Unfassbar ist sie. Unfassbar ihre Kunst. Vielseitig und umfangreich. Wie aus der Kunstfabrik schießen uns ihre Werke entgegen. Ein Gedicht hier, ein Roman da, ein Krimi, noch ein Gedicht. Und noch eine Arbeit. Ein Werk jagt das nächste. Sophie Reyer, unbändig am Schaffen, setzt sie aus Wien heraus nach allen Seiten Akzent um Akzent und bewahrt sich trotz der Fülle ihrer Werkliste Eigenarten, die vom Besonderen zum Ganzen reichen und zurück. Ihre vielseitige, tiefgründige Weltwahrnehmung prägt ihre Kunst. Tangiert stets Philosophisches. Setzt an am Grundsätzlichen. An großen Themen und mal an kleinen. Immer jedoch an besonderen. Einmal wahr, einmal ausgedacht. Verwebt den roten Faden sie auch mal zum Knoten und gegen das Vergessen. Für das Aufwachen, den Impuls aus verschiedenen Ecken. Reflexion ihre Denke, unkonventionell ihr Ductus. Definitiv beim Schreiben. Denn in der Komposition wäre ihr dies ausgetrieben worden, beim echten Studium der Regeln und Paradigmen derselben, so sagt sie. Freier bewegt sie das Wort.
Ihre ausgeprägte Wahrnehmung ist ein gattungsübergreifendes Phänomen, das die Kategorien der Genres tauscht und daraus ordentlich Profit zieht. So trägt Sprache Rhythmus, klingt die Welt in Buchstaben, steigert sich ihre Weltwahrnehmung zu bunten Synästhesien, die sie kompakt in jede erdenkliche Schublade legt. Ihr Sprachklang besonders gütig. Gerne schummelt sie mit ihrer Prosa. Ein wenig kantig die Themen, dafür hellhörig, sensibel und natürlich political correct. Schreibt sie von lesbischer Liebe im Kinderchor, fasziniert sich für alle „-ismen“, für den Katholizismus zuvorderst. Sie macht Schönheit an der Länge der Finger fest und kreiert grenzenlos und ohne Rast. Kindertheater, Lyrikbände, Romane, Libretti, Kammermusik, Multimedia, Singstimmen, Minidramen, Musiktheater und tausend Dinge mehr.
Sophie Reyer
Ich denke, ich bin ein Pilzgeflecht. Ein Rhizom. Ich bin ein Hybrid- alles ist miteinander verwoben, man kann aber auch an beliebigen Stellen meines Werkes ein- und aussteigen, ohne den Überblick zu verlieren. Jeder kann sich überall einklinken. Wenn ich drei Werke empfehlen müsste: immer die letzten drei: 1431, meine E.T. A. Hoffmann- Bearbeitungen (Herder) und Musicafemina, eine lyrische Bearbeitung von vergessenen Komponistinnen-Biografien.
Sophie Reyer
Im Moment forsche ich zum Thema Märchen. Bei Märchen handelt es sich um anonyme, ursprünglich nur mündlich überlieferte Geschichten, die sich durch eine Eigenschaft auszeichnen: Objektiv gesehen sind sie unwahr. Dennoch rufen ihre phantastischen und unerhörten Ereignisse in denen, die ihnen lauschen, Staunen und Freude hervor! Es ist also nicht verwunderlich, dass sich diese Gattung durch alle Kontinente zieht und in allen Zeiten und bei allen Völkern finden lässt. Viele ihrer Muster spiegeln sich bis heute in unserem Denken, unserer Vorstellung von der Welt und unserem Sprechen wider. Das fasziniert mich unendlich. Ich bearbeite gerade Märchen der Grimms und transferiere sie in das Zeitalter des Anthropozän.
Sophie Reyer
Das ist bereits längst geschehen: Ich arbeite jetzt an sogenannten Worttüchern. Die Idee kam mir mit Corona. Im Zuge der Digitalisierung hatte ich das Gefühl, den Zugang zur Körperlichkeit zu verlieren. Also begann ich, Tücher mit Worten zu beschreiben. Die Idee ist, dass man sich dann ganz real in die Gedichte „einwickeln“ kann, also ist das Worttuch eine Umarmung in Zeiten, in denen Umarmungen mit Menschen einem unmöglich gemacht werden.
Sophie Reyer
Ich denke, ganz im Sinne des Rhizoms von allem ein bisschen etwas. Wie muss eine subversive Form der Musikoper heute aussehen? Diese Frage stelle ich mir seit vielen Jahren. John L. Austin schreibt in seiner Theorie der Sprechakte, dass performative Äußerungen auf eine ganz besondere Weise unernst seien, wenn sie in einem Gedicht vorkommen oder von einem Schauspieler auf der Bühne getätigt werden, oder aber, wenn der Sprechende sie zu sich selbst sagt. Jede Äußerung, meint er, kann diesen Szenenwechsel in gleicher Weise erleben. In diesem Fall wird die Sprache auf eine klare und durchschaubare Art und Weise unernst gebraucht. Austin schreibt, die gewöhnliche Handhabe der Sprache würde „parasitär ausgenutzt“. Er bezeichnet diesen Aspekt des Sprachgebrauchs als einen Teilaspekt einer Sprache der Auszehrung und geht im weiteren Verlauf seines Werkes nicht näher darauf ein. Ich möchte mich jedoch hier in dem Begriff der „Etoilation“der Auszehrung, verbeißen, um ihn auszuzehren und ihn auf mein eigenes künstlerisches Werk anwenden. Eine Suchbewegung nach einer neuen Form. We see. Es bleibt spannend. Scheitern ist inbegriffen.
Sophie Reyer
In den letzten Jahren habe ich viel mit Menschen gearbeitet und festgestellt, dass das Bedürfnis, sich kreativ auszudrücken, also Geschichten zu erzählen und zu spielen, ein ursprünglich Menschliches ist. Schon allein die Geschichte des Märchens beweist es. Und im Zuge meiner Arbeit an einem Forschungsprojekt zum Thema Märchen bin ich auch auf die Erzählungen der Romantik gestossen, die mich im Besonderen fasziniert haben.
Allen voran E.T.A. Hoffmann, vor allem, weil er fast freudianische Bilder in seiner Arbeit hat: Die Hochzeit mit einer Karotte beispielsweise oder der Lehrer, der in Wahrheit eine Fliege ist- all das sind höchst metaphorische Elemente, die die Psychologie des 20. und 21. Jahrhunderts vorwegnehmen. Und für meine Studenten an der Pädagogischen Hochschule wollte ich diese Texte neu erzählen, allen zugänglich machen, in einer moderneren Sprache.
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Zur Person Sophie Reyer:
geboren 1984 in Wien, lebt in Wien.
Publikationen: “geh dichte” (Lyrik, EYE- Verlag 2005), ”vertrocknete voöel” (Roman, Leykam 2008), “baby blue eyes” (Roman, Ritter 2008), “binnen” (Lyrik, Leykam 2010), "flug (spuren)" (Leykam 2012), "die gezirpte zeit" (Lyrik, Berger- Verlag 2013) und "Marias. Ein Nekrolog" (Prosa, Ritter 2013).
“Master of Arts” in der Komposition/ Musiktheater 2010 sowie Diplom in “Szenisch Schreiben” bei uniT 2010 und Doktor der Philosophie für Sprachkunst. Literaturförderungspreis der Stadt Graz sowie Manuskripte- Förderungspreis. 2010: Theatertexte “vogelglück”, "baumleberliebe", “hundpfarrer” und "Anna und der Wulian" (S. Fischer- Verlag). Studium “Drehbuch und Filmregie” an der Kunsthochschule für Medien Köln seit 2011. Shortlist für den Österreich Buchpreis 2019. Zuletzt erschienen: „Clara und ihre Morde“ (Emons – Verlag). Sophie Reyer ist Lehrbeauftragte an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich.