Viele kennen ihn, auch wenn er nicht im Rampenlicht stand. Christian Schmölder, der Betriebsdirektor der Bamberger Symphoniker, geht zum 31. Dezember 2020 in den Ruhestand. Wir haben uns kurz vor seinem Abschied mit ihm getroffen, um einen Blick auf seine Laufbahn zu werfen und zu sehen, was nun vor ihm liegt. In den 34 Jahren, in denen er seinen Dienst verrichtete, gibt es fast keine Position, die er nicht innegehabt hat: Geschäftsführer und Stellvertretender Intendant, Leiter des Orchesterbüros, Direktor für Vermarktung und Finanzen, Betriebsdirektor und auch, gleich mehrmals, (Zwischen)Intendant, das alles hat Christian Schmölder in dieser Zeit geleistet. Mehr als ein Grund, ihn aus seinem Leben erzählen zu lassen.
Christian Schmölder: Diese Frage lässt sich gar nicht so einfach beantworten, wie es auf den ersten Blick erscheint. Als ich 1986 zu den Symphonikern kam, gab es neben dem Intendanten und mir gerade einmal 2,5 weitere Planstellen in der Verwaltung. Dieses Führungsduo wurde 2005, als die Aufgaben immer komplexer geworden und so einfach nicht mehr zu bewältigen waren, um eine dritte Person ergänzt. Das war Marcus Rudolf Axt, der damals zum ersten Mal für die Symphoniker tätig war, seinerzeit als Orchestermanager. Der ist heute Intendant, und Orchestermanager ist nun Markus Karl Stratmann. Zurück zur Frage: Für mich wird es keinen direkten Nachfolger geben. Die Intendanz wird umstrukturiert, es wird wieder ein Führungsduo geben, meine Aufgaben werden auf mehrere, zum Teil neue Personen und Positionen verteilt.
Christian Schmölder: Das Gegenteil ist der Fall. Wenn es im Lauf der Jahre mal eine zusätzliche Stelle gab, wurde die ad hoc zum Schließen einer entstandenen Lücke geschaffen. Dieses Mal gibt es eine wohlüberlegte Strategie, sämtliche Aufgaben werden neu sortiert und neu gebündelt, es läuft also alles andere als holprig und schon gar nicht überstürzt. Die Neuen beginnen jetzt sukzessive.
Christian Schmölder: Na ja, ich gehe nun mal in Rente, und aus den verschiedensten Gründen habe ich noch eine Menge Resturlaub, den ich nicht verfallen lassen durfte. Aber es gibt ein harmonisches, bestens aufeinander eingespieltes Team, das den Übergang zweifellos bestens meistern wird.
Christian Schmölder: Ja, ich wurde 1955 in Bremen geboren und bin dort aufgewachsen (Anm. d. Red.: Christian Schmölder ist verheiratet und hat drei Kinder, seine Frau hat zuvor in London bei Christie‘s gearbeitet, kennengelernt haben sie sich in Bonn, seine Frau ist nach der Heirat 1988 dann von London nach Bamberg gezogen). Aber das war es auch schon. Meine Vita ist auch sonst ziemlich kurz: Abitur, Führerschein und später noch ein Bootsführerschein (lacht), also keine richtiggehende Berufsausbildung. Meine erste berufliche Entscheidung, die ich im Alter von etwa 15 Jahren traf, war, dass ich nicht Musiker werde. Hintergrund war die Erkenntnis, dass ich bei aller Liebe zur Musik nicht den Drang verspürte, täglich stundenlang zu üben, was man schon in diesem Alter aber muss, wenn man Musiker werden will. Gleichzeitig hatte ich in Jugend- und Laienorchestern gespielt und dabei festgestellt, dass ich an den organisatorischen Dingen ebenso viel Freude hatte wie am Musizieren. Und das hat sich dann festgesetzt. Als nach Abitur und „Dienst“ die Berufsfrage anstand, stand ich vor dem Dilemma, dass es noch keine Studiengänge in Kultur- oder Musikmanagement gab. Und so landete ich in einem Jura-Studium. Jura deswegen, weil es nicht streng schulisch aufgebaut war und ich daher am ehesten Chancen für Freiräume sah, Kontakte Richtung Musikwelt zu knüpfen und mich auch mit den juristischen Grundfragen zu befassen.
Schon bald nach Beginn des Studiums 1976 in Bonn hatte ich das große Glück, einen Konzertveranstalter kennenzulernen, der zu der Zeit – Bonn war Bundeshauptstadt – nicht nur weit und breit, sondern wohl deutschlandweit der bedeutendste private Konzertveranstalter war, mit exzellenten Kontakten in die Musik- und Kunstszene und nicht zuletzt auch in die Politik. Alle großen europäischen und amerikanischen Orchester traten regelmäßig bei ihm auf, die renommiertesten Solisten gaben sich förmlich die Klinke in die Hand. In diese Welt und ihre organisatorischen Abläufe samt Künstlerbetreuung konnte ich hineinschnuppern – und habe darüber mein Studium „fleißig“ schleifen lassen. Auch ohne Anstellung habe ich damals tiefe Einblicke gewinnen und insbesondere prüfen können, ob diese Art von Tätigkeit das Richtige für mich sei.
Tatsächlich ergab sich da, noch vor einem ersten Examensversuch, ein Kontakt zur damals größten deutschen Konzertagentur in Hannover. Darauf habe ich mich dann fokussiert, und tatsächlich wurde mir auch ohne Studienabschluss ein fester Job angeboten. Ich kannte bereits viel Musikliteratur, die Abläufe von Reisen und Engagements, wusste, was Künstler brauchen, und ich kam irgendwie an. Den Ausschlag für das Angebot gab wohl die Aufmerksamkeit, die ich hervorgerufen hatte, als ich einem jungen Dirigenten helfen wollte. Dabei hatte ich offenbar so viel Initiative, Geschick und Hartnäckigkeit gezeigt, dass der Chef mir Künstlervermittlung zutraute. Einen solchen Einstieg hätte ich im Alter von 28 Jahren rein mit einem Studienabschluss niemals geschafft.
Bald hatte ich von Hannover aus intensiven Kontakt zum damaligen Intendanten der Bamberger Symphoniker, Rolf Beck, und konnte eine ganze Reihe von Dirigenten und Solisten zu Gastauftritten vermitteln. Als dann Ende 1986 die Stelle des Orchestergeschäftsführers und Stellvertretenden Intendanten in Bamberg vakant wurde, fragte mich Herr Beck, ob ich mir das vorstellen könne, und nach einem erfolgreich durchlaufenen Bewerbungsverfahren bin ich dann nach Bamberg gekommen.
Christian Schmölder: Ich kam wegen des Orchesters nach Bamberg. Die Agentur war zwar eine „tolle Adresse“, die Aufgabe war wirklich ausfüllend und spannend, unterm Strich aber war sie doch eher verwalterischer Natur. Vieles musste ich in Abhängigkeit von übergeordneten Künstleragenturen regeln und hatte somit wenig direkten Kontakt zu den Künstlern, für die ich doch verantwortlich war. Außerdem fehlte mir das Konzert am Abend, nach 3 Jahren Schreibtisch wollte ich wieder näher an die Musik. Und die Art der Bamberger Symphoniker zu musizieren hatte mich seit Jugendtagen in Bremen fasziniert, wo ich sie häufiger erlebt hatte und jedes Mal begeistert war. Es ging also nicht um die Stadt, sondern um die Aufgabe und um dieses Orchester. Aber auch im Vergleich der beiden Städte, ihrer Lebensqualität und kulturellen Ausstrahlung, liegt Bamberg natürlich weit vorne.
Christian Schmölder: Jein. Solange das Orchester in der Rechtsform eines Vereins geführt wurde, brauchte man zwei Vorstände. Die erste Erste Vorsitzende war Hella Rappoldi, die sich zwar offiziell Geschäftsführerin nannte, aber doch Intendantin war. Frau Rappoldi fand die Unterstützung in dem Hornisten Josef Fischer, der später mehr und mehr Aufgaben in der Geschäftsführung übernahm und schließlich ganz in die Geschäftsstelle wechselte. Als Herr Fischer ging (1981), gab es vorerst keine entsprechende Planstelle in der Intendanz. Diese konnte Herr Beck dann 1982 einrichten. Nachdem mein Vorgänger Bamberg nach nur 4 Jahren wieder verlassen hatte, gehe ich nun also als der dritte Stellvertreter seit 1946 von Bord. Wovon einer nur 4 Jahre da war …
Christian Schmölder: Ja, es war eine riesige Umstellung, aber es gab einige hilfreiche Vorerfahrungen: Probenpläne und Reisearrangements waren nicht neu für mich, ich hatte auch schon einige Orchestertourneen betreut. Eine Reihe Gastdirigenten und Solisten kannte ich, die ich zuvor nach Bamberg vermittelt hatte und es gab schon ein gewachsenes Vertrauensverhältnis zu Herrn Beck. Außerdem hat mich dieses wunderbare Orchester, dessen „Geist des Miteinanders“ auch abseits der Bühne ich sofort sehr deutlich spürte, mit offenen Armen aufgenommen. Das half alles ungemein.
Christian Schmölder: Die war über Jahrzehnte stabil: 49 % des Zuschussbedarfs zahlte der Bund, 39 % der Freistaat Bayern, 10 % die Stadt Bamberg und 2 % der Bezirk Oberfranken. Nachdem der Bund 1995 entschieden hatte, Ende 2003 auszusteigen, musste eine neue Regelung gefunden werden. Diese Frist wäre beinahe erfolglos verstrichen, wenn es dem früheren Intendanten Paul Müller nicht relativ kurz nach seinem Amtsantritt und quasi in letzter Sekunde gelungen wäre, ab 2004 eine tragfähige Lösung zu erreichen: Auf der Grundlage eines Staatsvertrags erhöhte der Freistaat seinen Finanzierungsanteil auf 80,5 %, die Stadt den ihren auf 12,3 %, der Bezirk trägt nun 6,2 % und der Landkreis beteiligt sich seitdem mit 1 % am Zuschuss.
Vor dem Hintergrund der Verdopplung seines Zuschusses drängte der Freistaat anfänglich auf eine Namensänderung in Richtung „Bayerische Staatsphilharmonie“, so dass das Orchester sich „Bamberger Symphoniker – Bayerische Staatsphilharmonie“ nennen sollte. Da ab und an tatsächlich jemand diese neue und vor allem lange Bezeichnung auf Konzertprogramme und Plakate schrieb, kam es mitunter zu kuriosen Geschichten. So schrieb einmal ein Kritiker nach einer Mahler-Aufführung, dass es bei einer derart riesigen Besetzung kein Wunder sei, dass sich die Bamberger Symphoniker durch Mitglieder der Bayerischen Staatsphilharmonie verstärkten. Hinzu kam, dass „die Symphoniker“ nun als „(Staats)Philharmonie“ in der „Sinfonie an der Regnitz“ spielen sollten. Da gab es ständig Verwirrungen und Ungereimtheiten. Heute finden die Konzerte zum Glück in der Konzerthalle statt und die Bamberger Symphoniker sind wieder die Bamberger Symphoniker, aber natürlich im Rang einer Bayerischen Staatsphilharmonie. Und alle sind zufrieden.
Christian Schmölder: Jeder einzelne ist ganz besonders haften geblieben (lacht…). Drei von ihnen, Rolf Beck (seit 1981-1995), Paul Müller (2002-2008) und Marcus Rudolf Axt (seit 2013) haben das Orchester jeweils relativ schnell aus sehr schwierigen Ausgangslagen heraus auf neue, höhere Levels geführt und dort fest etablieren können: Herr Beck mit der Ernennung von Horst Stein zum Chefdirigenten, vor allem aber durch den Bau der Konzerthalle und damit einhergehende Anpassungen im Stellenbereich, Herr Müller, dem bald die Überführung des Vereins in die Stiftung mit der neuen Finanzierungsstruktur gelungen war, der es außerdem in der Ära von Chefdirigent Jonathan Nott schaffte, dass das Orchester auch künstlerisch wieder wahrgenommen wurde – und der den Mahler-Dirigentenwettbewerb etablierte. Und last but not least Herr Axt, der ebenfalls rasch wieder ausgeglichene Haushalte vorweisen und die Tourneetätigkeit des Orchesters wieder in Gang setzen konnte, in dessen seinerzeit noch junge Ära die tollen Auszeichnungen für das „Beste Konzertprogramm des Jahres“ und für das „Publikum des Jahres“ fielen und der nochmals verbesserte Rahmenbedingungen für die Musiker geschaffen hat etc. etc. Und dem mit der Ernennung von Jakub Hr?ša zum Chefdirigenten der Supercoup schlechthin gelungen ist, so dass das Orchester aktuell ganz selbstverständlich und regelmäßig auf fast allen großen Bühnen dieser Welt auftritt.
Jedem dieser drei gilt außerdem auch deswegen meine größte Bewunderung, weil sie bewiesen haben, dass sich mit Können und Geschick im Rahmen der vorgegebenen Finanzausstattung nicht nur eine Menge, sondern tatsächlich Großes erreichen lässt.
Christian Schmölder: Ohne ins Detail gehen zu wollen, gab es in der Tat auch schwierige Zeiten, nicht zuletzt für mich persönlich. Umso froher war ich, als dann immer ein Intendant nachfolgte, der aus dem jeweiligen Tal wieder herausführte. Richtiggehend glücklich bin ich, dass ich mit den drei genannten Intendanten über 9 bzw. 6 und zuletzt 7 Jahre sehr eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten und mir dabei immer ihrer Loyalität sicher sein konnte – das empfinde ich übrigens durchaus auch als Kompliment.
Christian Schmölder: Schon zu Beginn meiner Berufstätigkeit, schon bei der Berufswahl habe ich mich weder auf der Bühne noch in der ersten Reihe gesehen. Ich sehe mich eher als einen, der gern im Hintergrund wirkt. Rampenlicht ist nicht mein Ding, wohl fühle ich mich im „Ruhm-Service“.
Christian Schmölder: Ich wusste jedes Mal, was zu tun war und dass ich das kann, sonst hätte ich das abgelehnt. Aber zufrieden hat mich gemacht, was ich da geschafft habe, und nicht, dass ich die Position der Nr. 1 innehatte. Ich kann als Mit-Arbeiter und Mit-Verantwortlicher viel freier und letztlich auch wirksamer arbeiten, und persönlich glücklicher bin ich damit auch noch. Mich reizen Aufgaben, aber nicht das, was man gemeinhin unter Karriere versteht.
Christian Schmölder: Sie fragen mich also nach einem Meisterstück? Ja, das gibt es tatsächlich: Die Erweiterung des Foyers der Konzerthalle und den neuen Nebeneingang zum Hegelsaal gäbe es ohne mein Zutun nicht. Fest vorgesehen und budgetiert hatte die Stadt Anfang 2008 eine neue Bestuhlung im Joseph-Keilberth-Saal, eine farbliche Neugestaltung des Saals und des Foyers sowie die Pflasterung des Vorplatzes. Das war’s, Gedanken an eine bauliche Veränderung gab es nicht. Ganz im Verborgenen habe ich Ende Mai 2008 – Paul Müller hatte Bamberg gerade verlassen – zusammen mit dem Hamburger Designer Peter Schmidt eine Idee entwickelt und dazu einen Planungsansatz erarbeitet, zu dessen Verwirklichung ich auch schon eine Finanzierungsidee hatte. Idee, Planung und Budget stellten wir 4 Wochen später anhand eines Modells, das wir rasch hatten anfertigen lassen, dem damaligen verantwortlichen Minister Goppel in einer Konzertpause im stillen Kämmerlein vor. Der zeigte sich spontan so begeistert, dass er noch am selben Abend die Übernahme eines Drittels der Mehrkosten durch den Freistaat in Aussicht stellte. Genauso wie wenig später die Oberfrankenstiftung, deren Spitze wir das Modell tatsächlich in Bayreuth auf den Schreibtisch gestellt haben. Das Ergebnis sehen wir heute: eine Konzerthalle von internationalem Format, die nun auch von der Anmutung her höchsten Ansprüchen genügt – und nun auch auf demselben Niveau ist wie das Orchester. Kaum zu glauben, aber wahr: Zwischen der Idee und der Einweihung im September 2009 lagen nicht einmal 1 ½ Jahre – und das mit Punktlandung bei den Kosten! Um das Bild komplett zu machen: Daran, dass die Skulptur von Erwin Wortelkamp auf dem Vorplatz steht und 26 Bilder von ihm dauerhaft das Foyer aufwerten, habe ich ebenfalls im Hintergrund „gedreht“.
Und dann vielleicht noch dies: Die ganze Zeit über habe ich mich intensiv um das Thema CD-Produktionen gekümmert, die zumeist in Koproduktion mit dem Bayerischen Rundfunk entstehen. Dieses Betätigungsfeld des Orchesters nimmt wohl viel Zeit in Anspruch, ist aber künstlerisch und durch die nachfolgende mediale Präsenz von eminenter Bedeutung für die Wahrnehmung und das Ansehen „der Bamberger“ im internationalen Agentur- und Tourneemarkt. Wenn ich mir vor Augen führe, was da im Lauf der Jahre alles entstanden ist, macht es mich tatsächlich ein wenig stolz, daran einen gewissen Anteil zu haben: Allein bei Tudor gab es in „meiner“ Zeit mehr als 50(!) Einzelveröffentlichungen, außerdem 15 Werkzyklen, von denen sechs auf 10 CDs und mehr erschienen sind, dazu unzählige Einzel-CDs – das ergibt schon einen ziemlichen Stapel bzw. weit mehr als einen Meter im Regal! Da jedes Mal alle und alles zusammenzuführen und hie und da auch noch am äußeren Erscheinungsbild und bei der Textredaktion fürs Booklet mitzuwirken, erforderte wirklich viel Engagement und war, das können Sie mir glauben, nicht immer ganz einfach.
Christian Schmölder schlägt einen Ordner auf mit den mehr als 3.000 Konzerten der Bamberger Symphoniker in „seiner“ Zeit. Er fordert mich auf, beim Durchblättern wahllos auf einzelne Seiten und dort auf ein irgendein Konzert zu tippen, und verspricht, zu jedem eine Anekdote oder einen Hintergrund erzählen zu können.
- Pick: 1. Mai 1990, Konzert mit Horst Stein in Tokio (Japan)
Das war das letztes von vier Konzerten eines Brahms-Zyklus’ in Japans bedeutendstem Konzertsaal, der Suntory Hall in Tokio. Hinterher gab es eine riesige Party, die vom Mäzen und Namensgeber der Halle (Suntory Brauereien) gesponsert war. - Pick: 14. Januar 1996, Konzert mit Kurt Sanderling in München
Für Kurt Sanderling, einen der wirklich ganz großen Dirigenten seiner Zeit, durfte ich schon in Hannover arbeiten. Kurz vor meinem Abgang nach Bamberg habe ich ihm in Absprache mit Herrn Beck empfohlen, dort zu debütieren. Er wollte zunächst nicht, da er zu diesem Zeitpunkt schon über 70 Jahre alt war und keine neuen Orchester mehr kennenlernen wollte. Am Ende konnte ich ihn aber davon überzeugen, eine Ausnahme zu machen, und seitdem kam er regelmäßig nach Bamberg. - Pick: 21. Juli 2006, Konzert mit Herbert Blomstedt in Wiesbaden
Herbert Blomstedt ist der Dirigent, den ich bislang am längsten „verfolge“. Ich habe ihn erstmals 1988 erlebt und bin über die Jahre viel mit ihm gereist, durch Deutschland, Österreich und die Schweiz, nach Luxembourg und Seoul in Korea sowie durch Japan. Wenn man mit jemandem ständig im Auto, im Flugzeug oder in der Bahn sitzt und ihn auch sonst abseits der Bühne erlebt, dann lernt man auch den Menschen ein wenig kennen. Herr Blomstedt ist ein ungemein gebildeter und auch disziplinierter Mensch, der sich, obwohl durchaus humorvoll, schlecht für lustige Anekdoten eignet. Er ist zweifelsfrei ebenfalls ein ganz Großer und auch der Beweis dafür, dass wahre Größe mit menschlicher Bescheidenheit einhergeht. Nicht nur die fast 200 Konzerte, auch all die Begegnungen mit ihm waren stets eine große Bereicherung meines Lebens. - Pick: 14. Oktober 1991, Konzert mit Christoph Eschenbach in Philadelphia (USA)
Der Konzertsaal war nur zwei Blocks vom Hotel entfernt. Es gab eine Anspielprobe vor dem Auftritt, an der die Schlagzeuger teilnahmen, die aber beim Konzert selbst nur für die Zugabe gebraucht wurden. Gegen Ende des Konzerts kommen die Schlagzeuger zurück in die Halle, um sich für die Zugabe einzufinden. Einer hat sein Hemd vergessen und rennt zurück ins Hotel, um sich Ersatz zu besorgen. Gerade noch rechtzeitig kommt er in die Halle und dann…. keine Zugabe!
Christian Schmölder: Das passiert schon mal. Mal liegt es am Programm, das keine Zugabe verträgt, mal hat man das Publikum doch nicht erreicht, mal gibt es ganz profane Gründe wie Wetter, Streiks usw. Aber meistens gibt es mindestens eine.
Christian Schmölder: Es gibt unterschiedliche Arten von Publikum, das eine ist sehr temperamentvoll, das andere sehr konzentriert und eher zurückhaltend. Außerdem spielt natürlich immer das Repertoire eine Rolle: Eine Reaktion wie sie nach der Neunten von Beethoven die Regel ist, ist nach der Neunten Mahler undenkbar. Wichtig für die Musiker ist, dass sie eine Verbindung zum Publikum herstellen, dass sie spüren, dass die Botschaft der Musik ankommt. Gradmesser dafür sind nicht Dauer und Intensität des Applauses oder die Frage Zugabe oder keine.
Christian Schmölder: Ich habe es nicht vor. Von den mindestens 1000 Geschichten, die ich zu erzählen hätte, müsste man für ein Buch die 100 besten auswählen. Das wäre schon schwer genug, aber die meisten von denen würde ich niemandem auch nur erzählen, geschweige denn veröffentlichen …
Christian Schmölder: Nein eigentlich nicht. Oder besser: ja ganz viele.
Christian Schmölder: Beides! Ich sah mich als Teil eines Teams, das versuchte, besondere und nachhaltige musikalische Erlebnisse zu ermöglichen, die dann auch mich als Hörer erfüllen, genauso wie mein Beitrag zu einem solchen Gelingen. Natürlich gibt es auch ganz große Momente, die zu regelrechten Glücksgefühle führten. Zum Beispiel „unser“ erstes Konzert in Prag im Mai 1991, das war einfach unglaublich, weil bedeutungsvoll, denn das Orchester, dessen historische Wurzeln ja in Prag liegen, hatte dort noch nie zuvor gespielt. Oder das Eröffnungskonzert der Bamberger Konzerthalle im September 1993, ein epochales Ereignis in der Orchestergeschichte – eine Art Lebensversicherung. Oder Wagners „Ring“, den wir 2008 beim Lucerne Festival gespielt haben. All das waren sehr besondere Momente. Und es gab davon viele mehr!
Christian Schmölder: In die Konzerte werde ich auf jeden Fall weiter gehen, sobald es wieder möglich ist. Ansonsten habe ich viel vor, wobei einige Ideen momentan allerdings ausgebremst sind. Auf jeden Fall erwarte ich ganz gespannt den Versuch, ein freies und selbstbestimmtes Leben zu führen. Und: Meine Enkelkinder habe ich bislang viel zu selten gesehen, auch da gilt es Einiges nachzuholen.
Herr Schmölder, wir danken Ihnen nicht nur für dieses offene Gespräch, sondern ganz besonders für Ihr Engagement der letzten 34 Jahre und wünschen Ihnen für den Ruhestand nur das Beste.