Wortneuschöpfungen wie „Leitkultur“, „Rettung des Abendlandes“ o. ä. sind dieser Tage zwar viel diskutiert, aber dennoch, so scheint es, en vogue. Vor dem Hintergrund aktuell vorherrschender politischer Landschaften in Europa fühlen auch wir uns dazu verpflichtet, das politische Geschehen um Frauke Petry, Marine Le Pen und Co. aufzugreifen und ein klares Statement gegen populistische Bewegungen mit nationalistischen Tendenzen zu setzen, vor allem dann, wenn sie unter dem Deckmantel vermeintlicher Kultur agieren. Im Folgenden hat sich unser Autor, Martin Köhl, deshalb einmal genauer mit der sogenannten Identitären Bewegung beschäftigt.
Würde man sich aus japanischer Sicht mit dem Phänomen der Bewegung der „Identitären“ in Europa beschäftigen, so kämen erstaunliche Befunde dabei heraus. Für die große Mehrheit der Japaner ist es nämlich selbstverständlich, gegen Einwanderung zu sein, denn sie fürchten, durch eine „Vermischung“ mit anderen Völkerschaften ihre Identität zu verlieren oder zumindest zu relativieren. Folglich wird die Einwanderung nach Nippon streng kontrolliert und findet in der Realität kaum statt, übrigens aus den bekannten demographischen Gründen (Überalterung) zum Nachteil des Landes. Insofern ist es fast verwunderlich, dass wir in Europa die Japaner in der Regel nicht in die rassistische Ecke stellen, obwohl ihre Politik der Reinhaltung der „Rasse“ durchaus dort anzusiedeln wäre. Diese Politik könnte man als „identitär“ bezeichnen, denn sie zielt darauf ab, nationale Identitäten, Kulturen und Traditionen energisch zu verteidigen. Womit wir bei einem Stichwort wären, das seit mehreren Jahren zum Schlüsselbegriff einer Bewegung avancierte, die im Wesentlichen als Reflex auf die Einwanderung islamischer Prägung zu verstehen ist.
Die „Identitäre Bewegung“ (IB) hat ihre Ursprünge in Frankreich und verdankt ihre ideologischen Wurzeln u.a. dem Autor Guillaume Faye, der Europa im größten Existenzkampf seiner Geschichte wähnt, weil es sich, so die Behauptung, der Kolonialisierung durch den „globalen Süden“ ausgesetzt sieht. Die „Génération identitaire“, Jugendsektion des „Bloc identitaire“, kann als organisatorische Voraussetzung der identitären Bewegung in Frankreich gelten, während in Deutschland wesentliche Impulse von den Thesen Thilo Sarrazins ausgingen, die dieser ehemalige SPD-Politiker in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ vertrat. Die IB plädiert für eine kulturelle „Reinhaltung“ der Gesellschaft, vermeidet es allerdings, von einer rassisch gemeinten biologischen Einheitlichkeit einer Volks- oder Abstammungsgemeinschaft zu reden. So liegt es nahe, die Religion als wichtiges identitätsstiftendes Kriterium zu bestimmen. Von da ist es nicht weit zu den Warnungen vor einer Islamisierung Europas.
Für ihre Auftritte hat sich die IB ein Logo ausgesucht, das ein gelbes Lambda (aus dem griechischen Alphabet) in einem Kreis auf schwarzem Grund zeigt. Für dessen Bedeutung gibt es verschiedene Interpretationen, die jedoch letztlich belanglos sind. Sucht man die Homepage der IB auf, so stößt man schnell auf das Bekenntnis zu regionalen und nationalen Identitäten, für die es zu kämpfen gelte, um sich „gegen die seit Jahren stattfindende Masseneinwanderung und Islamisierung sowie den moralischen Verfall unserer Demokratie und unserer Gesellschaft“ zu wehren. „Deutschland den Deutschen, Spanien den Spaniern, Syrien den Syrern“ – so lautet die Devise. Es ist insofern nur ein scheinbares Paradox, wenn die IB für ihre Ideologie den Begriff ‚Ethnopluralismus’ in Anspruch nimmt. Gemeint ist damit keine plurale Gesellschaft auf einem bestimmten Staatsgebiet, sondern „die Anerkennung und Achtung einer jeden Ethnie und Kultur und ihrer Souveränität auf ihrem geschichtlich gewachsenen Gebiet“. Burschikos oder zumindest etwas weniger kompliziert ausgedrückt heißt das: Bleibt, wo ihr herkommt!
Das Plädoyer für „die eigentliche Vielfalt der Welt, nämlich die der Völker und Kulturen“, die erhalten bleiben müsse, soll wohl ebenso wie die energische Ablehnung des Antisemitismus den Eindruck einer gewissen Weltoffenheit erwecken. Um so schroffer wirkt die Forderung nach einer „Festung Europa“, die ihre Grenzen klar verteidigen müsse. Aber auch diese Aussage wird moderiert durch das humanitär klingende Bekenntnis, Europa solle nicht darauf verzichten, „denen, die tatsächlich hilfebedürftig sind, in ihrer Not beizustehen“. Fast wortgleich hat sich übrigens auch Frauke Petry in ihrem schlagzeilenträchtigen Doppelinterview mit Sarah Wagenknecht geäußert. Bislang blieb jedoch rätselhaft, wen das politische Biotop im Dunstkreis von IB, AfD oder auch Pegida mit diesem zumindest explizit formulierten „Hilfsangebot“ gemeint haben könnte. Auf einer denkbaren Positivliste von Hilfsbedürftigen befinden sich jedenfalls noch keine Einträge…
Rechtsextremistische Ideologien lehnen die Identitären ebenso vehement ab wie den Antisemitismus, denn sie wollen keinesfalls mit rechten Dumpfbacken verwechselt werden. Die neue Rechte gibt sich feiner und sieht sich als Elite, deren Aufgabe die Bewahrung der europäischen Kultur ist. Der historische Vergleich mit den Deutschnationalen, die sich seinerzeit ebenfalls von den Rechtsradikalen (also den Nationalsozialisten) abgrenzen wollten, liegt nahe, jedoch ist die IB insofern „moderner“, als ihr Patriotismus sich nicht auf das Nationale bzw. das Deutschtum beschränkt, sondern sich zur europäischen Ebene bekennt. Will heißen: Verteidigung des „christlichen Abendlandes“, wobei das jüdische Erbe sogar inkludiert sein darf. Diese Nuance besitzt eine gewisse Toleranzanmutung, kann aber nicht verdecken, dass es letztlich der Islam ist, der nun das Judentum im Feindbildraster vertritt. In den Köpfen der Identitären stehen die Türken wieder vor Wien…
„Vermischung“, „Bevölkerungsaustausch“ und „Multikulti-Wahn“ sind zentrale Kategorien der IB. Würde man dem entgegenhalten, dass es in der jüngeren Geschichte durchaus erfolgreiche Beispiele für erfolgreiche Migrationen gibt, z.B. die massive polnische Einwanderung in das Ruhrgebiet im 19. Jahrhundert, so hieße die Antwort wohl: kein Wunder, das waren Christen, also entfielen damals religiöse Integrationshindernisse. Wie man es dreht oder wendet, immer fokussiert sich das kulturelle Argument auf die Religion, also auf die muslimische Provenienz der heutigen Migrationswellen. Dass der aktuelle Zustand des Islam den Identitären diese konfrontative Argumentation leicht macht, gehört zu den besonders bedauernswerten Sachverhalten im Spannungsfeld von Migration, Religionsfreiheit, Toleranz und Integration.
Welche Rolle die IB auf dem dicht besiedelten Terrain des Rechtskonservativismus dauerhaft wird einnehmen können, hängt wesentlich davon ab, ob sie dem Ausfransen am rechten Rand vorzubeugen weiß oder nicht. Vergleichbare Vorgängerprojekte wie beispielsweise die Republikaner sind daran gescheitert, denn allzu schnell kam bei solchen Gruppierungen der braune Rand zum Vorschein. Einstweilen agieren die Identitären ideologisch relativ vorsichtig und versuchen eher, durch demonstrative Aktionen Sympathien zu erringen. Ein spektakuläres Beispiel dafür waren die Aufräumarbeiten im überfluteten Simbach Ende Juni. „Schaut, wir packen an!“ lautete die Botschaft dieser Hilfsbereitschaft mit ostentativem Beigeschmack. Die IB ist in der Tat kein Sammelbecken für Frustrierte oder Gescheiterte (wie die verstaubten Neonazi-Kameradschaften), sondern kann auf junge und internetaffine Mitglieder zählen. Wenn es aber eines Tages um andere „Aufräumarbeiten“ als solche im Schlamm geht, dürfte es diesen Aktivisten schwerfallen, jene stets bereitstehenden Truppen im Zaum zu halten, die nur auf die Gelegenheit warten, ihre Fremdenfeindlichkeit in handfeste Taten umzusetzen.
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AfD Demonstration Geretsried 12.03.2016, Kundgebung mit Petr Bystron, Florian Jäger, Mario Buchner, Identitäre Bewegung Deutschland / Ein Prozent, Foto © flickr.com, Metropolico.org, (CC BY-SA 2.0)