An Schnappschüsse, wie sie die heutige Gesellschaft im Zeitalter des Smartphones zu tausenden macht, war noch nicht zu denken. Eine Fotografie war nicht nur in der Herstellung zeitaufwendig, sie musste auch gut vorbereitet sein. Daher wurde sie als Sieg des menschlichen Intellekts über die Kräfte der Natur zelebriert. Die Naturtreue war die neue Wahrheit. Das erste praktikable Verfahren zur Herstellung von Fotos entwickelte Louis Daguerre (1787-1851) 1839 mit der nach ihm benannten „Daguerreotypie“. Sie gilt auch heute noch als das ästhetisch vollkommenste Stadium der Fotografiegeschichte.
Die Entdeckung einer Porträt-Daguerreotypie Mitte der 1970er Jahre in England begründete die Anfänge einer großen Privatsammlung. Nun soll dieser umfangreiche und sowohl technisch, als auch künstlerisch wertvolle Bestand das erste Mal in seiner Fülle ausgestellt werden. Die gezeigten Meisterwerke, die die ganze Bandbreite der frühen Fotografie aufzeigen, erregen inzwischen auch internationale Aufmerksamkeit. Sie spiegeln nicht nur die Gesellschaft ihrer Zeit wider, sondern verkörpern auch die technischen Vorläufer des 19. Jahrhunderts.
Die Ausstellung gliedert sich in elf Sektionen und beleuchtet alle wesentlichen Aspekte dieser epochemachenden Erfindung. Beginnend mit der Vorgeschichte werden im ersten Raum neben einer originalen Camera obscura und anderen optischen Spielereien, etwa einem Kaleidoskop, auch Kulissenbilder präsentiert, die bereits im 18. Jahrhundert die Sehnsucht nach neuen Bildern gestillt haben.
Dem Erfinder der Fotografie, Louis Daguerre, wird ein eigener Raum gewidmet. Ein erster Höhepunkt und Blickfang der Ausstellung ist ein großformatiges Landschaftsgemälde, das der gelernte Theatermaler 1834 auf dem Pariser Salon ausstellte. Darüber hinaus unterstreichen unzählige zeitgenössische Dokumente und Publikationen die herausragende Bedeutung der Erfindung des Jahres 1839. In einem separaten Filmraum stellen wir Daguerres vielfältiges Schaffen, etwa seine Dioramen, von denen heute nur noch eins existiert, vor.
Ein Überblick über die Porträtfotografie der frühen Jahre lässt sich in einem weiteren Raum gewinnen. Dort werden nicht nur Daguerreotypien aus Frankreich gezeigt, sondern auch aus Deutschland, den USA und England. In effektvoll beleuchteten Wandvitrinen sind die besten Stücke der Privatsammlung inszeniert. Bereichert wird diese Präsentation durch zwei Schauvitrinen mit verschiedenen Schmuckstücken, die kleine Daguerreotypien enthalten sowie eine originale Daguerreotypie-Kamera aus dem Jahr 1840.
In der Ausstellung dienen außerdem hin und wieder sogenannte Blow-Ups – überdimensionale Abzüge der Fotografien – als Blickfang. Sie verdeutlichen, wie gestochen scharf dieses Bildmedium schon damals war. So kann der Besucher beispielsweise in eine Fotografie eintauchen, die den Titusbogen in Rom zeigt.
Dass die Fotografie nicht nur Begeisterungsstürme auslöste, belegen zeitgenössische Karikaturen; denn die Anfänge der Porträtfotografie mit ihren endlos langen Belichtungszeiten und martialischen Kopfhalterungen wurde schnell mit gehörigem Humor und Hohn kommentiert. Einige der bekanntesten Karikaturen der Zeit können im Original betrachtet werden.
Einen ganz anderen Blick gewährt der Raum, der der Stereofotografie gewidmet ist. Kameras mit zwei Objektiven ermöglichten es, die physiologischen Eigenschaften des menschlichen Sehens nachzubilden. Eigens dafür konzipierte Stereobetrachter, die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind, ließen die Fotografien dreidimensional erscheinen. Neben dieser technischen Neuerung entwickelte sich auch die Aktfotografie – ein Bildmedium zwischen Zensur und der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten und künstlerischer Freiheit.
Ferner beleuchtet die Ausstellung auch die verschiedenen Fotografie-Erfindungen, die es ermöglichten, Bilder durch das Negativ-Positiv-Verfahren zu vervielfältigen. Einer der Pioniere war der Brite William H. F. Talbot, der die Fotografie auf Papier vorantrieb. Arbeiten seiner ersten Versuche werden denen seiner französischen Kollegen gegenübergestellt.
Ein weiteres Highlight der einmaligen Schau stellt eine sogenannte Ambrotypie im Mammutformat dar. Das 50 mal 50 Zentimeter große Glasnegativ zeigt die gotische Kathedrale St. Mungo aus Glasgow und ist wohl eines der größten ihrer Art und besitzt somit Seltenheitswert.
Im vorletzten Abschnitt der Ausstellung wird die Reiselust geweckt. Mit dem beginnenden Massentourismus ab der Mitte des 19. Jahrhunderts avancierte auch die Fotografie zu einem der beliebtesten Bildmedien, mit dem man nun schneller historische Monumente wie ägyptische Tempel und Pariser Sehenswürdigkeiten festhalten konnte, als es Malerei und Zeichenkunst vermochten.
Weit über das Hilfsmittel für Kunst und Wissenschaft hinaus diente die Fotografie auch der Sozialkritik. So stehen spannungsreich Bettler und Schuhputzer aus Streetlife in London von John Thomson dem „Who is Who“ aus der Galerie Contemporain gegenüber, unter ihnen Victor Hugo und Eugène Delacroix.
Damit schließt diese Ausstellung eine museumspädagogische Lücke in der Sammlung Georg Schäfer, die zwar Portraits präsentiert, aber die Kunst der Fotografie ausklammert.
Prof. Dr. Wolf Eiermann, Direktor
Museum Georg Schäfer, Brückenstraße 20, 97421 Schweinfurt.
Öffnungszeiten: Di 10 – 20 Uhr, Mi – So 10 – 17 Uhr. An jedem ersten Dienstag im Monat freier Eintritt für das gesamte Haus.
Eintrittspreise: 11 Euro (erm. 9 Euro)