihr großes Talent zur Schau, sondern zugleich ihr Be- und Gefangensein in einer Motivwelt, die ihnen von ihren männlichen Kollegen richtiggehend „diktiert“ wurde.
Ausgewählt von einer hochkarätigen Fachjury erarbeiteten im Kontrast dazu die zeitgenössischen Künstlerinnen schwerpunktmäßig Arbeiten mit Bezügen zu „Akt“ und „Anspruch auf Raum“, den Tabuthemen für die früheren Generationen. Zudem werden ortsspezifische, architekturbezogene wie prozessual entstehende Werke gezeigt, die den heutigen Kunstbetrieb – sein Wertesystem, seine Ausstellungspraxis, Förderstrukturen sowie Geschlechterfragen – reflektieren. Mit einer Bandbreite an gattungsüberschreitenden Techniken, etwa Raum- und Bodeninstallationen, minimalistische Zeichnungen, Fotografien, Filme und Videos, Cut-Outs, Collagen, Reliefs, Objekte, Gemälde, Materialbilder, Wandmalerei sowie Bildhauerei eröffnen die zeitgenössischen Künstlerinnen, die auf dem von ihren Vorgängerinnen geschaffenen Fundament aufbauen und dadurch um ein Vielfaches freier agieren können, einen eindrucksvollen visuellen Dialog und schaffen ferner einen Denkraum für Fragen, die damals wie heute virulent sind.
Infos & Termine:
1.12.2019 bis 19.4.2020
Mi bis Fr von 15.00 bis 18.00 Uhr
Sa von 13.00 bis 18.00 Uhr
So & Feiertags von 11.00 bis 17.00 Uhr
Städtische Galerie Böblingen
Pfarrgasse 2
71032 Böblingen
Tel. (07031) 6691705
staedtischegalerie.boeblingen.de