Claude Debussy, dessen 100. Geburtstag sich am 25. März zum 100. Male jährt, ist ein Phänomen: Ein funktionaler Analphabet, kaum des Lesens und Schreibens kundig, erfindet quasi im Alleingang eine neue Stilepoche, den musikalischen Impressionismus, und wird zu einem der größten Komponisten der Musikgeschichte. Debussy wuchs in bescheidenen Verhältnissen im Pariser Vorort St. Germain-en-Laye auf, dann in Paris, wo sein Vater als Buchhalter arbeitete. Eine Schule konnte er nie besuchen, dafür versuchte ihm seine Mutter wenigstens spärliche Grundlagen des Lesens, Schreibens und Rechnens zu vermitteln. Mit Orthographie und Grammatik stand er zeitlebens auf Kriegsfuß, obwohl er sich als Erwachsener bemühte, diese Defizite auszugleichen. Die Musik spielte im Hause Debussy keine große Rolle trotz einer gewissen Affinität seines Vaters zur Operette. Wären da nicht ein Pate und eine recht wohlhabende Dame aus gehobenen Pariser Kreisen gewesen, die das Talent des jungen Claude erkannten, ihm eine Klavierausbildung ermöglichten und ihn so auf das Pariser Konservatorium vorbereiteten. Schon bald errang er Preise als Pianist und wurde in die Kompositionsklasse aufgenommen.
Da er mit 18 Jahren noch nicht in der Lage war, sein Geld eigenständig zu verdienen, verdingte er sich bei der reichen russischen Adligen Nadeschda F. von Meck – die auch Peter Tschaikowski ein Leben lang unterstützte – als Klavierlehrer ihrer Kinder und begleitete diese Kunstliebhaberin auf ihren zahlreichen Reisen durch Europa. 1884 beteiligte er sich erfolgreich am Wettbewerb um den Prix de Rome, die höchste Auszeichnung, die einem französischen Komponisten zuteil werden konnte. Der Gewinn war mit einem Stipendium für einen vierjährigen Aufenthalt in der römischen Villa Medici verbunden. Doch Debussy fühlte sich in dieser „Anstalt“ eingeengt und unterbrach den Aufenthalt vorzeitig. Ab 1887 pflegte Debussy ein Leben als Bohèmien und schlug sich mit Gelegenheitskompositionen und Musikkritiken durch. Die Bindungen zu Frauen endeten dramatisch, bis er 1901 die Bankiersfrau Emma Bardac kennenlernte, sie später auch ehelichte und mit ihr seine Tochter „Chouchou“ bekam.
Erst 1894 hatte Debussy mit dem in Paris uraufgeführten „Prélude à l’après-midi d’un faune“, das später aufgrund seiner kühnen Harmonik als der wesentliche Ausgangspunkt für die Neue Musik (des 20. Jahrhs.) eingeschätzt wurde, den endgültigen musikalischen Durchbruch geschafft. Weitere orchestrale Schlüsselwerke der anhebenden Moderne wurden die „Images“, die „Nocturnes“ und die große symphonische Dichtung „La Mer“. 1902 kam die völlig neuartige, sich bewusst von Wagner absetzende Oper „Pelléas et Mélisande“ zur Uraufführung, die zunächst auf Unverständnis stieß, dann aber nachhaltigen Erfolg hatte. Der Kammermusik hat Debussy manche Perle geschenkt, so das Streichquartett und das Klaviertrio, aber das Oeuvre für Klavier nimmt in seinem Schaffen den größten Raum ein. Hier gelangen ihm Werke mit nie zuvor gekanntem Raffinement wie die „Images“, die „Études“ und vor allem die beiden zwischen 1909 und 1912 entstandenen Bände der „Préludes“. Dieser klavieristische Kosmos gehört zum anspruchsvollsten und schwierigsten, was je für das Instrument geschrieben wurde und gilt bis heute als einer der wichtigsten Gradmesser für die technischen und interpretatorischen Fähigkeiten von Pianisten.
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Fotografie von Claude Debussy, ca. 1880, Foto © Nadar