
Als 2004 der erste Gustav-Mahler-Dirigierwettbewerb der Bamberger Symphoniker stattfand, konnte man noch nicht ahnen, welche Bedeutung er in kurzer Zeit gewinnen würde. Mittlerweile heißt er „The Mahler Competition“ und ist nicht zuletzt aufgrund der Karrieren einiger seiner Gewinner in die Topliga aufgestiegen. Alles begann mit dem Venezolaner Gustav Dudamel, der schnell zum gefragten Weltstar avancierte und heute eine Chefstelle in Los Angeles innehat. Auch Lahav Shani aus Israel, Gewinner 2013, hat es bis ganz nach oben geschafft und ist jetzt designierter Music Director des Israel Philharmonic Orchestra. Auch weitere Preisträger haben beachtliche Laufbahnen eingeschlagen. Wer sich in Bamberg durchsetzen will, braucht schon vorher exzellente Wettbewerbsprofile, denn sonst sind die Chancen klein, in einem Wettbewerberfeld von ca. 500 Aspiranten überhaupt zugelassen zu werden und sich der hochkarätig besetzten Jury stellen zu dürfen.
Darunter sind neben Marina Mahler – der Enkelin des Namensgebers des Wettbewerbes – der derzeitige Chefdirigent Jakub Hrusa und Künstler sowie Komponisten wie Helmut Lachenmann, Bertrand de Billy, Barbara Hannigan u.a.. Dazu kommen der Intendant Rudolf Marcus Axt und als Vertreter der Orchesterseite der Bratschist Martin Timphus. Um vor diesem Gremium das Orchester, also die Bamberger Symphoniker, dirigieren zu dürfen, müssen erst diverse Hürden überwunden werden. Grundlegendes Auswahlkriterium ist ein zeitnah erstelltes Video, aufgrund dessen die Vorauswahl aus den Bewerbungen aus aller Welt erfolgt. Befindet man sich dann im glücklichen Kreise der Eingeladenen, so sieht die Welt schon erheblich freundlicher aus, denn die Teilnahme ist kostenlos, außerdem werden sämtliche Fahrt- und Aufenthaltskosten übernommen. Und Preisgelder gibt es natürlich auch: sie gehen von 10.000,- € für den dritten bis zu 30.000,- € für den ersten Preis.
Das Orchester steht jedem Finalisten eigentlich in voller Besetzung zur Verfügung, doch aufgrund der pandemischen Umstände werden sich gewisse Einschränkungen nicht vermeiden lassen. Vermutlich wird man die Besetzung wegen der Abstandsregeln etwas reduzieren müssen. Das bedingt leider auch den gänzlichen Ausschluss von Publikum, was aber bei einem Wettbewerb nicht so schwerwiegend ist. Der feste Wille, dieses nur alle drei Jahre stattfindende Event auf keinen Fall platzen zu lassen, begründet sich vor allem durch die Prominenz der Jury und die Auswahlkriterien für die Kandidaten. Namhafte Jurymitglieder lassen sich nicht so einfach auf einen Ersatztermin festlegen, und die zum Wettbewerb zugelassenen Aspiranten mussten Dirigierproben abliefern, die bei einer Verschiebung nicht mehr aktuell wären. Es spricht also alles dafür, dass der 6. Mahler-Dirigierwettbewerb ab Ende Juni starten kann.
Das neue Programm der Bamberger Symphoniker für eine Saison, über der noch manche Fragezeichen stehen könnten, ist einmal mehr künstlerisch inhaltsschwer. Hält man es in Händen, so scheint sich der Gedanke an Einschränkungen aufgrund viraler Unbotmäßigkeit zu verbieten. Alles normal also? Nein, so ganz dann doch nicht, denn die Symphoniker haben mehr als nur einen Plan A, um ihr Publikum halbwegs ungeschoren durch schwierige Zeiten zu lotsen. Und das hat dieses Publikum auch verdient, denn es ist ein besonders treues. Treu scheint gemäß vieler Rückmeldungen auch die große Abonnentenschar zu sein, obwohl jedem klar sein muss, dass die nächste Saison nicht ohne gewisse Provisorien zu meistern ist (Besetzungsreduzierung, Terminverdoppelung plus Publikumsteilung o.ä.). Als Motto prangt auf dem Programm-Cover die 75 als Jubiläumszahl, und das verpflichtet!
Es verpflichtet nicht nur zu besonderen Events, sondern ist auch der Anlass für ein „BambergDiary“, in dem das Orchester auf seinen Reisen als Kulturbotschafter Deutschlands begleitet wurde. Andreas Herzau war bei den Auslandstourneen der Bamberger Symphoniker dabei und hat mit seiner Kamera vielfältige Eindrücke für das Jubiläumsprojekt festgehalten. Der Textteil des Buches umfasst u.a. ein Gespräch mit Jakub Hrusa und Marcus Axt, in dem sich der Chefdirigent zur Orchesterpraxis, zu Interpretationsproblemen und zu begrifflichen Fragen äußert. So besteht der Chefdirigent mit guter Begründung auf der Übersetzung von Smetanas Zyklus „Ma Vlast“ durch „Meine Heimat“ und nicht etwa durch das übliche „Mein Vaterland“. Der wertig ausgestatte Band präsentiert sich eher als visuelles Tagebuch, denn der photographische Bildteil überwiegt. Wer ihn zur Hand nimmt, geht mit dem Orchester auf Reisen und entwickelt gerne Empathie mit den Musikern.