Beim Blick auf vergangene Zeiten, die ja vorgeblich immer die besseren waren, verklärt sich manches, vor allem dann, wenn die gegenwärtigen nur noch als Abglanz einstiger Pracht erscheinen. Ödön von Horváth hat in „Zur schönen Aussicht“ den Niedergang eines alten Edelschuppens zur Absteige für die Übriggebliebenen mit einem interessant gemischten Humankapital ausgestattet. Das fällt gleich in der ersten Szene übereinander her, und das Publikum begreift sofort: hier ist Zoff angesagt. Ziemlich lärmender übrigens, denn vom ersten Moment an werden alle Affekte bis zum Anschlag ausgereizt.
Dafür gibt es allerdings auch einige triftige Gründe, denn die hier versammelten Zu-kurz-Gekommenen haben kompensatorisch einiges nachzuholen, vor allem in pekuniärer Hinsicht. Kein Wunder also, dass man sich bald an die Gurgel geht, zunächst wegen des Restvermögens einer alten Dame, später wegen der unverhofft aufgetauchten Fortüne einer erheblich jüngeren.
Das gilt vor allem für den Freiherr von Stetten, der so blank ist, dass er sogar die Bittstellerei bei seiner verhassten Schwester nicht scheut, um aus den Miesen zu kommen. Die ist nämlich noch einigermaßen liquide, was auch einige andere Motten ans Licht kommen lässt, z.B. einen abgehalfterten Schauspieler, einen charmanten Kleinkriminellen und einen zwielichtigen Chauffeur. Eine schöne Mischpoke ist das, und so verwundert es kaum, dass man sich ständig in der Wolle liegt. Das sorgt von Beginn an für reichlich Turbulenz und genügend Dezibel.
Im geschlossenen Theaterraum wäre das zu explosiv, doch im weiten Rund der Alten Hofhaltung darf sich der permanente Druck in den Äther entladen. Weites Rund? Na ja, eigentlich stimmt das nicht mehr so ganz, denn die Calderón-Spiele, die sich einst über den ganzen Platz der Alten Hofhaltung erstreckten, sind ja seit einiger Zeit zusammengeschrumpft auf eine Art Kammerspiel, benötigen aber verwunderlicherweise trotzdem akustische Verstärkung.
Die Geschichte nimmt eine Wendung mit dem plötzlichen Auftauchen einer gewissen Christine, die ihren Ex-Lover mit ihrer Schwangerschaft konfrontiert und bei dem Männerquartett prompt auf Ablehnung stößt: Alimente, ach ja, wir wissen schon… Das Blatt wendet sich jedoch, als sie gesteht, plötzlich zu ansehnlichem Reichtum gekommen zu sein und damit zu einer interessanteren Partie wird als die alte Freifrau, für deren finanzielles Wohlwollen eine gewisse Portion Prostitution unabdingbar ist.
Doch eine Prostitution ersetzt die andere, und nun beginnt der Hahnenkampf um die zunehmend irritierte Christine, wozu Luis Graninger (Bühne und Kostüme) sogar die Hawaihemden auspackt. Das furiose Quartett um Max (Leon Tölle), Karl (Pit Prager), Müller (Marek Egert) und Strasser (Stefan Herrmann) legt eine schauspielerische Performance hin, die perfekt getimt und austariert ist. Den Kontrast dazu bietet Stephan Ulrich mit seinem köstlich jämmerlichen Freiherrn, der es noch mit altbackener Distinktion versucht, freilich vergeblich. Jeanne Le Moign verleiht der Christine eine betont kühle Note. Ob des Gebarens all dieser Mannsbilder trifft sie mit ihrer Attitüde genau jene ratlose Verwunderung, die letztlich einen verfrühten Abgang nahelegt.
Iris Hochberger muss die facettenreichste Rolle meistern. Zu Anfang eine endgeile Freifrau, die statt auf erotisches Vermögen auf ihr pekuniäres setzen muss und ihre Macht deshalb wirkungsvoll an dem brüderlichen Jammerlappen und von Spielschulden geplagten Emanuel ausreizen kann, endet ihr unvermeidlicher Abstieg in einem Häufchen Elend. Das oszilliert zwischen krass und elend, grandios gemacht! Die verbale Höchststrafe der Erniedrigung, „alte Frau“, wird ihr gleich mehrfach entgegen geschleudert. Überhaupt, gegen Ende zündet das fatale Männerquintett alle sattsam bekannten misogynen Kracher, freilich genügend ironiegestützt.
Aktuelle Anspielungen finden sich in Susi Webers Regie vereinzelt, doch sie sind nicht grobschlächtig, sondern von der feineren Art. So muss man schon genau hinhören, wenn es nicht mehr um die Frage „sein oder nicht sein“ geht, sondern um „klein oder nicht klein“. Die Inszenierung besticht durch ihren mit traumwandlerischer Akkuratesse durchchoreographierten Verlauf. Was die Regie allerdings dazu treibt, alles unter Dauerfeuer zu stellen und kaum Zwischentöne zuzulassen – man fragt es sich, und frau sicherlich auch. Alte Weisheit: manchmal ist weniger mehr…
Insgesamt ein etwas zu lärmender Abend, zumindest für die empfindsameren Gemüter. Aber ein kurzweiliger, weil unterhaltsamer. Und die Moral von der Geschicht? Kann man bei Petra Schiller nachlesen und lautet leicht abgewandelt: eigentlich sind wir doch die Guten, wir kommen nur so selten dazu.