’Seele’ hat zurzeit Hochkonjunktur im Bamberger Kulturleben. Die Bamberger Symphoniker haben den so schwierig zu definierenden Begriff zum Leitthema einer ganzen Saison gemacht, die Universitätsmusik (der Otto-Friedrich-Universität Bamberg) hat jetzt in ihrem Semesterschlusskonzert nachgezogen. „Seelen Leben“ stand als Motto über ihrem Semesterschlusskonzert, das einmal mehr vor der – mittlerweile verlässlich ausverkauften – Kulisse der Bamberger Konzerthalle stattfand.
Wichtigster Bezugspunkt zum gewählten inhaltlichen Leitmotiv war sicherlich das geistliche Werk des Abends, das neben zwei weltlichen stand: Francis Poulencs „Stabat Mater“ für Sopran, Chor und Orchester aus den Jahren 1950/51. Die Szene mit der Maria, die neben dem Kreuze stehend das Leiden ihres Sohnes als Aufforderung zu einer allgemeinen Anteilnahme versteht und aus dem Mitleiden zur Bitte um Gnade für die eigene Todesstunde findet, schaut auf berühmte und oft gespielte Vertonungen aus dem 19. Jahrhundert zurück – man denke nur an Dvorak oder Pergolesi.
Poulencs beeindruckende „Stabat Mater“-Komposition ist hingegen seltener auf geistlichen oder weltlichen Programmen anzutreffen, obwohl man sich das Werk ebenso gut in einer Kirche wie in einem profanen Raum aufgeführt vorstellen kann. Dieses „Requiem ohne Verzweiflung“, so Poulencs eigene Charakterisierung, zeichnet den Text in zwölf klar voneinander abgetrennten Sätzen nach, die zur Kontrastschärfung neigen.
Schon der Auftakt mit einem strengen Kondukt enthüllt eine beeindruckende Klangfülle, die den Abend prägen wird. Das liegt natürlich einerseits am großformatig besetzten Universitätsorchester, über dessen symphonische Qualitäten wir nun schon seit Jahren staunen dürfen. Und es liegt am stets mustergültig präparierten Universitätschor, der ebenfalls in großer Besetzung die Ränge unterhalb der Konzerthallenorgel füllte und sich einer Komposition stellen musste, die manch heikle Stellen bereit hielt.
Schon in der dritten Nummer „O quam tristis“ sind schwierige harmonische Verläufe zu bewältigen und das teils a capella, also ohne instrumentale Sekundanz. Im fünften Abschnitt ereignet sich Trauer als explosiver Ausbruch, bevor in der darauf folgenden Nummer der Solosopran auf den Plan tritt. Was da zu erwarten war, hatte sich bereits zu Beginn des Konzertes angedeutet, denn da stand Sergej Rachmaninows ebenso berühmte wie kultige „Vocalise“ für Sopran und Orchester auf dem Programm, die von der in Würzburg ausgebildeten Sopranistin Anna Nesyba gestaltet wurde.
Und wie! Bei diesem Stück hängt fast alles von einem schönen Stimmtimbre ab, und davon hat diese Sängerin in allen Lagen überviel. Anna Nesyba verfügt als Spezialistin für die Alte Musik über ein ideales Vibrato – eine Seltenheit! – und weiß die Partie durch feine Abschattierungen zu gestalten. Hinzu kommt eine kleine Prise russisch-romantischen Schmachtens. Ihre Stimmtugenden wusste sie auch in den drei Sätzen des „Stabat Mater“ zur Geltung zu bringen, in denen der Solosopran eine führende Rolle übernimmt, allen voran die bereist erwähnte Nummer sechs, in der das Klagen der Maria mit scharfen dissonanten Zuspitzungen angereichert oder besser: konfrontiert wird.
Der stimmlich ebenfalls jung und prägnant klingende Chor hatte teils schwierige Übergänge zu meistern und musste zu sanftem Pianissimo ebenso sicher finden wie zu emotionalen Ausbrüchen. In der Nummer sieben ist von Zuversicht geprägte Musik angesagt, in der zehnten sanft auslaufendes barockes Zeremoniell, bevor in den Nummern neun und elf der Schrecken und das Jüngste Gericht exzessiv beschworen werden. Der Ausklang gehört dem Zweifel: das ’Amen’ muss dissonant bleiben.
Nach der Pause war weniger Seelenhaftes angesagt, aber dafür ein Jubiläumsanlass: Dmitri Schostakowitschs erste Symphonie entstand 1924/25, also vor ziemlich genau 100 Jahren. Man benötigt für dieses ausgewachsene symphonische Werk eben jenen umfangreichen Orchesterapparat, der für Poulenc bereits zur Verfügung stand, inklusive eines Flügels. Von „grotesk“ bis „schrecklich“ lauteten seinerzeit die ersten Urteile über diesen Erstling, doch mit Blick auf den Auftakt im anhebenden Allegretto passt es vielleicht besser, von einer pfiffigen und ausgesprochen originellen Musik zu sprechen, in der sich der spätere Schostakowitsch bereits verrät.
Für diese Tonsprache braucht es, ähnlich wie für Richard Strauss, versierte Musiker, die ihre Instrumente sicher beherrschen und hellwach dabei sind. Wenn es um Fehlbarkeit und Unfehlbarkeit geht, so schaut man regelmäßig auf die Hörner – und wundert sich darüber, dass dieses Universitätsorchester ein Quartett besitzt, das seine zu Kieksern neigende „Glücksspiralen“ (so der leicht spöttische Orchesterjargon) sicher zu zähmen weiß. Nun könnte man die eine oder andere solistische Leistung noch hervorheben (z.B. das Violinsolo Eva Hennevogls oder die famose Klarinette von Dominik Theis), doch das wäre zwangsläufig ungerecht, würde es doch das Risiko des Unterschlagens bergen.
Universitätsmusikdirektor Wilhelm Schmidts wusste am Ende gut genug, wen er ehrenhalber aufstehen lassen würde, um den fälligen Sonderapplaus einzuheimsen. Es waren zu Recht fast alle…
Gewaltige Ausbrüche forderten im finalen Presto nochmals den ganzen Klangkörper und hinterließen große Beeindruckung bei dem vorwiegend aus der Studentenschaft bestehenden Publikum. Die Bamberger Universitätsmusik ist in den letzten Jahren dank der akribischen Einstudierungen und souveränen Dirigate von Wilhelm Schmidts auf einem sehr erfolgreichen Weg unterwegs und kündigt schon jetzt für den Sommer und Herbst weitere Großtaten an. So z.B. ein Chorkonzert am 11. Mai, ein Late-Night-Konzert am 15. Juni, ein Orchesterkonzert mit Werken von Tschaikowsky, Prokofjew und Bernstein am 13. Juli sowie Joseph Haydns wunderbare „Jahreszeiten“ im Oktober. Wir werden dabei sein!