
Angekommen am Bahnhof in Bayreuth. Unprätentiös und unscheinbar, nicht ganz zentral, deutet die Straße abwärts den Weg in die zweitgrößte Stadt Oberfrankens. Vorbei am streitbaren Rathaus, schließlich mehr und mehr in den alten Teil der Stadt, der einen guten Teil der Bayreuther Sehenswürdigkeiten birgt. Das Markgräfliche Opernhaus, seit 2012 UNESCO Welterbestätte. Das neue Schloss, Standort der Universitätsverwaltung und des Naturkundemuseums. Die Stadtkirche St. Marien. Das Alte Schloss, mit dem Historischen Museum, ein Ort der regionalgeschichtlichen Erinnerungen. Das Richard-Wagner-Museum, im ehemaligen Wohnhaus des Komponisten, der Villa Wahnfried und das Jean-Paul-Museum im Wohn- und Sterbehaus des Dichters. Die Steingräber Klaviermanufaktur, gegründet 1852 von Eduard Steingräber. Sie ist eine der ältesten Klaviermanufakturen in Deutschland und für ihre exzellente Klangqualität, Handwerkskunst und Innovation bekannt. Musiker:innen weltweit schätzen die hochwertigen Instrumente. Sie ist ein wichtiger Bestandteil der musikalischen Tradition von Bayreuth und setzt auch gegenwärtig mit hochkarätigen Konzerten dicke Ausrufezeichen im Bayreuther Kulturkalender. Dann der Hofgarten, das grüne Herz der Stadt. Er wurde im 17. Jahrhundert angelegt und diente als Lustgarten für das Neue Schloss. Gegenwärtig ist er beliebt für die Naherholung im Grünen, aber auch regelmäßig Ort für kulturelle Darbietungen. Stadtauswärts südlich lockt die Eremitage, der prächtige, barocke Park mit verschiedenen Gebäuden und Grotten, der von Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth im 18. Jahrhundert gestaltet wurde. Auf dem grünen Hügel – das Festspielhaus, eine der größten Opernbühnen der Welt. Und als Austragungsort der alljährlichen Festspiele der sicherlich wichtigste Ort für die Kulturstadt Bayreuth. Auch sie stehen ganz im Zeichen Richard Wagners und sind ausschließlich den Werken des deutschen Komponisten gewidmet. Sie wurden von ihm selbst ins Leben gerufen und finden seit 1876 im eigens dafür erbauten Festspielhaus statt. Heute zählen sie zu den renommiertesten Musikfestivals der Welt, dessen Gäste einzigartige Interpretationen von Wagners Werken in der speziell für sie konzipierten Akustik des Festspielhauses erleben dürfen. Die Aufführungen konzentrieren sich vor allem auf Wagners berühmte Opern, darunter „Tristan und Isolde“, „Die Meistersinger von Nürnberg“ und „Parsifal“ sowie den bekannten Opernzyklus „Der Ring des Nibelungen“. Sie finden von Ende Juli bis Ende August statt und fassen bei etwa dreißig Darbietungen jeweils bis zu 2.000 Besucher:innen. In jedem Stein, an jeder Ecke werden die engen Verbindungen der zwei bedeutenden Persönlichkeiten der Kulturgeschichte, Wilhelmine von Preußen und Richard Wagner zu Bayreuth deutlich. Ihr Einfluss auf die Stadt ist bis heute ungebrochen. Wagner ist nahezu omnipräsent. Von Übergangsresidenz über Wohn- und Wirkstätten bis hin zum Wagner-Walk, der sich auf seine Spuren begibt, um jährlich ausgewählte Themen entlang einer ausgewählten Route zu präsentieren und dessen Standorte (Haus Wahnfried, Meysenbughaus, Erster Wohnsitz, Restaurant Eule, Markgräfliches Opernhaus, Festspielhaus u.a.) der dirigierende Wagner des Künstlers Ottmar Hörl markiert, dessen Wagner-Hunde bereits Jahre zuvor die Stadt eroberten. Erst im Schlagschatten folgen Franz Liszt und Jean Paul, deren Leben und Wirken in der Stadt ebenfalls eindrücklich museal verankert sind. Die 1988 von der Stadt Bayreuth erworbene Liszt-Sammlung ist in chronologischer Manier konzipiert. Sie umfasst Porträts sowie Büsten und Masken, Dokumente und Handschriften. Auch Instrumente, unter anderem Liszts Stummklavier, sind ausgestellt.
Die Einrichtung des Jean-Paul-Museums ermöglichte die großherzige Stiftung von Dr. Philipp Hausser, einem Nachfahren der einstigen Vermieter Jean Pauls. Darunter Autographen, Erstausgaben, Porträts und Bildmaterial. Franz Liszt und Jean Paul werden so greifbar. Ihre Zeit in Bayreuth erlebbar.
Doch vor allem ist Bayreuth Wagnerstadt. Und damit zuvorderst außergewöhnliche Musikstadt mit einer herausragenden Rolle des Musiktheaters. Dazu tragen auch die jährlich wiederkehrenden Festivals bei, wie das Osterfestival (März/April), die Musica Bayreuth (Mai), das Sparda Bank Klassik Open Air (Juni), das Bayreuther Klavierfestival bei Steingraeber & Söhne (Juli), das Festival junger Künstler (August), das internationale Festival Bayreuth Baroque (September) und das A Cappella-Festival „Sangeslust“. Der November steht dann mit dem vom Jazzforum Bayreuth veranstalteten „Jazznovember“ insbesondere im Zeichen der Jazzmusik und setzt einen Kontrapunkt zur sonst umfassenden musikalischen Rückschau über mehrere Jahrhunderte.
Immerhin teilweise zeitgenössisch geben sich der Jean-Paul-Artspace und das Kunstmuseum Bayreuth. Seit 1999 lädt es im Alten Barockrathaus zur Besichtigung der eigenen Sammlung, ergänzt um zahlreiche Stiftungen, unter anderem Dauerleihgaben der in Bayreuth ansässigen Oberfrankenstiftung. Augenfällige Kulisse sind die ehemaligen Oberbürgermeisterräume mit ihren aufwändig gestalteten Rennaisancedecken. Im Schwerpunkt sind es Werke des 20. Jahrhunderts, die in den alten Gemäuern präsentiert werden: Expressionismus, Konstruktivismus, Surrealismus, Neue Sachlichkeit. Abstraktion, Konkretion, Concept Art bis Fluxus und Happening. Bis 28. August ist noch die Sonderausstellung zu Kunst am Bau zu sehen. Bis 13. Oktober die Doppelschau „Traum und Wirklichkeit“ mit Werken von Francisco de Goya und George Grosz. Gegenwartskunst zeigt regelmäßig der Bayreuther Kunstverein. Aktuell auch ausgewählte zeitgenössische Positionen im Neuen Schloss der Eremitage.
Weit zurückgefallen wirkt die übrige Theaterwelt der Wagnerstadt. Selbst die Gastspiele in der Stadthalle können aktuell aufgrund derer Sanierung nicht stattfinden. Die kleinen Produktionen des Städtebundtheaters Hof finden im Europasaal des Jugendkulturzentrums statt. Wer die großen Produktionen sehen will, wird auf den kostenlosen Shuttle vertröstet. Immerhin die Studiobühne Bayreuth, ein freies Theater mit professionellem Team, garantiert seit bereits über 40 Jahren Ensembletheater aller Gattungen. Seit 2008 baut parallel das Marionettentheater „Operla“ ein thematisch sehr an Bayreuth gebundenes Repertoire (Tannhäuser, Stück über Markgräfin Wilhelmine u.a.) auf. Theatralischer Glanzpunkt ist vor allem das Bayreuther Theaterfestival, das Wochenende ganz im Zeichen inklusiver und integrativer Theatergruppen aus ganz Deutschland. Und die Universität bespielt Bühnen in verschiedenen, frischen Inszenierungen.
Besondere kulturelle Facette verkörpert auch das Iwalewa-Haus, organisatorisch an die Universität angebunden, inhaltlich den zeitgenössischen Kunstwerken bildender und populärer Kunst aus Afrika, der afrikanischen Diaspora sowie Asiens und des pazifischen Raums verschrieben. Seine Sammlung ist inzwischen auf über 12.000 Werke angewachsen und ist damit die größte Sammlung zeitgenössischer afrikanischer Kunst in Europa. Bayreuths hierin gelebte Affinität zu Afrika ein Alleinstellungsmerkmal, das sich viele Jahre lang auch im wundervollen Format Grenzüberschreitungen manifestierte.
Insgesamt zeichnet Bayreuth ein sehr ambivalentes Bild einer Kulturstadt. Auf der einen Seite internationale Spitze mit Musiktheater à la Wagner. Dazu eine sorgfältig erfahrbar gemachte Geschichte entlang der wichtigen Biographien der Stadt. Auf der anderen Seite auffällige Lücken in den Sparten Theater, Literatur, Tanz und im Zeitgenössischen. Zum einen reichhaltiges kulturelles Erbe mit einer außergewöhnlichen Welterbestätte, zum anderen blinde Flecken in den Bereichen Jugendkultur, Digitales, Innovation. Das räumlich gut aufgestellte Jugendkulturzentrum wirkt darin wie ein Tropfen auf den heißen Stein und pflegt ganz offensichtlich ein Publikum bis ins höhere, junggebliebene Alter. Wagner, Wagner, Wagner. Wilhelmine und nochmal Wagner. Franz Liszt und Jean Paul. Wer in diese Persönlichkeiten und ihre Zeit eintauchen möchte, ist in Bayreuth genau richtig. Dieses Versprechen löst Bayreuth definitiv ein und konzentriert sich folgerichtig auf die zentralen Facetten ihrer eigenen Geschichte. Mit Goya und Grosz sind aktuell einige weitere eindrückliche Namen ausgestellt, für die sich eine Reise nach Bayreuth lohnt.
Die insgesamt unausgeglichene Situation mag zahlreiche Gründe haben. Sie erklärt möglicherweise auch die seit vielen Jahren hohe Fluktuation im Bayreuther Kulturreferat, dem mit dem aktuellen Wechsel von Benedikt Stegmeyer nach Würzburg schon wieder eine Vakanz droht. Dabei wagt die Stadt mit dem Ausbau der Stadthalle zum Friedrichsforum einen beachtlichen Schritt in ihre kulturelle Zukunft. Und hat sich in diesem Zusammenhang eine große, symbiotische Wirkstätte auf die Fahnen geschrieben – mit einem hoffentlich guten, vielleicht gar die Asymmetrien ausgleichenden Effekt?