Das künstlerische Schaffen von Sung Tieu, einer in Berlin ansässigen Künstlerin vietnamesischer Herkunft, greift tief in die jüngere Geschichte Deutschlands ein, indem es sich mit der wenig beachteten Geschichte der vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen in der ehemaligen DDR und deren Leben nach der Wiedervereinigung Deutschlands befasst. Ihre Werke, die in der Ausstellung "One Thousand Times" präsentiert werden, zeugen von einer intensiven Auseinandersetzung mit Themen wie Migration, Identität, Bürokratie und den damit verbundenen Kontrollmechanismen. Tieu nutzt ihre eigene Familiengeschichte als Ausgangspunkt und verwebt persönliche Erlebnisse mit den kollektiven Erfahrungen dieser Arbeiter*innengruppe.
Die Ausstellung basiert auf einer gründlichen Archivarbeit, in der Tieu historische Dokumente, Fotografien und persönliche Erzählungen sammelt und analysiert. Diese methodische Erschließung von Archivalien wird in ihren Installationen mit einer Vielzahl von Medien kombiniert: Objekte, architektonische Interventionen, Dokumente, Zeichnungen, Videos und Sounds werden zu sorgfältig inszenierten, atmosphärisch dichten Rauminstallationen zusammengeführt. Diese Werke schaffen es, eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu schlagen, indem sie die Lebensrealitäten der vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen in der DDR und deren Nachkommen beleuchten.
Ein besonderer Fokus liegt auf der Plattenbausiedlung Gehrenseestrasse 1 in Berlin, die einst als Wohnkomplex für vietnamesische Vertragsarbeiter*innen diente und in der Tieu selbst einen Teil ihrer Kindheit verbracht hat. Die Siedlung steht exemplarisch für die Lebensbedingungen und Herausforderungen, mit denen sich diese Gemeinschaft konfrontiert sah, insbesondere nach dem Fall der Mauer und der darauffolgenden Wiedervereinigung, als viele der Vertragsarbeiter*innen plötzlich mit einer ungewissen Zukunft konfrontiert wurden. Die bevorstehende Zerstörung dieses Gebäudekomplexes und die geplante Errichtung eines neuen Hochhausquartiers auf dem Gelände symbolisieren die fortlaufenden Transformationen und die oft schmerzhafte Geschichte der Migration und des sozialen Wandels.
Tieu setzt Materialien wie Stahl, Beton oder Glas ein, die eine kühle, distanzierende Atmosphäre erzeugen und damit die bürokratischen und institutionalisierten Kontrollmechanismen widerspiegeln, die das Leben der Vertragsarbeiter*innen prägten. Gleichzeitig nutzt sie Alltagsgegenstände als Readymades, um die alltägliche Lebenswelt und die persönlichen Geschichten der Betroffenen in den Vordergrund zu rücken.
Obwohl Tieu formale Elemente der Minimal Art verwendet, bricht sie bewusst mit der in dieser Kunstrichtung üblichen Zurückhaltung hinsichtlich sozialer oder politischer Inhalte. Ihre Werke vereinen die strenge Ästhetik der Minimal Art mit einer tiefen inhaltlichen Auseinandersetzung und vermitteln so eine Geschichte, die sowohl individuell als auch kollektiv, sowohl historisch als auch hochaktuell ist. "One Thousand Times" ist somit nicht nur eine künstlerische Reflexion über ein spezifisches Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte, sondern auch ein Beitrag zur laufenden Diskussion über Migration, Identität und gesellschaftlichen Wandel.
Die Ausstellung „One Thousand Times“, die noch bis zum 9. Juni in der Kunsthalle Nürnberg, Lorenzer Straße 32, 90402 Nürnberg zu sehen sein wird, entstand in Kooperation mit dem Kunst Museum Winterthur. Weitere Informationen unter www.kunstkulturquartier.de/kunsthalle.