Spieglein, Spieglein an der Wand…
Vom Kulturinfarkt der Kulturpreise
veröffentlicht am 04.04.2013 | Lesezeit: ca. 11 Min.
Es ist nicht gerade eine spektakuläre Neuigkeit, dass Kulturpreise gerne einmal fantasie- und kompetenzlos vergeben werden. Was die letzten Jahre in dieser Richtung allerdings zu bieten hatten, könnte leicht als fragwürdige Spitze des DKX – Deutschen Kulturpreis Index in die Geschichte eingehen. Und der spricht ohnehin schon Bände. Von 700 Ende der Siebziger auf fast 7.000 ist die Anzahl der in Deutschland vergebenen Kulturpreise gestiegen und damit im weltweiten Vergleich mit Abstand am höchsten. Wir Deutschen scheinen Rankings, Events und PR-Effekte zu lieben. Denn die Verzehnfachung unserer Kulturpreise beeinflusst unseren Stand in der Künstlerförderung nur unwesentlich. Hierin trägt Deutschland längst keine Spitzenposition mehr. Und auch mit den Kulturausgaben der öffentlichen Hand korrespondiert die Flut an Preisvergaben so gar nicht. Im Gegenteil, die Kulturausgaben sinken seit vielen Jahren kontinuierlich, vom Etat des Beauftragten für Kultur und Medien des Bundes einmal abgesehen, der allen Unkenrufen zum Trotz die freiwilligen Leistungen nach wie vor stolz vor sich herträgt. So verwundert es nicht, dass viele Preise ohne Preisgeld auskommen müssen, sich auf Titel reduzieren und dennoch begehrter sind denn je. Andere dagegen verteilen noch großzügig respektable Summen, zumeist von Sponsoren aufgebracht, die sich damit Nähe zur Politik verschaffen. Das kann mal gut ausgehen und oft auch schlecht. Vergeben werden solche Gelder dann oft an Nicht-Bedürftige, Ungerechtfertigte oder an berufsmäßig verpflichtete Kultur-Kümmerer, die eigentlich einfach nur ihren Job gemacht haben, für den sie sehr ordentlich bezahlt werden. Vielleicht aus Mangel an Kandidaten? Oder einfach nur aufgrund ausbleibender Kreativität? Wie auch viel zu gerne große Namen als Preisträger gewählt werden. Das steigert Aufmerksamkeit und Medienresonanz des Preises - bisweilen bis hinauf zu peinlichen Spitzen, nämlich dann, wenn der Name des Preisträgers denjenigen des Preisgebers bei weitem überragt.
Beginnen wir mit DER Preis-Pleite schlechthin. Wiesbaden 2009. Der Hessische Kulturpreis wird erstmals mit starkem Fokus auf die Konfessionen verliehen. Ein gewagtes Unterfangen?
Geehrt werden sollten gemeinsam: Kardinal Lehmann, der frühere Kirchenpräsident Steinacker, der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Salomon Korn, und der Wissenschaftshistoriker Fuat Sezgin. Letzterer schied, mehr oder minder freiwillig, als Empfänger schnell aus. Der Muslim Sezgin wollte nach den damaligen Äußerungen des Zentralrats der Juden zum Gaza-Krieg keinesfalls mit Korn auf das gleiche Siegerpodest. Dass der zweite Anlauf noch viel gründlicher daneben geht, hatten die Juroren wohl nicht erwartet, als sie den persischen Schriftsteller Navid Kermani ersatzweise dem religiösen Quartett der Preisträger hinzufügten, nachdem sie sich vor ihrer Entscheidung einvernehmlich mit den drei übrigen Kandidaten darüber verständigt hatten. Das allerdings war noch bevor Kermani in der Neuen Zürcher Zeitung über Guido Renis Bild „Kreuzigung“ sinnierte. Das ging Kardinal Lehmann zu weit. Diesmal verweigerte der Katholik einen gemeinsamen Auftritt, unter Zustimmung seines protestantischen Kollegen, wie es hieß. Und bekam von Roland Koch, dem damaligen Ministerpräsidenten, schließlich Recht. Kermani wurde wieder ausgeladen, schlimmer sogar, ausgeschlossen. Das Beispiel zeigt par excellence, welch hohe Symbolkraft Kulturpreisverleihungen besitzen können und wie leichtsinnig damit umgegangen wird. Sie sind ein Spiegel in mehrerlei Hinsicht und nicht zuletzt ein Gradmesser der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung unserer Gesellschaft, eine Aussage über den Zustand unserer Gesellschaft. Und das fahrlässige Kalkül der Entscheidungsträger eines kleinen Bundeslandes, hat Deutschland schnell und unerwartet international blamiert.
Vorreiter und Nachahmer gibt es viele, schlechte Beispiele en masse:
Die Frankfurter SPD vergibt ihren fünfstellig dotierten Kutlurpreis 2001 an Sabrina Setlur.
Die private Europäische Kulturstiftung verleiht 2003 ihren undotierten Preis an Placido Domingo, als er längst den Zenith seiner ruhmreichen Karriere erreicht hatte.
Die Johanna-Quandt-Stiftung zeichnet 2011 Schreiber der BILD für ihre höchst umstrittenen Darstellungen und Methoden zur Berichterstattung über die Griechenland- und Eurokrise aus und ergänzt damit ihre Liste zweifelhafter Würdenträger, nachdem sie die Jury nach der Aufarbeitung der nationalsozialistisch geprägten Familiengeschichte komplett neubesetzen musste.
Die Verantwortlichen des renommierten Preises des Grimme-Instituts lösten alleine mit der Nominierung des RTL-„Dschungelcamp“ für den Preis 2013 großes Entsetzen aus, das sich schließlich nur legte, weil der Preis für das beliebte Fernseh-Format ausblieb, obwohl er in der Kategorie Unterhaltung gesetzt war.
Der deutsche Buchpreis ist längst als entzaubert und durch wiederholte seriöse Kritik als „Verkaufspreis“ entlarvt.
Die Wagner Geschwister Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier erhalten 2012 10.000 Euro als Preisträger des Bayerischen E-On-Kulturpreises in der Sparte Kunst für „Akribie, Professionalität, dem Sinn für Historie und Tradition sowie dem Blick für das Moderne…“. Die Begründung liest sich flüssig, für viele jedoch ist sie an den Haaren herbeigezogen und schlichtweg frei erfunden. Vorgeschlagen will die beiden niemand haben. „Wir waren selbst überrascht“, sagte Bezirkstagspräsident Günter Denzler in einem Interview dem Nordbayerischen Kurier. Er wäre es gewesen, der die Wagners hätte vorschlagen müssen. Das habe er aber nicht getan. Die Jury sei aber schließlich nicht an die Vorschlagsliste gebunden. Nicht das erste Mal stünde der Name des finalen Preisträgers auf keiner Vorschlagsliste. Ein Geniestreich der Jury also wieder einmal.
So bergen viele Preisverleihungen Lücken und Tücken und schädigen die durchaus vorhandenen, ernst zu nehmenden und lobenswert agierenden Kulturauszeichnungen durch Verwässerung ihrer Bedeutung. Und mehr denn je ist die Frage berechtigt, wer denn eigentlich legitimiert sei, Kulturpreise zu vergeben. Nicht immer wurde dies so viel und so beliebig getan. Nicht immer von diesem und jenem. Städte und Kommunen reihten sich frühestens nach dem Ende des Kaiserreichs in die Reihe legitimer Preisstifter ein. Politische Verbände kamen erst später als Preisgeber dazu, ab der Zeit des Nationalsozialismus nämlich. Und Preise der Wirtschaft und Wirtschaftsverbände kamen mit der Zeit der Wirtschaftswunder. Heute herrscht eine Vielfalt von Preisinitiatoren. Neben der symbolischen Kraft und dem Gedanken der Künstlerförderung rückt vor allem der PR-Aspekt immer mehr in den Mittelpunkt.
So auch zu beobachten bei der in unseren Breiten beinahe inflationär gepriesenen Vergabe des Titels „Kulturmanager des Jahres 2012“. Ausgerechnet nach Bamberg sollte dieser Titel gehen. Und allem Hohn gegenüber rechtschaffenen Kulturtreibenden der Welterbestadt zum Trotze einen Stadtmarketing-Akteur als ausgezeichneten Kulturmanager ausweisen. Die lokalen Medien verkünden mit Lobgesang, was ihnen aus Berlin mitgeteilt wird. Klaus Stieringer ist ein Kulturmanager des Jahres 2012. Der Titel wird seit wenigen Jahren ausgeschrieben von „Kulturmarken® - Das Branchen-Portal für Kulturmarketing und Kultursponsoring“, einem selbst ernannten Fachnetzwerk für Kultur-Kommunikation und Sponsoring, das vom Berliner Unternehmen Causales - Gesellschaft für Kulturmarketing und Kultursponsoring mbH, betrieben wird. Es benennt nach dem Muster „Mitarbeiter des Monats“ einen Kulturmanager des Monats und kommuniziert unter anderem einen „Kulturmanager des Jahres“ – neben der „Kulturmarke des Jahres“, „Trendmarke des Jahres“ und „Stadtmarke des Jahres“, „Förderverein des Jahres“ und „Kulturinvestor des Jahres“.
Blickt man in die Begründung der Jury für die Auszeichnung von Klaus Stieringer, leuchtet diese ein, zum Teil: „Ausgezeichnet wird Klaus Stieringer für seine engagierte und nachhaltige Kulturvermittlung, sein netzwerkorientiertes Handeln und seine starke Kommunikationsfähigkeit.“ In der Tat sind es die Netzwerke, die Herrn Stieringer Titel und Preise bescheren und daher kann in diesem Fall nur zugestimmt werden. Auch seine Kommunikationsfähigkeit ist jeglicher Anerkennung wert. Aber „Kulturvermittlung“? Nein, dieses und andere Worte werden dem, was „Causales“ glauben machen will, nicht gerecht. „Bamberg zaubert“ und das „Tucher Blues- und Jazzfestival“, die als die großartigen Kulturleistungen des City-Managers genannt werden, leisten keine Kulturvermittlung und haben mit erfolgreichem Kulturmanagement nichts zu tun, welches nicht mit erfolgreichem Eventmanagement verwechselt werden darf. Schon im Vergleich mit den Nominierten fallen gravierende Unterschiede sofort ins Auge. Neben Klaus Stieringer standen zur Auswahl: Dr. Joachim Blüher (Villa Massimo), Dr. Dorothea Kolland (Kulturnetzwerk Neukölln) und Volker Ludwig (GRIPS Theater Berlin). Die drei Kontrahenten haben, im Gegensatz zum Geschäftsführer des Bamberger Stadtmarketingvereins, eine solide kulturwissenschaftliche Ausbildung und eine kulturelle Praxis, die längst als Lebenswerk bezeichnet werden muss - entsprechend wurde Volker Ludwig folgerichtig der Sonderpreis für das Lebenswerk verliehen. Sie haben sich als Manager im Umgang mit dem Faktor Kultur auf vielseitige Art und Weise bewährt, gelten in ihren Bereichen als ausdauernd, innovativ und Maßstäbe setzend. Die Kulturpolitische Gesellschaft, deren kulturwissenschaftliche Publikationsreihe über viele Jahre hinweg von Schriften von Dr. Dorothea Kolland bereichert wurden, hat in ihrer edition umbruch zuletzt ihr Buch „Werkstatt Stadtkultur“ veröffentlicht. 30 Jahre Erfahrung als Kulturamtsleiterin in Berlin-Neukölln hat sie hineingesteckt, in sorgfältig reflektierter Form und eingebettet in nationale und internationale Fachdebatten, die sie stets produktiv mitgetragen hat und die für eine jüngere Generation Kulturmanager zum begehrten Lehrstoff avancieren. Wie eine Ohrfeige muss es sich für sie und ihre versierten Nachfolger anfühlen, wenn in 2012 ein Mann zum „Kulturmanager des Jahres“ wird, weil er jährlich zwei Großevents verantwortet, von denen er einen noch nicht einmal selbst erfunden hat. Und die ganz offensichtlich den Zweck der Einkaufsförderung durch Unterhaltung und Massensog verfolgen und den Schwerpunkt gerade nicht auf den künstlerischen Gehalt, auf das kulturell werthaltige Erlebnis inmitten einer Altstadt legen, die selbst den kulturell hochwertigen Titel Welterbe trägt. Denn dieser ist das Geheimnis für die ungebremste und stetig steigende Popularität Bambergs. Und dieser verpflichtet eigentlich zu einem sorgfältigen Umgang mit der gelebten Kultur. Ein Kulturmanager besäße die Sensibilität für diese Problematik, wäre in der Lage seine Kulturfestivals selbst ausgezeichnet zu kuratieren und würde sich nicht dafür loben lassen, dass er die Kommune von ihrem kulturellen Auftrag finanziell maximal entlastet, sondern sein Augenmerk auf die künstlerische Wertigkeit legen und damit nachhaltig Wert für die Stadt schaffen, auch wenn er dafür ein paar Cent aus der Steuerkasse benötigt, welches Recht nicht ohne Grund in der Verfassung verankert ist.