Jede neue Spielzeit, freut sich Johannes Kaetzler, sei für ihn so, wie wenn es die erste wäre, voller Vorfreude und Neugier auf alles, was in dem jeweiligen Jahr an besonderen Momenten zu erleben und welche Herausforderungen zu bewältigen sind. In diesem Jahr ist es seine 17. Spielzeit bei den Feuchtwanger Kreuzgangspielen, die im vergangenen Jahr ihr 75-jähriges Jubiläum feierten. Vom 11. Mai bis 11. August dauert die Festspielzeit in diesem Jahr. Rund 150 Vorstellungen im Kreuzgang sowie im Nixel-Garten hat das Ensemble dann zu schultern, bei jedem Wetter. „Das erfordert viel Kraft und Durchhaltevermögen“, betont Kaetzler, „das Arbeiten in einem so tollen Team gibt aber ebenso schöne Erlebnisse und Begegnungen zurück.“
Was braucht eine Bewerberin oder ein Bewerber, um diesen Anforderungen gewachsen zu sein? „Während der Ausbildung erleben die jungen Leute“, so Kaetzler, „meist den üblichen Theaterbetrieb in einem festen Haus.“ Das Freilichttheater bringt weitere Facetten dazu. Wesentlich sei generell eine schauspielerische Grundbegabung, dazu die Lust auf Verwandlung sowie auch die Fähigkeit, sich in Figuren hineinversetzen zu können. Wichtig sei auch die Bereitschaft, im Team zu arbeiten, miteinander an einer Produktion zu wachsen. Für das Theaterspiel im Freien kämen noch ganz andere Herausforderungen dazu. Man müsse auch körperlich fit sein, belastbar und auch bereit bei Hitze und Regen zu spielen. „Wer zu uns nach Feuchtwangen kommt“, so der Theaterleiter, „weiß das.“ „Starke Persönlichkeiten sollten alle Darstellerinnen und Darsteller sein, kommunikativ und natürlich verlässlich. „Natürlich“, ergänzt er, „müssen Neuzugänge ins bestehende Ensemble passen.
Im September 2008 hatte Kaetzler bei dem renommierten Freilufttheater im Kreuzgang begonnen. Ein besonderer Ort sei es, mit einer ganz eigenen Aura. Das spüren auch die Besucherinnen und Besucher. Etwa die romanischen Bögen des Kreuzganges, die Seitenfront der Stiftskirche mit dem mächtigen Kirchturm sowie die beiden alten Bäume, die mit in die Planung einbezogen werden. All das wirkt zusammen mit dem Bühnenbild, das in diese historische Szenerie geschickt hinein gezirkelt wird, ohne die historischen Details zuzubauen. „Die Kreuzbögen sollen nach Möglichkeit sichtbar bleiben“, betont der Intendant, „und ermöglichen auch Zu- und Abgänge.“
Viele Kolleginnen und Kollegen haben ihn seit Beginn seiner Intendanz im September 2008 begleitet, einige von ihnen bereits mehrfach. Seinen familiären Lebensmittelpunkt hat der Theaterspezialist in Hamburg, wo er auch an der Freien Schauspielschule unterrichtet. Für die Sommerspielzeit kommt er nach Feuchtwangen. „Eine tolle Sache“, sagt er, „den Bühnennachwuchs von Anfang an zu begleiten, zu sehen, wie die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler wachsen, nach und nach ihr eigenes Profil entwickeln.“ Für das Theater bedeutet das, dass er viele junge Talente schon früh nach Feuchtwangen holt. Die Kooperation der Feuchtwanger Bühne mit der Freien Schauspielschule Hamburg ermöglicht das. Vorbereitet werden die Theaterprojekte, bei denen sich die jungen Leute aus gestalterisch einbringen können, zuvor an der Schauspielschule, ehe sie dann vor Ort zur Endform finden.
Theater ist für den Intendanten immer eine Ensembleleistung, unabhängig davon, ob jemand vor oder hinter der Bühne aktiv ist. „Viele Menschen schaffen zusammen etwas Gemeinsames“, betont er immer wieder. Für den Intendanten gilt das auch in Bezug auf frühere Generationen, die die Basis für das heutige Theater gelegt haben. „Genauso“, sagt er, müssen wir unsere Arbeit so machen, dass wir nachfolgenden Generationen diese grundlegenden Bedingungen ebenso zukommen lassen. Die Zukunft der Kreuzgangspiele sieht der Intendant als gesichert. Die bereits jetzt zu Beginn der Saison guten Vorverkaufszahlen geben ihm Recht.
„Die Freilichtbühne im historischen Kreuzgangareal“, so Kaetzler, „liegt mitten in der Stadt.“ Als Alleinstellungsmerkmal beschreibt Kaetzler das, was auch den direkten Kontakt zu den Bewohnern der Stadt zur Folge hat. Im Schnitt träfen jedes Jahr so um die 50 000 Besucherinnen und Besucher auf eine Stadt mit rund 11 000 Einwohnern.
Der Anspruch, den der erfahrene Theaterleiter bei der Auswahl und Umsetzung von Stücken ansetzt, ist hoch, folgt einer langen Tradition. Jede Aufführung soll zum Anliegen jeder und jedes Einzelnen werden. Das sei ein Lern- und Erfahrungsprozess, betont Kaetzler. Aber in der Regel unterstützt man sich im Team, so helfen erfahrene Mitglieder bei Bedarf auch den jungen Talenten.
Für jede Spielzeit muss der Intendant auch Werke für die jeweilige Saison auswählen. Was ist zu beachten? „Manche Stücke“, sagt er, drängen sich richtig auf, etwa weil ein Thema, eine Geschichte einfach in die Zeit passt. Allerdings muss man schauen, ob sich ein Stück für den Kreuzgang überhaupt eignet.“ Theater müsse ein Ort der Offenheit sein, auch der Auseinandersetzung mit aktuellen Themen. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt sicherlich auch die finanzielle Basis, was bedeutet, dass zu der künstlerischen, auch eine kaufmännische Verantwortung kommt. Das geschieht in Rücksprache mit der Stadt und dem Kulturamt. Eine thematische Verbindung zwischen den Stücken, so sein Resümee, ergebe sich meist von selbst. Für Kinder und Familien wird in dieser Spielzeit Astrid Lindgrens „Ronja Räubertochter“ (Premiere war bereits am 11. Mai 2024, Regie Bettina Ostermeier) gespielt, als Abendstücke stehen Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ (Premiere 6. Juni 2024, Regie Johannes Kaetzler) sowie Agatha Christis „Mord im Orientexpress“ (13. Juni 2024, Regie Lennart Mathiesen) auf dem Spielplan. Dazu kommen das Hamburger Theaterprojekt „#Faust / Zwei Seelen“, „Der Regenbogenfisch“, unter der Regie von Konstantin Krisch, sowie Yasmina Rezas Theatermonolog. „Anne-Marie die Schönheit“. Diese drei Stücke finden im Nixel-Garten, einer zweiten, etwas kleineren Freilichtbühne, oder auch der benachbarten Nixel-Scheune, ganz in der Nähe statt. Erweitert wird das Spielzeitprogramm noch um einen Theaterspaziergang, unter dem Motto „Reisezauber“ sowie um eine Mitternachtsrevue.
„Wir konnten wieder ganz tolle und sehr, sehr gute Leute engagieren, die den Festspielen Ehre machen werden und die dem hohen Anspruch, den wir in Feuchtwangen an das Theater haben, auch gerecht werden“, heißt es in einer Pressemeldung, „Es ist einzigartig, dass wir in Feuchtwangen immer ein Ensemble zusammenstellen können, das menschlich harmoniert und zugleich aus ausgezeichneten Künstlerinnen und Künstlern besteht.“ Erweitert wird das Team durch langjährige Kolleginnen und Kollegen im Bereich der Bühnen- und Kostümgestaltung. Der Kreuzgang erfordert auch hier ein besonderes Gespür für die historische Kulisse.
Gerd Lukas Storzer spielt den Meisterdetektiv Hercule Poirot in „Mord im Orientexpress“. Maike Bollow und Andreas Wobig sind Claire Zachanassian und Alfred III im „Besuch der alten Dame“. Juliane Krug steht als „Ronja Räubertochter“ auf der Bühne. Besonders freut sich Johannes Kaetzler, dass er, neben den langjährigen Ensemblekolleginnen und -kollegen auch Bollow gewinnen konnte. Für die bekannte TV-Darstellerin ist es das Festspiel-Debüt. 23 Schauspielerinnen und Schauspieler gehören zum diesjährigen Ensemble, dazu kommen acht Schauspielschülerinnen und -schüler. Kaetzler ist die große Freude anzumerken.
Regelmäßig wechselt der Intendant auch in die Rolle des Regisseurs. So wird er Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ inszenieren. Gleichzeitig als Darsteller auf der Bühne stehen, möchte Kaetzler nicht. Der Schauspieler müsse nach seiner Meinung den Regie-Blick „daheim“ lassen, und umgekehrt ebenso. „Das klappt meist nicht wirklich gut“, sagt er. Regiearbeit ist sein Ding, das merkt man schnell. Nach dem Studium der Theater- und Kommunikationswissenschaften in München, absolvierte er noch eine Schauspielausbildung. Als Regieassistent renommierter Kollegen, konnte Kaetzler vielfältig Erfahrung sammeln, die er im Kreuzgang einbringt.
Warum gerade Dürrenmatt und „Der Besuch der alten Dame“? Nach Kaetzler geht es um zentrale Fragen, die allerdings in dem Stück aus den 1950er-Jahren „radikal“ gestellt werden. Wie käuflich sind wir oder auch, wie viele Täteranteile stecken in jedem von uns? Überlegungen, die den Regisseur bei Dürrenmatt beschäftigen. „Das Stück“, sagt er, „lebt aus den Impulsen seiner Zeit, spiegelt den gesellschaftlichen Rahmen, gerade mal zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs.“ Wie aktuell ist Dürrenmatts Werk noch heute? „Es geht um eine grundsätzliche Thematik“, beschreibt der Regisseur seinen Ansatz, „die im Kern auch heute noch Gültigkeit hat. Kann man mit Geld jemanden dazu bringen, alles dafür zu tun, gegebenenfalls auch zu morden?“ Allerdings müsse man, so Kaetzler weiter, das Stück aus heutiger Sicht einordnen und verstehen. Aktuelle Ansatzpunkte ließen sich schon finden. „Dürrenmatt ist ein großer Dramatiker“, ergänzt er noch, „der auch Elemente der griechischen Tragödie im Stück hat.“ Im Kreuzgang möchte Kaetzler das sogenannt Menschliche herausarbeiten, aber „aufpassen, dass absurde Momente nicht Überhand nehmen“. Die Textfassung für die Kreuzgangspiele stammt vom Regisseur selbst.
„Die Feuchtwanger“, freut sich der Intendant, „nehmen uns und die Kreuzgangspiele hier so herzlich auf, was sicherlich auch daran liegt, dass unsere Ensemblemitglieder während der Spielzeit auch hier wohnen, in der Stadt einen Teil ihres Lebens verbringen. Stadt und Bevölkerung stehen hinter uns.“ Begegnung und Offenheit sind auch hier das Wesentliche. Das Interesse des Publikums, das auch von weit her anreist, um die Kreuzgangspiele zu besuchen, ist nach wie vor sehr hoch, was auch die guten Vorverkaufszahlen zeigen. „Das ist toll“, freut sich Kaetzler, „das bestärkt uns bei unserer Arbeit zusätzlich.“
Einzelheiten zu den Stücken, zu allen Darstellerinnen und Darstellern sowie zum Spielplan, gibt es unter www.kreuzganspiele.de.