Eins, zwei, drei Kulturareale wenigstens lassen sich beim Blick auf die Stadtkarte in München augenfällig ausmachen. Das Kunstareal München, der Gasteig und das Kreativquartier. Allesamt umgeben von weiteren Kulturhäusern und Kreativorten, die als Satelliten zu den drei größeren Arealen die Polyzentrik der Münchner Kulturlandschaft unterstreichen.
Kunstareal München – Kulturnetz in der Maxvorstadt
Im Herzen der Stadt, zwischen Königsplatz und Theresienstraße, glänzt das heutige Kunstareal München, die über 200 Jahre kontinuierlich gewachsene Meile zahlreicher Kunst- und Kulturhäuser. In einem Karree von 500 x 500 Metern bündeln sich 18 Museen und Ausstellungshäuser, über 20 Galerien und sechs international renommierte Hochschulen in fußläufigen Abständen zueinander. Die Spannbreite der Präsentationen reicht von der Hochkultur Ägyptens über die Antike bis hin zur Gegenwart und fasst somit 5.000 Jahre Kulturgeschichte. Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen mit der Alten Pinakothek, der Neuen Pinakothek, der Pinakothek der Moderne (Die Neue Pinakothek ist wegen einer Generalsanierung für mehrere Jahre für die Öffentlichkeit geschlossen. Sie können die Kunst der Neuen Pinakothek allerdings digital erleben: In der Online-Sammlung der Pinakotheken sind insgesamt 25.000 Kunstwerke gelistet. ), die in sich vier Museen für Kunst, Grafik, Architektur und Design verbindet und das Museum Brandhorst. Die Glyptothek, die Akademie der Bildenden Künste und das Staatliche Museum Ägyptischer Kunst. Das paläontologische Museum, das Museum Mineralogia München und das NS-Dokumentationszentrum. Allesamt untergebracht im Kontrast von prachtvollen, historischen Bauten und herausragenden Neubauten international renommierter Architekten. Eingebettet in die lebendige Umgebung der Maxvorstadt mit ihren trendigen Straßencafés und Restaurants, herrlichen Grünanlagen sowie historischen und denkmalgeschützten Gärten. Seit 2009 ist die Stiftung Pinakothek der Moderne treibender Motor der Entwicklung der historisch gewachsenen Struktur im Sinne einer besseren Vernetzung, Präsentation und Förderung des Kunstareals, wie sie durch den Freistaat Bayern und die Stadt München intendiert wird. Das blitzt hier und da durch, ist allerdings bei weitem noch nicht so prägnant erkennbar, wie das in vergleichbaren Kunstarealen der Fall ist. Der Ideenwettbewerb „Open Kunstareal“ könnte Abhilfe schaffen.
Er intendiert die Aufenthaltsqualität im Kunstareal und die Interaktion seiner Besucher weiter zu steigern. Angesprochen werden Designer:innen, Künstler:innen und Architekt:innen. Ideen von Möblierung bis Kunstinstallation sind denkbar. Dabei ist Kunst als Bindeglied des Areals nicht neu. Bereits mehrfach verbanden Installationen im öffentlichen Raum die Highlights der Schätze aus der Antike und Meisterwerke, beispielsweise der Künstler:innengruppe „Der Blaue Reiter“ oder den kleinsten und größten Dinosaurier zu einer zusammenhängend wahrnehmbaren Fläche. Das Areal ist gewachsen und nicht konstruiert. Die gewachsene Struktur zu verweben, die Vielfalt zusammenzudenken, bleibt eine besondere Herausforderung. Das zweijährlich stattfindende Kunstareal-Fest belebt diesen Gedanken seit Jahren aufs Neue. So spinnt sich das Netz des Areals und verbindet Leonardo Da Vinci, Peter Paul Rubens, Andy Warhol, Cy Twombly, Caspar David Friedrich, Carl Spitzweg, Max Liebermann, Jovis Corinth, Edgar Degas, Claude Monet, Pierre-Auguste Renoir, Paul Gaugin, Vincent Van Gogh, Paul Cézanne und viele andere zu einem Rundgang durch 5000 Jahre Kunstgeschichte.
Gasteig und Gasteig HP8 –
Europas größtes Kulturzentrum zwischen Tradition, Vision und Realität
Ein Areal anderer Art subsumiert seit Mitte der 80er Jahre die großen Institutionen Münchner Stadtbibliothek, Münchner Volkshochschule und Münchner Philharmoniker unter einem Dach und weckt Synergien und Freiräume entsprechend durchlässiger und zusätzlicher Nutzung für zahlreiche Sonderformate aller Genres. Darunter internationale Festivals wie das Filmfest München, Spielart, das Literaturfest, digitalanalog oder die Münchner Biennale für neues Musiktheater. Ebenso zog das Richard-Strauss-Konservatorium in das Kulturquartier „am gachen Steig“.
Ausgangspunkt für die deutlich älteren Überlegungen war die prekäre Situation der beteiligten Institutionen und die Idee diese mit einem Generalaufschlag zu lösen. Der verheerende Bombenangriff 1944 zerstörte die beiden größten Konzertsäle Münchens. Den Philharmonikern fehlte lange ihr eigenes Haus. Gleichzeitig gab es seitens Richard-Strauss-Konservatorium, Stadtbibliothek und Volkshochschule zunehmend die Idee ihre räumlichen Desiderate einer zukunftsfähigen Lösung zuzuführen. Mit weitreichenden Plänen für den „Gasteig“ als Lösungsmodell für ein umfassendes Raumprogramm dieser Einrichtungen - und darüber hinaus - wuchs die Idee eines Institutionen verbindenden Bauwerks, bis der Stadtrat in den 70ern eine konsolidierte Lösung beschloss. Knapp zehn Jahre später feierte die Stadt München am 10. November 1985 die Eröffnung des 23.000 m2 umfassenden Areals mit einem Gebäudekomplex von 80.000 m2 Fläche. Die vier großen Anker zogen in ihre lang ersehnten, eigenen Räumlichkeiten, die synergetisch auch über diese hinaus Raum für diverse Programmbausteine boten. Europa war um ein großes, frühes Kulturareal reicher. Nach knapp 30 Jahren Nutzung allerdings, war das Gebäude stark sanierungsbedürftig geworden, was alle Beteiligten vor große Herausforderungen stellte und noch stellt. Im Januar 2018 beschloss der Münchner Stadtrat mit großer Mehrheit die Sanierung des Geländes, das mit 450 Millionen € Kostenvolumen Europas größte Kulturbaustelle werden sollte. Den Architekturwettbewerb entschied das Münchner Architekturbüro Henn für sich. 2020 wurden die Vorplanungen dem Stadtrat präsentiert. Parallel entstand, in nur 18 Monaten, der Gasteig HP8, das Interimsquartier in Sendling, das am 8. Oktober 2021 mit einem Festkonzert der Münchner Philharmoniker in der neuen Isarphilharmonie eröffnet wurde. Beim Heizkraftwerk Süd, auf einem Werksgelände der Stadtwerke München, findet nun alles statt, was schon das Kulturzentrum in der Rosenheimer Straße attraktiv gemacht hat.
Überraschend kam der Sanierungsstopp für das Großprojekt. München wollte einen Investor für die Maßnahme gewinnen, fand jedoch offensichtlich keinen geeigneten Bewerber. Seitdem steht die Zukunft des Gasteigs in Frage, bangen die Institutionen um ihre Zukunft. Kurzerhand startete dort eine Zwischennutzungsphase durch Künstler:innen und Kreativszene im unsanierten Gebäude, die neue Fragen aufwirft.
Derweil strahlt das HP8 als eingespielte Zwischenlösung und erhöht seinen Pulsschlag weit über die Nutzung durch seine zentralen Einrichtungen hinaus. Die Isarphilharmonie und die räumlichen Möglichkeiten in ihrem Umgriff, sind aus München längst nicht mehr wegzudenken. Ihre Zukunft wird im Reigen der Entscheidungsfindung mitzudiskutieren sein.
Noch im Dezember will der Münchner Stadtrat das Thema Gasteig wieder aufgreifen und Lösungen für das kulturelle Mammut-Projekt präsentieren. Es bleibt zu hoffen, dass die Entscheidungsträger den nötigen Mut und Weitblick haben, das seiner Zeit weit voraus gewesene mächtige Kulturareal in seinem interdisziplinären Gewand nicht nur wiederherzustellen, sondern, wie eindrucksvoll architektonisch geplant, zu einem neuen, alten Glanzpunkt der Kulturmetropole zu machen. München hat mit dieser überfälligen Reanimation die herausragende Chance sich auch im Felde der Kulturareale der Welt stark zu positionieren, das weltweit rasant an Bedeutung gewinnt, weil es große, starke, schwellenarme, offene Räume kreiert, die Synergien schaffen und große Magnetfunktion und Ausstrahlung bieten. Kulturorte der Zukunft sind in Kulturarealen der Zukunft als Summe weit mehr als dessen Teile. Dies sollte sich eine exquisite Kulturstadt mit breiter Mine auf die Fahnen schreiben.
Kreativzentrum München – Kunst und Konversion als Chance
Jüngstes Kind der Münchner Kulturareale ist das „Kreativzentrum München“. Auf dem Gelände der ehemaligen Luitpoldkaserne sind zahlreiche Kreativzellen zusammengekommen, ein vitales, diverses Feld kultureller Aktivitäten zu entfalten. In der Schwere-Reiter-Straße, zwischen Neuhausen, Schwabing und Innenstadt, wurden Wünsche zur Wirklichkeit. Die lebendige freie Szene der Stadt sucht und findet Möglichkeitsräume für Ateliers, Büros und Veranstaltungen. Hier betreiben Künstler:innen Ateliers und offene Werkstätten, arbeiten Designer und Künstler:innen in ihren Studios, findet sich die Szene der freien darstellenden Künste und bündeln sich Einrichtungen der kulturellen Bildung. Das gesamte Gelände wird regelmäßig bespielt: Performances, Ausstellungen, Workshops und Konzerte. Inspirierende Atmosphäre und kreatives Milieu wurden zum Dauergast des Areals. Das Provisorium lässt Raum für Entwicklung, verfestigt sich strukturell aber längst zur Spielfläche mit entsprechenden Standards. Die Aneignung des Raums trotzt eingefahrener Gesetzmäßigkeiten und schafft dennoch und gleichzeitig nachhaltige Formen. Der kreative Prozess wird zum Maßstab jeglicher Aktion. Entwicklung ist der Weg, nicht das Ziel. Unter dem Dach Labor München e.V. versammelt sich die Entwicklungsgemeinschaft des Kreativquartiers und unterstreicht den gewünschten Labor-Charakter des kreativen Zentrums. Unter anderem sind Halle 6, IMAL – International Munich Art Lab, Import Export, KlangBüro, MUCCA – Munich Center of Community Arts, Munich Maker Lab, Rat & Tat, Stiftung Federkiel, deutsche exotik, DOK.fest, enigma film GmbH, Galerie Kullukcu & Gregorian, Institut für Glücksfindung, Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft, Leonrod-Haus für Kunst, Kultur und Kommunikation, Theater werkmünchen, NEO – Eventservice, Quartiersbüro, Tanzbüro München, tanznetz, Theaterbüro München und mehrere Dutzend Einzelkünstler gemeinsam organisiert. Sie finden zentral in München bezahlbaren Raum für Ideen, ihre Entwicklung und Wachstum. Das Kreativzentrum München ist fruchtbarer Boden geworden für die geballte Energie einer ideenreichen Kultur- und Kreativszene mit Gründergeist. Eindrucksvoller Beweis ist „Das schwere reiter“. Die Spielstätte, die 2008 auf Initiative von Tanztendenz München e.V., PATHOS München e.V. und Kunstbahnsteig/Karl Wallowsky entstand, etablierte sich schnell als fester Spielort der Münchner Freien Szene, die hier Raum findet zum Proben, Produzieren und Vernetzen. Das freie Drei-Sparten-Haus zog 2021 in das neu geschaffene Domizil. Das Münchner Architekturbüro Mahlknecht Herrle hatte die Idee des markanten Neubaus mit seiner außergewöhnlichen Spundwandfassade. Es besitzt eine Spielfläche von ca. 200 m2 mit einer Tribüne für 114 Sitzplätze. Angrenzend an den Bühnenraum sind Foyer, Bar und Terrasse. Auf der Rückseite des Bühnenraums finden sich Studio (ca. 120 m2) und Backstage-Bereich mit Garderoben und Produktionsbüros. So fand das Kreativzentrum München sein neues Herzstück, das schnell neue Festivalformate etablieren und zu deutlich erhöhter Besucherfrequenz des Areals beitragen konnte. Es schreibt schrittweise Erfolgsgeschichte und deutet wegweisend Richtung Zukunft. Auf dass auch das dritte Areal der bayerischen Hauptstadt sich, wie seine großen Brüder, schnell unsterblich machen kann und seine Geschwister als Laborfläche mit festem Unterbau ergänzt.