Nicht zum ersten Male bemüht sich das Meininger Staatstheater um die Wiederentdeckung fast vergessener Werke. Mit „The Wreckers“ (Die Strandräuber) von Ethel Smyth wird ab 25. Oktober eine Trouvaille auf die Bühne gebracht, die es schon wegen des Plots in sich hat. Im Grunde genommen ist es eine Kriminalgeschichte, die als Strandrecht beginnt und im Standrecht endet. Es geht darin um das originelle Geschäftsmodell eines kleinen Küstendorfes. Die Ortsansässigen haben sich darauf spezialisiert, die Fracht gestrandeter Schiffe zu plündern und zu versilbern. Seit einiger Zeit scheint jedoch jemand die Schiffe per Leuchtfeuer zu warnen, sodass der Beuteerlös nachlässt. Die Suche nach der schuldigen Person ist mit einer Liebesaffäre verquickt und endet in einem Akt von Selbstjustiz. Die Oper zählt als „Lyrisches Drama“ und wurde 1906 in Leipzig uraufgeführt. In Meiningen wird Smyths Oper erstmals szenisch in der ungekürzten Urfassung und auf Deutsch zu erleben sein. Art5III unterhielt sich mit der Dramaturgin Julia Terwald.
An einem Repertoirestück werden im Musiktheater selten Änderungen vorgenommen. Für ein unbekannteres Werk muss allerdings mehr Aufwand betrieben werden. Die Noten zu Ethel Smyths „The Wreckers“ sind zwar auf Englisch und Deutsch in gekürzter Form beim Verlag erhältlich, doch wir waren daran interessiert, das Originalmaterial in voller Länge auf die Bühne zu bringen, was umso besonderer ist, da die Oper selbst 1906 in Leipzig nicht vollständig zur Uraufführung kam. Der Regisseur Jochen Biganzoli fand heraus, dass die vollständige Oper 2022 in Glyndebourne auf Französisch aufgeführt wurde. Ich nahm Kontakt auf und erfuhr, dass das originale, von Ethel Smyths handgeschriebene Material in der British Library liegt. Das Glyndebourne Festival hat für ihre Aufführung, den Klavierauszug, die Partitur und das Orchestermaterial neu ediert. Mit diesem Material arbeiten wir.
Aufgrund der inhaltlichen Brisanz der Oper über eine sich immer weiter radikalisierende Gesellschaft, die nicht davor zurückschreckt, Menschen aus ihren eigenen Reihen zu töten, haben wir uns für die deutsche Übersetzung entschieden.
In Bezug auf die Ideenfindung zur Inszenierung stehe ich mit dem Regisseur im Austausch. Während der Probenzeit versuche ich mich wieder vom Stoff zu distanzieren, um als „erste Zuschauerin“ entscheiden zu können, ob sich die Konzeption des Regieteams transportiert. In gewisser Weise eine schizophrene, aber sehr spannende Aufgabe.
Ethel Smyth ist eine Komponistin, deren Werke sehr viel Größe haben: Ihre „Messe in D“ ist ein phänomenales Werk, aber auch ihre Kammermusik, ihre Lieder und ihre Opern weisen eine Ausdrucksfülle auf, die man gehört haben muss. „Der Wald“ von 1902 – übrigens bis 2016 die erste Oper einer Komponistin, die an der MET aufgeführt wurde – erlebte in den vergangenen Jahren eine Art Renaissance. Sie lehnte sich gegen ihren viktorianisch-militärisch geprägten Vater auf, um in Leipzig ans Konservatorium zu gehen. Um sich intensiver der Komposition zu widmen, nahm sie bald Privatunterricht bei dem Vorsitzenden des Leipziger Bach-Vereins, lernte Clara Schumann, Johannes Brahms, Pjotr Iljitsch Tschaikowski und viele weitere Musikgrößen kennen. Sie wurde von hochgestellten Persönlichkeiten unterstützt: beispielsweise Kaiserin Eugénie, der Ehefrau Napoleons III. und Queen Victoria. Dennoch hatte sie es als Frau in einem bis heute von Männern dominierten Beruf nie leicht und so war es ihr ein Anliegen als Suffragette, mit Feministinnen wie Emmeline Pankhurst für die Rechte der Frauen zu kämpfen.
Ich finde es schwierig, von Gut und Böse zu sprechen. Auch diejenigen, die augenscheinlich Unrecht tun, sind überzeugt davon, im Recht zu sein. Das ist ein sehr aktuelles Thema, finde ich. Im Zeitalter der Medien und der Möglichkeit, ungefiltert an die unterschiedlichsten Berichterstattungen zu gelangen, verlieren Menschen oft den Überblick darüber, was real, was richtig und was falsch ist. Vielleicht gibt es das gar nicht. Das Stück bietet uns jedoch die Möglichkeit, einen Einblick in verschiedene Denkweisen zu bekommen und uns selbst zu positionieren. Was ist für uns Gut und Böse? Diese Frage darf sich das Publikum stellen.
Es geht um Existenzsicherung, um Angst vor der Zukunft, vor Hunger und Elend. Eine solche Geschichte ist zeitlos, denn sie betrifft Menschen zu jeder Zeit. Sie geht aber tatsächlich auf eine Legende zurück, von der die Komponistin Ethel Smyth in den späten 1880ern an der Küste Cornwalls gehört hat, die sie sehr bewegt hat und von der sie ihrem langjährigen Freund und Librettisten Henry Bennett Brewster berichtet hat mit der Bitte, einen Operntext daraus zu schreiben.
Wir halten uns an den Plot bzw. das Libretto der Oper, die – auch wenn sie an manchen Stellen etwas altertümlich sind – sehr viel Kraft haben. Nur an einzelnen Stellen haben wir eine kleine Änderung vorgenommen, um das Textverständnis zu gewährleisten.
Das Publikum wird, da bin ich sicher, emotional in die Geschichte hineingezogen und dabei nicht nur mit der Kraft des gesprochenen und gesungenen Wortes konfrontiert, sondern auch mit Schriften, die das Elend, die Wünsche und Forderungen der handelnden Figuren zum Ausdruck bringen.