
Wie haben wir sie vermisst und wie oft wurde ihr Sterben in den letzten Monaten geradezu herbeigeschrieben, die Kultur. Oder besser gesagt die vielen kulturellen Veranstaltungen, die wir Otto Normalbürger so über das Jahr hinweg besuchen. Egal ob Kinofilm oder ein symphonisches Konzert, ob Kindervorstellung oder Studiobühne im Theater. Allenthalben drohte kulturelle Demenz und wir sind mehr als froh, dass sich das Blatt doch noch in letzter Sekunde gewendet hat. Zumindest vorläufig. Im gleichen Maß wie sich die Pandemie zurückzuziehen schien, konnten kulturelle Veranstaltungen sich wieder nach vorne wagen und letztlich auch stattfinden. Einer derjenigen die dies möglich gemacht haben ist Wolfgang Heyder, Geschäftsführer des Bamberger Veranstaltungsdienstes, einer der großen Konzertveranstalter in Bayern. Wir wollten von ihm aus erster Hand wissen, wie es denn angelaufen ist und wie es nun weitergehen wird.
Wolfgang Heyder:
Trotz der rasant steigenden Zahlen muss man die Situation differenziert betrachten. Die Delta-Variante ist sehr ansteckend. Auf der anderen Seite sind die vulnerablen Gruppen der Bevölkerung am stärksten geimpft, so dass die Inzidenz sicher nicht mehr das alleinige Signal zum Handeln sein kann. Die Hospitalisierung in den Krankenhäusern wird sicher auch eine Rolle spielen. Meiner Meinung nach sollte es keinen weiteren Lockdown geben, sondern die Maßnahmen getroffen werden, die notwendig sind: Impfkampagnen intensivieren, Maskenpflicht für bestimmte Bereiche beibehalten und Lüftungsgeräte für Schulen anschaffen. In der Gastronomie wird es die 3-G-Regel brauchen, auch wenn sich die Situation nochmal verschärfen sollte.
Wolfgang Heyder:
Ich glaube schon, dass es auch im Kulturbereich keinen Lockdown mehr geben wird, schließlich hat es sich je erwiesen, dass von den Kulturveranstaltungen kein Risiko ausgeht. Es gibt da keine Infektionen und keine Ausbrüche, weil alle Beteiligten es dort sehr gut machen. Seit 15. Juli 2021 haben wir schon über 100 Veranstaltungen gehabt und es ist nichts passiert. Die Konzepte stimmen, alle halten sich daran, auch die Besucher sind aufmerksam und auch rücksichtsvoll, halten Abstand, tragen ihre Masken. Aber was nützt dies alles, wenn sich an anderer Stelle niemand an die Regeln hält. Wenn man am Samstagabend durch die Bamberger Sandstraße gehen muss, dann will man das eigentlich gar nicht tun. Party vor jeder Kneipe, keiner trägt eine Maske, niemand sitzt auf Stühlen… da achtet kein Mensch drauf. Oder in Berlin, da war ich auch vor ein paar Tagen. Party überall und keiner hält sich an Abstands- oder Hygieneregeln wie das Maskentragen. Und dann sehe ich unsere Veranstaltungen, die wie oben beschrieben, völlig korrekt ablaufen. Sollen die dann wieder abgesagt werden? Das wäre für mich nicht mehr nachvollziehbar. Es läuft sehr gut in der Gastronomie, in Theatern oder auch in den Kinos, im privaten Bereich ist es eher eine Katastrophe.
Wolfgang Heyder:
Also gerade in Bamberg hat man mit wirksamen Handlungen einfach viel zu lange gewartet und das lag sicherlich nicht an den Ordnungskräften. Es schien keinen politischen Willen zu harten Einschnitten zu geben, eventuell ist dies ja auch dem laufenden Wahlkampf geschuldet. Ich halte das für fatal. Man kann nicht auf der einen Seite sehr enge Hygienekonzepte abfordern und noch rigidere Maßnahmen wie beispielsweise Lockdowns anordnen, die ich bei aller Betroffenheit durchaus befürworte, und auf der anderen Seite einen kompletten „Wildwuchs“ zulassen ohne ordnend einzugreifen. Das macht mich schon sauer, weil wir als Veranstalter alles tun, damit unsere Künstler und Besucher in geregelten Bahnen Spaß haben können. Und in anderen Bereichen gibt oder gab es bislang gar keine Reglementierung. Ich war am Samstag sowohl mittags als auch abends in der Sandstraße und es war immer voll, keine Abstände, Masken, nichts. Ich habe schon Verständnis für die Menschen und insbesondere die Jugend, aber die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen, wie sie gerade uns Veranstalter trifft, ist für mich so gar nicht nachvollziehbar.
Wolfgang Heyder:
Wir haben das Restart-Konzept an vielen schönen Plätzen im Landkreis umgesetzt und sind freiwillig unter unseren Besuchermöglichkeiten geblieben. Wo 1.000 – 1.500 Personen möglich gewesen wären, haben wir mit maximal 500 Besuchern veranstaltet. Gerade die Konzerte auf den Bierkellern haben super funktioniert, aber auch der Rest war nicht wirklich schlecht. Kapazitätstechnisch lässt sich das zwar nicht wirtschaftlich darstellen, aber die Fördertöpfe haben doch einiges möglich gemacht. In Bad Staffelstein hatten wir mit je 900 Besuchern zwölf ausverkaufte Veranstaltungen, mussten aber auf eigene Kosten eine Sonderbühne im Park aufbauen, natürlich mit den üblichen Hygienekonzepten. Auch hier hat mich die Disziplin der Besucher beeindruckt.
Wolfgang Heyder:
Gerade wird eine 50 %-Belegung im Schachbrettmuster diskutiert, um Abstände trotz gesteigerter Besucherzahlen möglichst groß zu halten. Aus meiner Sicht wird es unter Einbeziehung der bestehenden Hygienekonzepte weitergehen, auch wenn wir hier und da mit geringeren Kapazitäten planen müssen. Bei unserem Literaturfestival BAMLIT gehen wir derzeit von einer 30-prozentigen Auslastung aus. Aber dass gar nichts mehr stattfinden kann, glaube ich persönlich nicht. Auch weil die Menschen diszipliniert sind und die Hygienekonzepte sehr gut greifen. Was ich mir nicht vorstellen kann ist, dass es so wie in Niedersachsen und Baden-Württemberg eine komplette Öffnung geben wird. Auch nicht, wenn wir uns der 2-G-Regel unterwerfen sollten. Eine Veranstaltung mit 5000 Menschen in der Bamberger Brose Arena sehe ich momentan nicht. Auch nicht wenn es nur Geimpfte und/oder Genesene wären.
Wolfgang Heyder:
Das muss man sich schon ganz genau überlegen. Wir haben jetzt schon im Herbst 30 Veranstaltungen mit 600 bis 4.500 Besuchern, die zum Teil schon ausverkauft sind, in das Jahr 2022 verlegt, weil wir nicht davon ausgehen, dass sie tatsächlich so stattfinden können. Aber wir sind ja auch nicht die Einzigen in diesem Entscheidungsprozess. Grundsätzlich muss auch der Künstler oder seine Agentur dem zustimmen, selbst wenn der Gesetzgeber dies möglich machen sollte. Ich sehe so ein Öffnungsszenario in Bayern derzeit nicht.
Wolfgang Heyder:
Auf der einen Seite sind wir bei vielen Veranstaltungen kostentechnisch schon in Vorleistung getreten wo mitunter auch unklar ist, ob wir von dem Geld noch einmal etwas wiedersehen. Dann haben wir aber auch die Gutscheinregelung, die uns hilft, ein wenig Liquidität zu bewahren. Und unsere Kunden gehen diesen Weg mit. Vielleicht ein konkretes Beispiel: Peter Maffay mussten wir komplett für 2022 absagen, weil sich der Künstler dazu entschlossen hat, nächstes Jahr nicht in Deutschland zu spielen. Natürlich waren wir mit den geplanten Veranstaltungen im Vorverkauf und konnten auch schon etliche Tickets absetzen. Für diese Tickets haben wir dann nach der endgültigen Absage Gutscheine an die Käufer herausgegeben.
2022 haben wir auf dem Coburger Schloßplatz im Rahmen des HUK-Coburg Open Air ein Konzert mit PUR geplant und da haben schon viele ihre Kartenkäufe mit den Peter Maffay Gutscheinen bezahlt. Das Modell funktioniert also.
Aber Wirtschaftlichkeit bedeutet ja auch, dass wir momentan nicht mit den vollen Kapazitäten planen können. Da haben wir eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder macht man ein Konzert gar nicht oder der Künstler zollt den geringeren Besuchsmöglichkeiten Tribut und man einigt sich auf eine geringere Gage, die dann wirtschaftlich noch darstellbar ist. Bei manchen funktioniert das, bei anderen wiederum nicht. Grundsätzlich sprechen wir hier schon von einer anderen Kalkulation als früher unter normalen Bedingungen. Die Grundkosten (Miete, Personal, Technik, Sicherheit etc.) für die Konzerte sind annähernd gleich oder teilweise sogar noch höher, die Besucherzahlen dagegen geringer.
Wolfgang Heyder:
Im Sommer bei den Open Airs ist das schon ein Modell, wo durch die Sponsoren ein Teil der Grundkosten gedeckt werden kann. Das sehe ich schon als Win-Win-Situation, weil der Sponsor natürlich auch besonders prägnant präsentiert wird.
Wolfgang Heyder:
Gut gemeint, manchmal auch gut gemacht, aber häufig auch schon so, dass es ins Leere läuft. Wir konnten bei der ersten Verlegung der großen Open Airs beispielsweise einen Vertrag mit der Kulturinitiative machen, aber durch die zweite Verschiebung die notwendig wurde, lief dieser Vertrag leider ins Leere. Oder bei unserem breit angelegten Literaturfestival BAMLIT fördert der Kulturfonds beispielsweise nur ein Drittel der Veranstaltungen, weil der Rest nicht den qualitativen Ansprüchen des Kulturfonds gerecht wird. Was gut ist für das Publikum ist in diesem Fall dann nicht förderungswürdig. Es gibt bei der Inanspruchnahme von solchen Hilfsmitteln teilweise so hohe Erfordernisse, dass bestimmte Fördertöpfe gar nicht oder nur teilweise in Anspruch genommen werden. Oder bei der Wirtschaftlichkeitshilfe, da ist das Verfahren so kompliziert, dass du zusätzliches Personal zum Bearbeiten bräuchtest und so etwas konterkariert die Hilfsprogramme.
Wolfgang Heyder:
Nein. Grundsätzlich werden diese Hilfsprogramme erstmal aufgesetzt und hinterher versucht man in Online-Meetings die Programme zu erklären. Man will helfen, aber am Ende ist die Umsetzung schwierig. Die Veranstalter sind im BDKV organisiert und unser Verband hat sich immer gut eingebracht, aber Kultur- und Konzertveranstalter haben einfach keine hör- und sichtbare Lobby. Das ein oder andere konnte man beeinflussen, mehr aber auch nicht. Leider konnten wir gerade die Kurzfristigkeit, mit der die Politik mitunter entscheidet, nicht nachhaltig ändern, was für uns natürlich ganz wichtig gewesen wäre. Wenn man als Veranstalter über 100 Konzerte vor der Brust hat, da muss man schon mittelfristig planen und nicht von heute auf morgen.
Wolfgang Heyder:
Nein, mir ist nichts bekannt. Bei der Wirtschaftlichkeitshilfe ist es ohnehin schon so, dass diese endet, sobald Öffnungen wieder möglich sind. Wenn uns die Politik Mitte September mitteilt, dass ab sofort wieder alles möglich ist, dann heißt das ja nicht, dass wir im September und Oktober wieder volle Häuser haben. Wir als Veranstalter brauchen einen gewissen zeitlichen Vorlauf, müssen Räume mieten, Künstler engagieren und vor allem den potenziellen Besuchern mittels Werbung auf die Veranstaltung aufmerksam machen. Das geht nicht über Nacht.
Wolfgang Heyder:
Das war in der Tat unterschiedlich. Und auch nicht immer nachvollziehbar. Im Forchheimer Stadtpark hatten wir beispielsweise ein Programm mit 400er Kapazitäten aufgelegt, das hat sehr gut funktioniert. Dann haben wir Veranstaltungen Open Air gemacht, die in geschlossenen Räumen sehr gut funktionieren, teilweise auch mehrmals im Jahr, die gingen gar nicht. Grundsätzlich war die Nachfrage geringer, als wir eigentlich erwartet hatten. Kabarett, Klassik und Kultur gingen schlechter als erhofft, bei Rock/Pop war die Nachfrage wesentlich höher. Großartig funktioniert haben die Auftritte der lokalen Bands auf den Bierkellern, von denen wir ca. 25 – 30 organisiert hatten.
Wolfgang Heyder:
Ich glaube, dass die Leute einfach vorsichtig sind. Das Virus ist immer noch allgegenwärtig und es gibt einfach Menschen, die davor Angst haben. Man sieht immer noch Leute, die allein im Auto sitzen und Maske tragen oder dir im Wald beim Joggen entgegenkommen, mit einer Maske über Mund und Nase. Da hat die Pandemie wohl nachhaltige Spuren hinterlassen.
Wolfgang Heyder:
Ich finde diese Diskussionen, die da im Vorfeld sind, unverständlich und zum Teil auch unterirdisch. Man muss sich das mal vorstellen. Eine Veranstaltung, die einmalig ist in Bayern, ein absolutes Alleinstellungsmerkmal für Bamberg und dann so etwas. Was das Stadtmarketing Bamberg da auf die Beine stellt, ist gar nicht hoch genug zu bewerten. Gerade diese Problematik mit den zehn Euro Schutzgebühr. Die Besucher essen und trinken doch sowieso, meistens sogar für mehr als zehn Euro, da gibt es doch gar keinen Ansatz für Kritik. Und dass diese Gutscheine Teil des Hygienekonzeptes waren (Stichwort Kontaktnachverfolgung), das blieb irgendwie auch außen vor. Und nicht zuletzt stellen sich die Gastronomen auch nicht mehr irgendwohin, ohne zu wissen, ob es nicht einen gewissen Umsatz geben wird.
Wolfgang Heyder:
Ich denke es wurde vieles durch andere Rathausthemen überlagert, aber ich glaube, dass solche Diskussionen einfach einem guten Projekt schaden. Da hätte es schon ein wenig Beistand gebraucht. So ein Event verschlingt eine Menge Geld, das haben viele Leute nicht auf dem Schirm. Und so ein Leuchtturmprojekt mit solch einem Effekt für Bamberg hätte sicher mehr Unterstützer denn Kritiker verdient.
Wolfgang Heyder:
Zu Beginn der Pandemie hieß es, dass es ca. drei Jahre dauern wird, bis wir die Pandemie besiegt haben und damit so etwas wie Normalität überhaupt wieder eintreten kann. Damals hatte ich meine Zweifel, aber weit sind wir davon nicht mehr entfernt. Leider wollen sich viele nicht impfen lassen und das sehe ich schon als Problem. Als Veranstalter sehe ich da schon noch echte Probleme auf uns zukommen. Wir haben ca. 250 Veranstaltungen, die wir zum Teil schon mehrfach verlegt haben, mit Zustimmung der Künstler, Hallenvermieter und sonstigen Beteiligten. Wenn wir diese Situation nicht bald durchbrechen können, dann wird die Lage für uns Veranstalter und auch die anderen Mitspieler im Kulturbereich sicherlich noch wesentlich ernster werden.
Herr Heyder, wir danken für das offene Gespräch.