Am 1. August 2022 erfolgte der Leitungswechsel in der Kunsthalle Nürnberg. Die Wahl fiel auf Dr. Harriet Zilch, die die Kunsthalle Nürnberg seit 2009 als Kuratorin begleitete und damals von der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden kam. Nach einer turbulenten Startphase, in der die Nürnberger Sparpolitik existentielle Fragen an den Gegenwartskunstbetrieb der Stadt richtete, strahlt die neue Leiterin im Interview aktuell hohe Motivation und Zuversicht aus und erläutert sehr solide wie kontingente Pläne, die dem Haus einen vielversprechenden Puls geben. Schnell und selbstverständlich sprechen wir über Alltagsphilosophie, Betroffenheit, Überraschungseffekte, Anknüpfung und über künstlerische Positionen, die idealiter die Klammer zur Lebenswelt Vieler werden:
Die Kunsthalle Nürnberg ist 1913 erbaut und 1967 als Haus für internationale zeitgenössische Kunst definiert worden. Seitdem besteht der Auftrag internationale zeitgenössische Kunst zu präsentieren. Das wurde 1997 durch den Kulturausschuss der Stadt Nürnberg bestätigt, der die Kunsthalle als „Institution der Pflege, Förderung und Vermittlung der internationalen zeitgenössischen Kunst“ festschreibt. Auch wenn jede neue Leitung eigene Nuancen und Schwerpunkte einbringt, bewegt sich alles in diesem Feld.
In Gruppenausstellungen und auch generell ist mir sehr wichtig, dass es Themen und Sichtweisen gibt, die an die Lebensrealität unserer Stadt und ihrer Bürger:Innen andocken. Wir wissen alle, dass Identitäten und damit auch potenzielle Besucher:Innen immer diverser werden. Ich glaube, deshalb muss ein Augenmerk darauf liegen, welche Themen in die Metropolregion passen. Ich würde zum Beispiel nicht auf eine Ausstellung abzielen, die eine kunstimmanente Fragestellung behandelt, zum Beispiel „Konkrete Kunst heute“. Das wäre sehr abstrakt und für viele Bürger:Innen würde da vermutlich auf den ersten Blick der Anknüpfungspunkt fehlen. Darauf kommt es mir allerdings gerade an. Auch im Sinne eines heterogenen Publikums. Unsere Ausstellungen sollen nicht nur den traditionellen Bildungsbürger locken, sondern über verschiedene Wege auch Menschen erreichen, die bislang vielleicht nicht in der Kunsthalle waren und diese bisher nicht als ihren Ort erkannt haben. Ich hoffe, das gelingt, wenn wir Themen finden, die auch etwas mit ihrem Leben zu tun haben. Themen, die jeden Menschen emotional erreichen können. Wo man Antworten auf Fragen findet, die man sich in der eigenen Lebensrealität auch stellt.
Das klingt jetzt sehr abstrakt, deshalb vielleicht ein Beispiel: 2022 habe ich die Gruppenausstellung „Something Between Us“ kuratiert. Da ging es um die Bedeutung von zwischenmenschlichen Beziehungen. Wie wichtig und wie zentral sind solche für uns? Da ging es zum einen um gesamtgesellschaftliche Missstände und um die Themenfelder, wo unser Zusammenleben nicht funktioniert - wie zum Beispiel ein alltäglicher Rassismus oder die Schattenseiten einer globalisierten Wirtschaft. Aber es ging auch um die Erfahrungen, die wir alle während der Corona-Pandemie gesammelt haben. Hier wurde an die Erfahrungen der Besucher:Innen angeknüpft und jeder konnte seinen Zugang finden. Denn wir alle können nun nachvollziehen, was es bedeutet, wenn wir zwischenmenschliche Beziehungen nicht in dem Maße pflegen können, wie wir das vielleicht gerne wollen. Wir alle wissen nun, was es bedeutet, wenn wir unseren Freunden und unserer Familien nicht nahekommen dürfen. Wenn man über „soziales Körpergefühl“ spricht, dann ist das erst einmal sehr abstrakt. Aber plötzlich weiß jeder, was das ist, wenn Nähe und Distanz nichts mit Sympathie und Antipathie zu tun hat, sondern von einer vorgegebenen Abstandsregel abhängt. Jeder konnte erfahren, was es bedeutet, wenn das soziale Körpergefühl gestört ist, wenn uns jemand nicht in den Arm nehmen kann und man förmlich im Körper spürt, dass man das will, aber eben nicht darf. An diese kollektive Erfahrung können dann auch Fragestellungen und Aussagen in künstlerischen Exponaten anknüpfen.
Ich denke, ich würde nicht den Begriff Betroffenheit wählen. Es geht vielmehr darum, dass es Arbeiten sind, die einem auch auf einer emotionalen Ebene begegnen, nicht zwangsläufig nur auf einer intellektuellen. Der zentrale Punkt für mich ist, dass es Themen gibt, die so universell sind, dass sie eigentlich an die Lebensrealität eines jeden Menschen andocken.
Es ist auf jeden Fall so, dass es ein Schwerpunkt sein wird, thematische Gruppenausstellungen zu zeigen, die sich solch universellen Themen widmen und somit ganz unterschiedliche Menschen ansprechen können. Wir werden beispielsweise im kommenden Herbst in einem sehr großen Projekt in Kooperation mit dem Kunsthaus in Nürnberg eine Ausstellung zum Thema „Queerness“ zeigen. Unter dem Titel „Who‘s Afraid of Stardust?“ fangen wir mit für uns schon fast historischen Positionen an, wie zum Beispiel Andy Warhol oder Keith Haring. Wir zeigen aber auch ganz junge Positionen, die beispielsweise eine binäre Geschlechterordnung in Frage stellen. Generell steht ein substanzieller Beitrag zur aktuellen Debatte über Diversität im Vordergrund, und es geht vor allem darum, unsere Haltung und unseren Wunsch nach einer offenen und toleranten Gesellschaft zu formulieren.
Dazu gehört zum Beispiel die Neugestaltung des Eingangsbereichs der Kunsthalle. Das den Ausstellungsräumen vorgelagerte großzügige Foyer ist in seiner aktuellen Gestaltung jedoch wenig einladend. Es hat große Fenster zur Stadt, aber auch ein wenig die Atmosphäre eines Aquariums. Deshalb ist mir wichtig, dass wir den Raum deutlich freundlicher gestalten und den Wohlfühlfaktor dort steigern, so dass man einen Ort schafft, an dem Menschen sich gerne aufhalten. Das Ideal wäre, dass man gerne verweilt, in Katalogen blättert, in Zeitungen liest, einen Kaffee trinkt, auf dem Handy daddelt oder was auch immer. Ein Ort, der gar nicht unbedingt voraussetzt, die Ausstellung anzusehen, sondern an dem man sich willkommen fühlt. An dem man gar nichts tun muss, sondern einfach sein darf.
Es gibt andere Beispiele der Veränderung. Wir werden digitaler arbeiten. Das ist nicht neu, aber es ist auch dem Generationenwechsel geschuldet, dass wir jetzt verstärkt die sozialen Medien, insbesondere Instagram nutzen, weil es im Kunstkontext doch als relevantes Medium erscheint. Es gibt viele Ideen, wie wir unsere analoge Arbeit künftig auch im Digitalen darstellen. Unsere Ausstellungen werden diesbezüglich immer hybrider werden. Denn Kunst ist nun einmal und zum Glück an ein direktes Erleben gekoppelt. Es ist also immer etwas Anderes, wenn ein Kunstwerk „face to face“ zu mir sprechen kann. Ich glaube nicht, dass das digital ersetzbar ist. Aber trotzdem gibt es natürlich verschiedene Möglichkeiten wie das Digitale das Erleben von Kunst verstärken kann und durch zusätzliche Informationen oder Tools nachhaltiger und individueller gestalten kann.
Es ist tatsächlich sehr unterschiedlich, warum wir Künstler:Innen einladen. Es gibt also eher nicht diesen einen Typ, der zur Kunsthalle passt. Ich glaube, umso mehr Kunst man sieht und umso mehr man sich mit ihr beschäftigt, umso mehr bekommt man eine Art Radar, wo Dinge einen überraschen, wo man denkt, da hat jemand eine ganz neue Sprache gefunden, Dinge zu visualisieren, Themen, die uns vertraut sind, neu zu interpretieren, auf eine sehr individuelle, spezifische Art. Es muss einen überraschen, neugierig machen und mitziehen. Denn ich glaube, dann kann man so eine Begeisterung auch an ein Publikum weitergeben. Und darin sehe ich ganz zentral meine Aufgabe.
Der Maler Andreas Schulze gehört im Rahmen unserer Aufgaben in den Bereich der etablierten Künstler:Innen, die die Kunsthalle Nürnberg vorstellt. Und Andreas Schulze ist jemand, der seit über vierzig Jahren das Kunstgeschehen in Deutschland und auch international prägt. Der auch mir immer wieder begegnet ist, ich glaube, seitdem ich zwanzig bin. Und der für mich ein hohes Alleinstellungsmerkmal hat, da er zum einen eine sehr eigene Bildsprache hat. Sie werden Andreas Schulze in jeder seiner Arbeit immer wiedererkennen, weil er eine sehr spezifische Art hat unsere Welt zu visualisieren und zu kommentieren. Und zum anderen hat er einen Blick auf unsere Welt, der nicht mit erhobenem Zeigefinger erklärt, was schiefläuft und was wir besser machen müssen, sondern der mit einer großen Portion Ironie und mit Humor auf diese Welt blickt. Schulze hält da eine außergewöhnliche Position und hat auch gezeigt, wie er sich immer weiterentwickelt. Und der andere Aspekt war, dass im Rahmen des Malerei-Stipendiums, das die Kunsthalle Nürnberg an junge KünstlerInnen vergibt, immer wieder der Name Schulze fiel. Es gibt unter Kurator:Innen so ein Phänomen genannt „Artist‘s Artist“, also Künstler:Innen, die gar nicht unbedingt bei einem ganz großen Publikum bekannt sind, aber einen sehr hohen Stellenwert unter Künstlerkolleg:Innen genießen. Auch Schulze ist so ein Artist‘s Artist.
Die Kunsthalle hat seit 1967 gesammelt, ca. 30 Jahre lang. Diese Sammlung ist 1998 als Dauerleihgabe der Stadt Nürnberg an das Neue Museum Nürnberg übergeben worden und seitdem ist die Kunsthalle ein Haus für Wechselausstellungen. Kuratorisch ist beides sehr reizvoll. Ich stelle mir das auch attraktiv vor, eine Sammlung zu haben und damit arbeiten zu können, aber ich finde es auch großartig, dass sich ein Haus wie die Kunsthalle Nürnberg quasi alle drei Monate neu erfinden kann und dass man immer wieder bei Null anfängt. Das schafft Flexibilität, das schnellere Aufgreifen virulenter Themen, ein experimentierfreudigeres Arbeiten, das Zeigen ungewöhnlicherer, mutiger Positionen.
Ja, es ist schon, wie Sie sagen, nicht der Start, den man sich wünscht. Aber so war es nun einmal. Natürlich hat dieser Umstand erst einmal viel Energie gebunden. Aber wir nehmen das nicht persönlich. Es war sicherlich unglücklich, dass angesichts der Haushaltslage eine kulturpolitische Debatte losgetreten wurde, die uns zu einer der Zielscheiben werden ließ. Es gibt daraus resultierend einige Tipps und Empfehlungen, die wir uns nun intern ansehen. Wir haben sehr große Lust jetzt mit der Kunsthalle Nürnberg neu loszulegen.
Da müsste ich mutmaßen. Ich weiß es nicht, warum es gerade die Kunsthalle war. Vielleicht weil die Schließung eines Hauses, das seit 1913 Kunstausstellungen präsentiert, tatsächlich eigentlich etwas Undenkbares ist und hiermit Extremes gefordert wurde, was eine Dynamik in die Diskussion gebracht hat. Aber ich finde es generell erschreckend, dass es in der Debatte um die städtischen Häuser für Gegenwartskunst ging, denn die Schließungsdebatte betraf nicht nur die Kunsthalle, sondern auch die Kunstvilla und inzwischen auch das Kunsthaus. Und ich glaube, dass in einer Welt, die allgemein in Schieflage gerät - wir haben große gesellschaftliche Umbrüche und Zerwürfnisse und wir sehen, dass sich Gesellschaft spaltet, auch hier in Deutschland - auf diese Themen vor allem die Gegenwartskunst eingehen kann, weil sie über unsere Jetzt-Zeit Aussagen trifft. Insofern bin ich persönlich davon überzeugt, dass gerade die Gegenwartskunst eine hohe Relevanz in dieser unsicheren Welt hat.
Ab 3. März zeigen wir einen Bildhauer, der in Berlin lebt: Oliver van den Berg. Er ist bekannt geworden, da er technische Apparate wie einen Flugschreiber, ein Radargerät oder ein Sternenprojektor als Vorlagen nutzt und diese in hölzerne Skulpturen oder auch Installationen überträgt. Damit konfrontiert er die Funktionen von technischen Vorbildern mit einem klassischen Werkstoff und führt damit auch unsere Fortschrittsutopien ad absurdum. Entscheidend ist hierbei der Punkt, dass solche technischen Geräte auch viel über uns Menschen erzählen, weil wir immer technische Lösungen für das suchen, was wir uns selbst erträumen: wie zum Beispiel den Blick in die Weiten des Universums oder was wir selbst körperlich oder mental nicht leisten können, wie die Ortung von Schallwellen oder die schnelle Verarbeitung einer Vielzahl von Daten. Dafür erdenken wir Technik. Und so wird in dieser Ausstellung auch viel über die Phantasie des Menschen erzählt.
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