Die Verbindung von Schrift und bildender Kunst gilt bis heute als eine strittige Angelegenheit. Künstler, die das ablehnen, haben jede Form der Literarisierung gerne als ein Abgleiten in die Illustration gebrandmarkt. Von Zeit zu Zeit wurde entsprechender Kunst der Begriff ‚narrativ‘ als pejoratives Attribut zugeordnet. Verpönt ist eine Malerei, die Geschichten darstellt, das Suggerieren oder Indizieren von Geschichten ist opportun. Eine rein textorientierte Kunst wie bei Lawrence Weiner erfährt Akzeptanz unter dem Begriff der Konzeptkunst.
Eingeführt durch Georges Braque im Jahr 1909 in seinem Gemälde „Feuerzeug und Zeitung“, verbreitete sich die Verwendung von Schrift rasch im Kubismus und im Dadaismus und im exponentiell wachsenden Einsatz von Collage/Assemblage/Montage. Begründet wurde die Verwendung von Schrift in der Malerei als eine Form gesteigerter Realitätsnähe und als Element einer großstädtischen Erfahrungswirklichkeit. Indirekt wurde Schrift das augenfälligste Moment einer schleichenden Konzeptualisierung von Malerei und einer rasch wachsenden Reflexivität von Kunst.
Die Literatur hatte schon früher den Schulterschluss mit dem Visuellen probiert – in Stéphane Mallarmés Gedicht „Un coup de dés“ (1897) und durch dessen sinnstiftende und aufwändige Textgestaltung. Die Konzeptualisierung war und ist Ausdruck eines kunstimmanenten Zweifels an der Kunst, anfangs, bei den Futuristen, eine künstlerische Anti-Kunst-Geste. Zu Beginn eine Grenzüberschreitung und Sache der Avantgarde, gibt es später für die Verwendung von Schrift im Bild zwei extreme Ausprägungen: Einmal die, dass Typografie künstlerisch wird, bis dahin, wo der einzelne Buchstabe zum Bildgegenstand wird. Beispielsweise in den analog zu den Serien der „Metapher Zahl“ ab 1984 entstandenen „Vokalbuchstaben“ von Rupprecht Geiger. Und vor 1984 bereits ausgeprägt bei Künstlern wie Josua Reichert oder Robert Indiana, die Typografie in Bild oder Skulptur verwandelten, und die sich auf Vorläufer in der Konkreten und speziell Visuellen Poesie stützen konnten – gerade ihr in Deutschland bekanntester Protagonist, Eugen Gomringer, schuf Gedichte, die anfangs nur zwischen Buchdeckeln ihren Auftritt hatten, später hingegen auf relativ großformatige Leinwände aufgebracht wurden.
Das andere Extrem ist der Schreibgestus wie in der informellen Kunst, im Tachismus, in der skripturalen Malerei (Cy Twombly) und heute in der Street Art bzw. dem Graffiti. Es kommt dabei nicht mehr vorrangig auf die Lesbarkeit eines Wortes oder Morphems an, sondern die Schreib-bewegung als solche suggeriert eine gewisse emotionale Qualität wie Quantität. Für solche Malerei wurde oft der aus der Musik stammende Begriff Notation gebraucht. In der Beschränkung auf den Gestus sind Schreiben und Lesen einerseits prinzipiell Techniken der Kommunikation, andererseits jedoch Techniken der Innerlichkeit, des Selbstmonologs, des Solipsismus.
Dietmar Pfister hatte seit Anfang der 1980-er Jahre skripturale Malerei geschaffen. 1985 artikulierte er, was er an diesem Bilderschreiben schätzte: „Nur für einen kurzen Moment, nur für mich ist das Bild – im wörtlichen Sinn – lesbar. Später nicht mehr, für andere nicht. Das gefällt mir. Dass etwas lesbar war, weiß jeder – was lesbar war, weiß keiner, der mein Bild sieht. Lese ein jeder seinen eigenen – nicht meinen – Text/Brief etc., seine eigene Geschichte, nicht meine.“
Wie nah er der Visuellen und der Konkreten Poesie und allen Sprachexperimenten stand, zeigt schon die Auswahl an Autoren, die teils in Katalogtexten über ihn, teils mit ihm schrieben, die er mit anderen Worten einlud, mit eigenen Sprachwerken in seinen Künstlerbüchern aufzutreten (vom erwähnten Eugen Gomringer über Helmut Heißenbüttel bis zu Franz Mon oder Raoul Schrott). Doch 1994 kam Pfister zu der Ansicht, dass er sich „ausgemalt“ hatte. Nach einer schöpferischen Pause begann er ab Mitte der 1990er-Jahre seine ab ca. 1980 entstandenen Buchobjekte zu zeigen, für die er heute bestens bekannt ist und die er in vielen Ausstellungen in verschiedenen Ländern präsentiert hat.
Das sichere Terrain der Buchobjekte verlässt Dietmar Pfister in der Fürther Ausstellung „pfeilschnell ist das jetzt entflogen“, die bis 23. Dezember in der Kunstgalerie Fürth zu sehen ist. Erneut tritt er auf als Maler großformatiger skripturaler Bilder, vor allem aber als Installationskünstler. Dabei bleibt er seinem von Stéphane Mallarmé geliehenen Motto treu, dass die Welt im Grunde dazu da sei, auf ein schönes Buch hinauszulaufen: „…sommaire veut, que tout, au monde, existe pour aboutir à un beau livre“. Und macht einmal mehr aus schönen Büchern (oder Buchseiten oder -deckeln) oder aus Sätzen schöne Kunst.
Die Installation „Club der toten Dichter“ entstand 2010 und wurde 2012 in der Kunsthalle Schweinfurt gezeigt. Wenn in den Buchobjekten (meist als Sockelskulpturen) häufig auf den Inhalt der verwendeten Bücher Bezug genommen wird, so sind hier die Bücher ohne Referenz auf ihren Inhalt in Beton eingegossen. Zwischen den großen Tierknochen platziert, ist die formalästhetische Komponente durch eine erschreckende Rohheit, gewissermaßen eine Endzeitstimmung, überdeckt.
Die Wandinstallation „Die Blauen Bücher (Die Wand)“ von 2016 hat wieder sehr offensichtliche formalästhetische Qualität. Eine prinzipiell unendliche Reihung blauer Bucheinbände (inklusive solche von Kladden, Tagebüchern, Akten), die ihres Innenlebens entledigt sind, scheint die Definition von Schönheit des österreichischen Philosophen Robert Pfaller zu versinnlichen: „Schönheit ist der Glanz der Verausgabung“.
Premiere hat die Installation „aufgeschrieben (Das Zelt III)“, ein altes Bundeswehrtarnnetz, an dessen Innenseite zahllose Buchseiten einiger der bedeutendsten philosophischen und religiösen Bücher wie herbstliche Blätter am Baum hängen. Die Betrachter finden sich unter dem Zelt wie unter einem Firmament wieder, an das an die Stelle der Sterne Buchseiten getreten sind (ob aus dem Kapital von Marx, aus der Bibel oder dem Koran und anderen rezeptionsgeschichtlich hochwirksamen Druckerzeugnissen). Die Buchseiten wurden nicht immer nur ausgewählt im Sinne von repräsentativen Schlüsselzitaten, sondern nicht selten wie bei der Stichomantie/dem Däumeln, dem intuitiven Aufschlagen eines heiligen Textes oder eben dem raschen Blättern mit dem Daumen, um aus einer zufälligen Fundstelle eine Weissagung auf eine an sich unbeantwortbare Frage zu bekommen.
Ausstellung „pfeilschnell ist das Jetzt entflogen“ von Dietmar Pfister noch bis 23. Dezember in der Kunstgalerie Fürth.
Fotocredits:
Dietmar Pfister, „Die blauen Bücher“, Foto © Knut Pflaumer, Nürnberg
Dietmar Pfister, „Club“, Foto © Knut Pflaumer, Nürnberg