1946 war ein Gründerjahr par excellence, und daher ist es kein Wunder, dass heuer so manche Kultureinrichtung einen halbwegs runden Geburtstag feiern kann. Halbwegs deshalb, weil die hergebrachte Jubiläumsarithmetik eigentlich in 25-er-Schritten einhermarschiert. Aber lassen wir die 70 rund sein und schauen, warum 2016 gleich drei wichtigen Symphonieorchestern Frankens zum Feiern zumute sein darf. Auch wenn sofort nach dem Krieg – und noch vor der Gründung der Bundesrepublik – auf allen möglichen Gebieten der Wiederaufbau begann, so fiel der kulturellen Wiederbesinnung nach den Jahren der Barbarei doch eine besonders bedeutende Rolle zu.
Die Hofer Symphoniker wurden vor 70 Jahren vom damaligen Kapellmeister Karl F. Keller gegründet. Er legte damit den Grundstein für eine erfolgreiche Entwicklung, die zu einer fruchtbaren Diversifizierung der Aktivitäten des Orchesters geführt hat. Dazu gehörte vor allem die Gründung einer orchestereigenen Musikschule im Jahre 1978, deren herausragende Qualität durch beeindruckende Erfolge bei Wettbewerben und die Zuerkennung zahlreicher Preise bestätigt wurde. Angeschlossen ist mit der Suzuki-Akademie ein Kompetenzzentrum für diese spezifische Lehrmethode. Darüber hinaus betreiben die Hofer Symphoniker eine Vielzahl von Schulkooperationen und anderen pädagogischen Projekten.
Der Ursprung der Hofer Symphoniker liegt – ähnlich wie bei den Bamberger Symphonikern – in den Flüchtlingswirren nach dem II. Weltkrieg. Als im Flüchtlingslager Hof-Moschendorf Musiker aus dem Sudetenland und aus Schlesien zusammenfanden, trafen sie schnell auf ortsansässige Gleichgesinnte, und Karl F. Keller gelang es, dem verantwortlichen US-Offizier die Genehmigung zu „offiziellen Konzertproben“ abzuringen. Schon im September 1945 absolvierte das nunmehr „Hofer Konzertorchester“ genannte Ensemble seinen ersten Auftritt. Ein Jahr später entwickelte sich aus diesen Anfängen bereits das Orchester mit dem Namen „Hofer Symphoniker“, das allerdings während der Sommermonate vor allem als Kurorchester in den bayerischen Staatsbädern firmieren musste. Die Zusammenarbeit mit dem Städtebundtheater Hof brachte der Institution zunehmende Sicherheit und Stabilität.
Zu den prägenden Gestalten in der Geschichte der Hofer Symphoniker gehören insbesondere der langjährige Intendant Wilfried Anton und der Dirigent Enoch zu Guttenberg. Anton war ein unermüdlicher Förderer, der nicht eher ruhte, bis das Orchester um Rangstufen nach oben kletterte und heute als kulturelles Schlachtschiff in Ostoberfranken gelten darf. Zu Guttenberg hat viele bedeutende Orchester dirigiert und sich große internationale Achtung verschafft durch ungewöhnliche und originelle Herangehensweisen. Erster Gastdirigent ist seit der Saison 2010/11 Daniel Klajner, der einst Assistent von Leonard Bernstein und später von Claudio Abbado gewesen ist. Er bekleidete vor seiner Hofer Tätigkeit das Amt des Generalmusikdirektors in Würzburg und leitete dort auch das Mozartfest.
Die Hofer Symphoniker sind neben ihrem ureigensten Betätigungsfeld, mithin der „Versorgung“ der Region mit qualitätvollen Interpretationen symphonischer Musik, auch im Musiktheater der Landesbühne Theater Hof engagiert, wirken also bei den Opern-, Operetten- und Musicalaufführungen des Theaters mit. Aufführungsort für die Symphoniekonzerte ist der Festsaal der Freiheitshalle Hof. Das ostoberfränkische Orchester ist ein Kulturunternehmen, begreift sich aber auch als eine musisch-soziale Institution, die mit der Erfüllung ihres Kulturauftrages eine flächendeckende gesellschaftspolitische Relevanz erreicht.
Für die zweite Saisonhälfte ihres Jubiläumsprogramms haben sich die Hofer Symphoniker Konzertprogramme ausgedacht, über denen jeweils ein pfiffiges Motto steht. „Ostwind“ ist das Programm am 29. Januar betitelt, und man kann sich denken, dass natürlich das slawische Repertoire bedient wird. Am 18. März wird es um „Märchenhafte Träumereien“ gehen, am 8. April um „Liebe, Leiden und Leidenschaft“. Besonders gespannt sein darf man auf den 19. Februar, wenn der Klassikstar Jörg Widmann, zurzeit „composer in residence“ der Bamberger Symphoniker, unter dem Motto „Komponist – Dirigent – Solist“ in Hof gastiert – natürlich in allen drei Rollen!
Auch die Nürnberger Symphoniker blicken auf 70 Jahre musikalischer Existenz zurück, denn sie wurden am 1. Juni 1946 zunächst als „Fränkisches Landesorchester“ gegründet. Dieses Jubiläum ist Anlass für ein besonderes Jahresprogramm mit bemerkenswerten Höhepunkten. So wird in den Februar recht sportlich gestartet, nämlich mit einem Konzert unter dem Motto „Sport trifft Klassik“. Legendär erkämpfte Olympiasiege und Meistertitel, aber auch tragisches Scheitern im Endspiel – der Sport schreibt nun einmal Heldengeschichten, die an diesem Abend in Gesprächen mit Sportlerinnen und Sportlern wiederaufleben sollen. Doch die Musik kennt ebenfalls Heldengeschichten, die von Aufstieg, Ruhm und Fall künden. Am Dienstag, 2. Februar, findet diese Veranstaltung der Bertolt-Brecht-Schule in der Meistersingerhalle statt, in Zusammenarbeit mit der Deutschen Olympischen Gesellschaft, dem 1. FC Nürnberg und natürlich den Nürnberger Symphonikern, die Werke von John Williams, Gioacchino Rossini, Peter Tschaikowsky u.a. darbieten werden.
Nur zwei Tage später taucht das Orchester in eine ganz andere Welt ein, denn am 4. Februar wird es im kleinen Saal der Meistersingerhalle ein Konzert für Menschen mit Demenz geben. In Kooperation mit diversen Fachverbänden und in der Überzeugung, dass die Musik der Schlüssel zur inneren Welt des Menschen ist, soll diese Veranstaltung Betroffenen und ihren Angehörigen die Möglichkeit geben, gemeinsam ein Konzert zu erleben und damit weiterhin am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können.
Feurig dürfte es zugehen, wenn der „Teufelsgeiger“ Nemanja Radulovic beim 6. Sonntagskonzert der Nürnberger Symphoniker am 21. Februar in der Meistersingerhalle gastieren wird. Flankiert wird er dabei von einer jungen Mexikanerin, die als Dirigentin gerade Europa wie im Sturm erobert: Alondra de la Parra, die überdies eine symphonische Suite aus ihrer Heimat vorstellt, deren musikalische Würze schärfer als Chili con Carne sein soll...
Albrecht Mayer, der in der ganzen Welt gefeierte Oboenstar aus Bamberg, wird beim 7. Abonnementkonzert des Orchesters am 27. Februar (abermals in der Meistersingerhalle) als Solist und Dirigent in Personalunion wirken. Neben Mendelssohns „Schottischer“ steht das immens virtuose Oboenkonzert von Ralph Vaughan Williams auf dem Programm. Nur zwei Wochen später wird der Chefdirigent Alexander Shelley im 8. Abokonzert, dem offiziellen Jubiläumskonzert, Werke von Rachmaninow, Liszt und Chopin dirigieren. Solist ist Martin Stadtfeld, einer der renommiertesten deutschen Pianisten, in Frédéric Chopins Klavierkonzert Nr.1 e-moll. Das Motto dieses Konzertes, das am Folgetag wiederholt wird, lautet „Piano? Forte!“. Es wird übrigens am Jubiläumstermin, also dem 1. Juni 2016, auf BR-Klassik gesendet.
Erwähnenswert ist auch der Abend unter dem Titel ‚Tea time at the Savoy‘ am 17. März, an dem das Opera Swing Quartet – genannt OS4 – sich einmal mehr „zwischen alle Stühle und Stile“ setzt und zusammen mit den Nürnberger Symphonikern humorig-furiose Mixturen mit „Finest Classical“ und famosen „Jazz Blends“ präsentiert. Nur eine Woche später, am 24. März, stellen die Stipendiaten des Deutschen Dirigentenforums bei einem Konzert im Musiksaal der Kongresshalle ihr Können unter Beweis. Unter dem Motto ‚Sprungbrett‘ bedeutet dieses Abschlusskonzert eines Dirigierkurses, der unter der Ägide des Deutschen Musikrates stattfindet, zugleich das Ende einer intensiven Arbeitswoche mit den Nürnberger Symphonikern.
Das Trio der 70 Jahre alt gewordenen Symphonieorchester Frankens wird vom unbestrittenen Platzhirsch dieser Klangkörper, den Bamberger Symphonikern alias Bayerische Staatsphilharmonie, komplettiert. 70 Jahre Bamberger Symphoniker, das heißt zugleich 230 Jahre böhmische Klangtradition, von der nicht nur die Musiker behaupten, dass sie auch beim heutigen Orchester noch zu ahnen ist. Dessen Vorgeschichte geht bis auf das 1783 gegründete Ständetheater in Prag zurück, für das übrigens Mozart 1787 seinen „Don Giovanni“ komponierte. Ab Ende des 19. Jahrhunderts spielte das Orchester im neu erbauten Deutschen Opernhaus der Goldenen Stadt unter Dirigenten wie Gustav Mahler, Alexander von Zemlinsky und George Szell und ab 1940 als „Deutsches Philharmonisches Orchester“ unter Joseph Keilberths Dirigat, zuletzt unter politisch prekären Bedingungen. Kurz vor Kriegsende mussten die Musiker westwärts flüchten und fanden sich später in der weitgehend unzerstörten Bamberger Altstadt wieder. Am 20. März 1946 gab das neuformierte Ensemble sein Debüt in der alten Bischofsstadt, zunächst unter der Bezeichnung „Bamberger Tonkünstlerorchester“, doch wenig später musizierte es bereits unter seinem heutigen Namen.
Natürlich werden die Bamberger Symphoniker ihr Jubiläum in gebührender Weise begehen. Zwei Termine ragen dabei durch ihre besondere Prominenz heraus. Zunächst wird Bundespräsident Joachim Gauck zum traditionellen Benefizkonzert in die Konzerthalle einladen, passenderweise am Vorabend (19. März) des eigentlichen Jubiläumstages. Kurze Zeit später wird es mit dem Auftritt des Starpianisten Lang Lang in der Brose-Arena ein weiteres Highlight zu vermelden geben (siehe auch unseren Artikel auf der nächsten Seite). Der 20. März schließlich wird unter dem Motto „open house“ als ein „Sonntag voller musikalischer Überraschungen und ungewöhnlicher Erlebnisse“ gefeiert. Die Konzerthalle soll mit allen Nebenräumen zur Bühne werden, von der Tiefgarage bis zum Büro der Intendanz wird allerorten Musik erklingen. Im Foyer erwartet die Besucher eine Ausstellung mit historischen Fotografien, und das Orchester kann in alten Filmen aus den 1960er Jahren retro-perspektiv erlebt werden.
Copyright Fotos:
Bamberger Symphoniker, Foto © Peter Eberts
Hofer Symphoniker vor der Freiheitshalle Hof, Foto © Jahreiss.com
Nürnberger Symphoniker, Foto © Torsten Hönig