Potsdam: das Arkadien Friedrichs des Großen, in dem er sich sein Lustschloss, seine sorgenfreie Maison de plaisance, Sanssouci, erbaute. Eine Stadt, die Touristen aufgrund ihrer an Schlössern und Gärten reichen Kulturlandschaft lockt. Nun hat diese Kulturlandschaft vor einem Jahr – am 20. Januar 2017 feierlich eröffnet mit Kanzlerin Merkel u. a. – ein Herzstück hinzugewonnen, welches als neuartiger Publikumsmagnet fungiert: das Museum Barberini. Der alte Fritz dieses Jahrhunderts heißt Hasso Plattner, SAP-Mitbegründer sowie Stifter und Mäzen. Während Friedrich II. 1771/72 das Palais Barberini am Havelufer nach dem Vorbild des von Gian Lorenzo Bernini entworfenen barocken Palazzo Barberini in Rom erbauen ließ, veranlasste Plattner 2013 seine Neuerrichtung, nachdem der Bau 1945 vollständig zerstört und abgerissen wurde. Über Sinn und Zweck der Rekonstruktion wurde lange gestritten (und wird es seitens der Kritiker wohl noch), wichtiger scheint aktuell jedoch die Frage, ob das neue Museum die Feuertaufe bestanden hat. Dieser Frage wollten wir nachgehen und haben uns mit Direktorin Dr. Ortrud Westheider zum Gespräch verabredet. Vorab haben wir dem Museum selbst einen Besuch abgestattet.
Vormals als bürgerliches Wohnhaus geplant, beheimatet das helle, lichtdurchflutete Palais statt wohlhabender Bewohner nun standesgemäße Kunst. Die Sammlung Plattners, deren Augenmerk auf dem Impressionismus liegt, findet hier ihr neues Zuhause. Weitere Sammlungsschwerpunkte konzentrieren sich auf Amerikanische Kunst sowie die Kunst der DDR. So hält der Kunstschatz Höhepunkte der modernen Kunstgeschichte von Claude Monet, Max Lieberman und Edward Munch über Bernhard Heisig und Werner Tübke bis hin zu Martin Kippenberger und Gerhard Richter bereit. Ergänzt wird diese hochkarätige Sammlung durch wechselnde Ausstellungen von internationalem Renommee.
Angeregt durch die impressionistische Vorliebe Plattners war es auch diese Epoche, die den Auftakt mitbestimmte. Eröffnet wurde das Museum Barberini mit der Exposition „Impressionismus. Die Kunst der Landschaft“ und zog mit all der seichten Leichtigkeit, den lichtgetränkten Landschaften und pittoresken Weiten bereits im ersten Monat 60.000 Kunstliebhaber an. Ein geschickter Schachzug, ist doch der Impressionismus allseits beliebt. Sogleich folgte im Sommer indessen eine Ausstellung, die genauso schlau konzipiert war, jedoch bereits eine Entwicklung aufzeigte, die deutlich machte, dass es nicht darum ging, leicht zugängliche Kunst zu zeigen, sondern eine Kunst mit bisweilen ganz eigenwilligem Charakter, Ecken und Kanten, Abstraktionen und offenen Fragen: „Von Hopper bis Rothko. Amerikas Weg in die Moderne“. Die dritte und letzte Ausstellung des Jahres ging noch eine Stufe weiter und präsentierte unter dem Titel „Hinter der Maske“ DDR-Kunst, die sich mit bedrückenden Themen wie Unterdrückung und Zensur befasste. Eine Steigerung, die Spannung erzeugt und Neugier erschafft, welches Sujet wohl als nächstes aufgegriffen und in einer hoffentlich ebenso gelungenen Exposition widergespiegelt wird.
In naher Zukunft liegt der Akzent auf wahrlich großen Namen. So erwarten die Besucher im Jahr 2018 gleich drei der bedeutendsten Künstler der Moderne und Gegenwartskunst. Spielerisch läutet Max Beckmann das neue Kunstjahr mit seinem „Welttheater“ ein. Vom 24. Februar bis zum 10. Juni verwandelt sich das Museum Barberini in eine Welt des Theaters, des Zirkus‘, des Karnevals und des Varietés, der Gaukler und der Täuschung. Beckmann neigte dazu, das Bild als Bühne zu inszenieren und eine bizarre, leicht anrüchige Szenerie des Närrischen zu kreieren, sich selbst stets als Beobachter im Hintergrund haltend oder im Selbstbildnis als Clown portraitierend. Die Zurschaustellung trieb ihn an. Doch entgegen aller Heiterkeit, die derartige Darstellungen erwarten lassen, verleibt Beckmann seinen Protagonisten, all den Tänzerinnen, Jongleuren und kunstseidenen Mädchen, eine Apathie ein, Anstrengung, bisweilen Verzweiflung. Dem Publikum malt er mit präzisen und dennoch kraftvollen Pinselstrichen gelangweilte, desillusionierte Anteilnahmslosigkeit in einen jeden seiner Blicke. Sein Welttheater amüsiert nicht, es bekehrt nicht, und doch strahlt hinter den kargen Fassaden und ins Leere führenden Blicken ein Hauch von Leichtigkeit, ein Schimmer von Hoffnung hervor, wie Max Beckmann 1940 selbst in seinem Tagebuch formulierte: „Wenn man dies alles - den ganzen Krieg, oder auch das ganze Leben – nur als eine Szene im Theater der Unendlichkeit auffasst, ist vieles leichter zu ertragen.“
Ab dem 30. Juni bis zum 07. Oktober widmet sich das Haus am Alten Markt der Abstraktion und einem ihrer poetischsten Vertreter: „Gerhard Richter. Abstraktion“ zeigt 80 Werke aus dem Gesamtwerk des Ausnahmekünstlers, die abstrakte Strategien aufweisen. Während Richter in den 1960er-Jahren der Photomalerei frönte und sich in den 1970ern zuweilen mit monochromen grauen Bildern befasste, nimmt die Abstraktion mittlerweile einen Großteil seines Œuvres ein. Ein Wechselspiel aus bewussten Entscheidungen und zufälligen Prozessen charakterisiert dabei seine Werkgruppen, das mit einem Farbauftrag anhand von Pinsel, Rakel und Spachtel beginnt und erst viele Farbaufträge später endet, wenn das Werk die typisch Richter’sche Stufe einer Perfektion erreicht, die kein Weitergehen mehr zulässt.
Die Dreifaltigkeit der diesjährigen Ausstellungen komplettiert „Henri-Edmond Cross. Maler des Glücks“. Das Museum Barberini zeigt mit dieser Schau die erste Retrospektive des Neo-Impressionisten in Deutschland, der nach seiner Bekanntschaft mit George Seurat den Pointillismus für sich entdeckte. Cross begann fortan, seine Farben nicht mehr auf der Palette zu mischen, sondern sie in kurzen Pinselstrichen, gar Punkten, auf die Leinwand zu setzen. Formal innovativ und auf Kontraste fokussiert, nahm Cross sich inhaltlich einer zeitlosen, immerwährenden Thematik an: der Suche nach dem individuellen Glück.
Soweit der Ausblick auf die kommenden Monate. In einem Interview mit der Direktorin des Museum Barberini – Dr. Ortrud Westheider – blicken wir zurück auf das vergangene Ausstellungsjahr und ziehen Bilanz.
Art. 5|III: Frau Dr. Westheider, in den ausführlichen Pressemitteilungen Ihres Hauses liest man von 60.000 Besuchern allein im ersten Monat nach Eröffnung und dem erfolgreichsten Start eines Kunstmuseums in Deutschland. Wenn Sie das erste Jahr des Museum Barberini mit einem Wort beschreiben könnten, welches wäre dies?
Dr. Westheider: Das Wort heißt “magnetisch”. Zunächst aufgrund des wiederaufgebauten Palais Barberini, ferner wegen der Initiative des Stifters Hasso Plattner und natürlich nicht zuletzt wegen der Ausstellungsthemen, die einfach so viele Menschen angezogen haben. Das kann man nur magnetisch nennen.
Art. 5|III: Welche Faktoren machen das Museum Barberini zu einem solch magnetischen Ort?
Dr. Westheider: Das wieder aufgebaute Palais ist, denke ich, ein Unicum in der deutschen Museumslandschaft. Hinzu kommt der Zusammenhang mit der Stifterinitiative: Folglich handelt es sich hier um ein privates Museum in den neuen Bundesländern. Ergänzend tritt die unvergleichliche Kulturlandschaft Potsdams mit ihren Schlössern und Gärten hinzu. Zu all dem gesellt sich nun ein Kunstmuseum, was mit seinen internationalen Ausstellungen das sowieso schon internationale Publikum besonders interessiert.
Art. 5|III: Was haben Sie aus dem ersten Jahr gelernt?
Dr. Westheider: Dass das Interesse an den Themen der klassischen Moderne und des Impressionismus groß ist. Folglich wird der Impressionismus unser Schwerpunkt bleiben. Aber auch unsere jetzige Ausstellung zur Kunst in der DDR ist ein weiteres relevantes Augenmerk und wir werden sehr darin bestärkt, dass das gerade jetzt ein ganz großes Thema ist.
Art. 5|III: Was erwartet die Besucher 2018 im Museum Barberini?
Dr. Westheider: 2018 haben wir drei wichtige Ausstellungen. Das ist einmal “Max Beckmann. Welttheater.”, wodurch wir das Zurschaustellen hier präsentieren. Dann werden wir im Sommer eine Ausstellung über Gerhard Richter und die Abstraktion in seinem Œuvre zeigen. Und die dritte Ausstellung ist einem Maler des Lichts gewidmet: Henri-Edmond Cross, ein Neo-Impressionist, der in Deutschland kaum bekannt ist, obwohl er in der internationalen Zeit vor dem ersten Weltkrieg von Frankreich kommend unter anderem in Berlin viel ausgestellt hat. Dafür arbeiten wir eng mit dem Impressionismus-Museum in Giverny zusammen, um eine große Retrospektive seines Werkes zu ermöglichen.
Art. 5|III: Im Obergeschoss gibt es einen Saal, der der Präsentation wechselnder Werke aus der Sammlung vorbehalten ist, korrespondieren diese stets mit der aktuellen Ausstellung oder welche Kriterien liegen der Auswahl zugrunde?
Dr. Westheider: Ja, wir versuchen immer, in den parallelen Präsentationen eine Ergänzung zu erschaffen. Wir werden jetzt beispielsweise Klaus Fußmann zum 80. Geburtstag eine Ausstellung einrichten, die heißt “Menschen und Landschaften”. Und das ist parallel zu Beckmann ein schönes Äquivalent. Und während der Gerhard-Richter-Schau werden wir eine Ausstellung zum Expressionismus präsentieren.
Art. 5|III: Im Vorfeld verschiedener Ausstellungen finden Symposien statt, welches Ziel haben diese?
Dr. Westheider: Das Ziel der Symposien ist, den Ausstellungskatalog vorzubereiten. Wir laden die Autoren ein, zu deren Themen wir dann über die Ausstellung den Bezug finden und die wir im Katalog abdrucken möchten. Und das heißt, der Besucher kann sich dieses Symposion anhören und später im Katalog alles nachlesen. Selbstverständlich können im Anschluss an die Vorträge auch Fragen gestellt werden. Das ist eine wunderbare Art, eine große Ausstellung vorzubereiten, weil man auf diese Weise auch eine Gruppe von Forschern hat, an die man sich jederzeit mit allen denkbaren Fragen im Laufe der Vorbereitung wenden kann. Man hat die Spezialisten bereits ganz am Anfang an Bord und das ist einfach toll.
Art. 5|III: Bevor Sie ans Museum Barberini kamen und hier den Direktoren-Posten einnahmen, waren Sie lange Zeit am Bucerius Kunstforum in Hamburg. In wiefern unterscheidet sich die Arbeit an einem staatlichen Hamburger Museum von der Arbeit an einem Haus in Potsdam?
Dr. Westheider: Es ist so, dass das Museum Barberini das einzige Kunstmuseum in Potsdam ist, wenn man die Bildergalerie von Friedrich dem Großen beiseite lässt. Und das ist ein signifikanter Unterschied, weil hier das Interesse für das Museum Barberini von Anfang an enorm war. Vonseiten der Politik und der Bürgerschaft, aber auch vonseiten des Landes Brandenburg. Das Museum Barberini steht hier so sehr im Fokus, wird unglaublich stark unterstützt, dass sich das deutlich von einer Stadt wie Hamburg unterscheidet, wo es immerhin sechs staatliche und bedeutende Museen gibt. Dieser Unterschied ist selbstverständlich absolut positiv zu bewerten, nicht zuletzt weil Kunst und Kultur für Potsdam traditionell große Anziehungskräfte darstellen und somit auch im Tourismus und Marketing eine wichtige Rolle spielen. Insofern ist die Unterstützung besonders groß und das ist sehr positiv.
Art. 5|III: Da unsere Leser ja vorwiegend im Süden Deutschland beheimatet sind, lautet meine letzte Frage: Weshalb lohnt es sich, den weiten Weg nach Potsdam zurückzulegen und das Museum Barberini zu besuchen?
Dr. Westheider: Wir sehen, dass viele Besucher nicht nur von Berlin aus herkommen, sondern dass viele Potsdam wirklich als Reiseziel entdecken und auch mehrere Nächte bleiben. Es gibt tatsächlich eine Menge zu entdecken. Mit dem Museum Barberini setzen wir natürlich einen Akzent in der Kunst, aber man kann den Museumsbesuch auch hervorragend mit einem Besuch der Schlösser und Gärten, wie beispielsweise Sanssouci, kombinieren, oder auch mit einem Aufenthalt in Brandenburg mit all seinen Seen, Wäldern und den landschaftlichen Schönheiten. Wir haben hier das UNESCO-Kulturerbe direkt vor der Türe, wo man vor allem im Sommer mit Wassersport und langen, ausgedehnten Spaziergängen in den Parks einen sehr erholsamen, aber auch kulturell bereichernden Aufenthalt erleben kann.
Fotocredits:
Museum Barberini, Rückansicht, Foto © Helge Mundt, Museum Barberini
Ausstellungsansicht „Hinter der Maske. Künstler in der DDR“ im Museum Barberini, Foto Helge Mundt, © Museum Barberini
Bill Gates, Matthias Platzeck und Günther Jauch, Eröffnung Museum Barberini, Foto: © Franziska Krug