Dass Kunst nicht primär das Ziel verfolgt, den ästhetischen Anforderungen des Betrachters zu entsprechen oder dessen Erwartungen zu erfüllen, ist weitläufig bekannt. Entgegen alter Bildtraditionen kann Kunst Provokation und im besonderem Maße auch Reflektion bedeuten. Bezogen auf Letzteres spielen vor allem die Reflektion der Umwelt und des eigenen Ichs des Künstlers eine zentrale Rolle.
Auch in Bettina van Haarens Ausstellung „Waldwasen durchlöchert“, die seit Mitte Oktober und noch bis 12. März 2017 in der Kunsthalle Schweinfurt besucht werden kann, stehen Künstlerin und Umwelt in einer besonderen Beziehung zueinander. Immer präsent ist in ihren Werken vor allem das Spiel mit Oberfläche, Oberflächlichkeiten und Innenansichten. Die 1961 in Krefeld geborene Professorin für Zeichnung und Druckgraphik an der Technischen Universität Dortmund malt zumeist großformatige Bilder mit besonderer Motivik. Auffallend oft porträtiert sie sich selbst, allerdings weniger aus Gründen der Selbstinszenierung, wie man es von Künstlern wie Dürer oder Rembrandt kennt, sondern vielmehr zum Zwecke des Selbststudiums. In der Bildkomposition nimmt ihr Körper eine zentrale Stellung ein. Mit dem Blick auf die eigene Biographie gerichtet, stehen die Hinterfragung von Identität, sozialer Zugehörigkeit und des gesellschaftlichen Rollenbildes im Vordergrund ihres Schaffens. Oft sind Fragmente ihres Körpers, die perspektivisch übereinandergelegt werden, nackt, das Inkarnat so präzise und bis ins kleinste Detail dargestellt, dass schonungslos jede Ader und Hautunebenheit zu sehen ist. Dem gegenüber stehen Alltagsgegenstände wie Häkeldeckchen, Gummischlangen, Müllbeutel oder präparierte Tiere. Sie sind freischwebend und scheinbar ohne jeglichen Bezug zueinander im Raum angeordnet, sodass keinerlei Tiefenwirkung entsteht. Nicht nur durch die scheinbar willkürliche Anordnung der Bildelemente, sondern auch aufgrund der verschiedenen im Bild eingesetzten Mal- und Zeichenmedien – skizzenartige und an Studien erinnernde Rötelzeichnungen stehen neben kunstfertig ausgearbeiteten Ölmalereien – erinnern van Haarens gegenständliche, surreale und zuweilen auch verstörend wirkende Bilder an Collagen aus Fragmenten einer sichtbaren Welt, die nicht den gängigen Sehgewohnheiten entsprechen (wollen) und bewusst einen großen Interpretationsspielraum zulassen.
Trotz der für den Betrachter sehr symbolhaft wirkenden Bildelemente, deren Bedeutung sich nicht unbedingt sofort erschließen lässt, spielt bei Bettina van Haaren vor allem das Studium kontrastierender Oberflächen eine zentrale Rolle. Stofflichkeit wie glänzende Plastikbeutel, weiche, fließende Tücher und alltägliche Kleidungsstücke sowie das kurze seidenglatte Fell eines Leoparden vermag die Künstlerin eindrucksvoll wiederzugeben. Die Haut als schützendes Organ wird immer wieder ins Zentrum des Geschehens gerückt. Sie bildet die Grenze zwischen Äußerem und Innerem. Ungeschönt porträtiert sich Bettina van Haaren in jedem ihrer Werke selbst und widersetzt sich damit dem gängigen Schönheitsideal einer oberflächlichen Welt. Obwohl ihre Werke nicht als Provokation zu verstehen sind, scheinen sie bei so manchem Betrachter dennoch genau diese Wirkung zu erzielen. In einer digitalisierten Gesellschaft, die der täglichen Reizüberflutung mehr oder weniger schonungslos ausgesetzt ist, erstaunt das etwas. Die verschiedenen Gegenstände und Tiere, die sich fragmentarisch zu van Harrens Selbstporträts gesellen, zeigen, wie die Künstlerin jene Gesellschaft wahrnimmt und reflektiert. So sind die toten, präparierten Tiere auch als solche dargestellt und wagen den Versuch einer Kritik an umwelt- und gesellschaftspolitische Themen wie z. B. der Massentierhaltung.
Die Ausstellung „Bettina van Haaren – Waldwasen durchlöchert“ wird an den drei Standorten Tuttlingen, Schweinfurt und Ludwigshafen präsentiert und ist aktuell zu Gast in Schweinfurt. Zur Ausstellung erschienen ist ein Katalog, der in Fachbeiträgen von Dr. Erich Schneider, ehem. Leiter der Kunsthalle Schweinfurt, Barbara Auer, Direktorin des Kunstvereins Ludwigshafen, und Anna-Maria Schindlbeck, Leiterin der Galerie der Stadt Tuttlingen, verschiedene Sehweisen darlegt und dem Kunstinteressierten einen Einstieg in das Werk Bettina van Haarens und ihrer persönlichen Symbolwelt bietet.
Museumspädagogisches Angebot:
16.02.2017, 19 Uhr
„Atem/Siebenschmerzen/TotenRoteln. Worte und Bilder“
Lesung und Künstlergespräch mit Bettina van Haaren und Alfred Gulden.
Die Künstlerin Bettina van Haaren und Alfred Gulden, deutscher Schriftsteller, Dramatiker, Lyriker, Lieder- und Filmemacher, haben gemeinsam drei Bücher veröffentlicht.
Copyright Foto:
Pontormos Ablage, Eitempera/Öl auf Leinwand, 2013/2014, Foto © VG BildKunst Bonn, 2016