Seit Mai haben die aktuellen Bauarbeiten in der „Göhre“, wie das Stadtmuseum in Jena liebevoll genannt wird, begonnen und so langsam ist ein Ende abzusehen. Zunächst war die Wiedereröffnung für Juli 2024 geplant, zwischenzeitlich allerdings auf den 25. August verschoben, aber auch dieser Termin konnte nicht eingehalten werden. Wann genau die Arbeiten nun abgeschlossen sein werden, konnten wir leider nicht in Erfahrung bringen. Für Museumsverantwortliche stellen solche baulichen Maßnahmen immer eine Herausforderung dar, wird doch der Museumsauftrag „Sammeln, Bewahren, Forschen und Vermitteln“ zumindest in puncto Vermitteln in dieser Zeit auf eine wahre Geduldsprobe gestellt. Diese „Leidenszeit“ ist für Direktor Erik Stephan und sein Team nun vorbei und das Stadtmuseum startet mit zwei tollen Ausstellungen in das Restjahr.
Kerstin Grimm. Der 7. Brunnen
Malerei, Zeichnungen, Plastik
Kerstin Grimm pendelt künstlerisch zwischen den Möglichkeiten von Zeichnung und Skulptur und ist seit ihrem Studium an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee in jedem der beiden Bereiche zu Hause. Sie begann mit der Zeichnung, hat die Fläche des Bildes verlassen und ist zu dieser zurückgekehrt. Die Skulpturen, die meist Bronzen und in wenigen Fällen Mischtechniken sind, begleiten die Arbeiten auf Papier anekdotisch und weiten den Horizont der künstlerischen Möglichkeiten vor allem im Figürlichen.
Die zeitlose, transzendente Art der Figuration befördert das Denken an die alten, fragilen Bestände grafischer Kabinette – denen man, mehr als abgeschilderter Gegenwart, noch Geheimnisse zutraut. Viele der Blätter bestehen aus geschichteten Papieren, die nicht nur collagiert, sondern außerdem in vielen Prozessen überarbeitet, verklebt und verdichtet werden – um schließlich, wie die Miniaturen alter Handschriften, gehüllt in eine Aura großer Kostbarkeit, daherzukommen.
In der Ausstellung werden vor allem neue Arbeiten gezeigt sowie ein Zyklus, der speziell für diese Schau entsteht. Im Katalog werden vor allem die neuesten Arbeiten thematisiert … und die zudem die Verwandtschaft zu den Sprachforschern und Märchensammlern, den Grimm-Brüdern, erforscht.
„Kerstin Grimm. Der 7-Brunnen“ soll noch bis zum 17. November 2024 in der Kunstsammlung Jena zu sehen sein. Die Ausstellung steht allerdings, aufgrund der ausufernden Bauarbeiten im Museum, unter Vorbehalt. Es empfiehlt sich auf jeden Fall vor Anreise unter www.kunstsammlung-jena.de online Informationen einzuholen.
Unverschämte Schönheit. Fotografien
Sammlung Michael Horbach
Das Präsentieren von Haaren in den Achselhöhlen hat heute etwas Unverschämtes an sich – noch dazu, wenn sich diesen Haaren eine ausgestreckte Zunge nähert. Die Fotografie von Marlon Shy aus dem Jahr 1992 ist ein in mehrfacher Hinsicht provozierendes Foto. Mag die bloße Existenz der Haare allein schon für manchen ein Gefühl des Ekels hervorrufen, steigert die Bewegung der Zunge in Richtung Achselhöhle diese Wirkung noch. Gilt es doch heute als nicht unüblich, sich der Körperbehaarung ganz oder zumindest teilweise zu entledigen. Denn die glatte, haarlose Haut hat sich mittlerweile zur Normalität, ja zur Norm herausgebildet, wodurch das Zeigen von Achselbehaarung in der Öffentlichkeit wie in Fotografien zur Seltenheit geworden ist. Ein Schönheitsideal, das durch Werbung, Medien und nicht zuletzt die Modeindustrie seit einigen Jahrzehnten diktiert und nicht selten mit Hygiene und Reinheit assoziiert wird.
Die Ausstellung „Unverschämte Schönheit“ kreist in über 150 Fotografien um eben jenes Detail, das vor allem im westlichen Kulturkreis von der Bildfläche verschwunden scheint. Das verbindende Sujet ist der weibliche Körper, der im Zentrum fast aller ausgewählten Arbeiten steht. Dabei besticht dessen Erotik mit seiner natürlichen Schönheit jenseits von digitaler Bildbearbeitung, welche sich so von der Allgegenwart kultureller Zeitgeistigkeit abhebt. Alle Fotografien sind Bestandteil der Sammlung Horbach und verweisen nicht nur auf eine der bedeutendsten Sammlungen zur Fotografie in Deutschland, sondern auch auf einen Sammler, der als Kurator vieler Ausstellungen den Blick auf die Geschichte der Fotografie des 20. und 21. Jahrhunderts mitgeprägt hat.
Von den 1920er Jahren bis in die Gegenwart spannt die Ausstellung einen zeitlichen Bogen über 100 Jahre, wobei die Fotografien aus den vergangenen fünfzig Jahren deutlich überwiegen. Die Aufnahmen von Germaine Krull, Man Ray, Heinz Hajek-Halke, Edward Weston und Tim Gidal zählen noch zu den Pioniertaten der Fotografie, während Federico Patellani, Mario de Biasi und Lucien Clerque berühmte Fotografen der Nachkriegszeit sind. Singuläre Bedeutung genießt Helmut Newton, der mit seiner ikonischen Handschrift zur Etablierung eines neuen Frauentypus in der Modefotografie geführt hat. Mit Lee Friedlander, Olaf Martens, Birgit Kleber, Marlo Broekmans oder Annette Frick sind auch jüngere Handschriften vertreten, die in unsere Zeit hineinreichen und deren Entstehung sich mit unserem Erleben zumindest teilweise überschneidet. Die Auswahl vereint Porträts, Akte, sozialdokumentarische und inszenierte Fotografien, die allesamt den Blick auf viel nackte Haut eröffnen.
So zeitlos diese Fotos sind, passen sie dennoch erstaunlich gut in die Gegenwart, regt sich doch vor allem in der Generation der jungen Frauen ein zaghafter Widerstand, sich dem allgemeinen Schönheitsdiktat zu beugen, indem sie auf das Entfernen der Körperhaare verzichten. Gerade in den sozialen Medien, wo heute jeder Trend beginnt, sind an Beinen und unter Achseln wieder zunehmend Haare wahrzunehmen. Die Fotografien aus der Sammlung Horbach sind daher mittendrin in der Debatte um körperliche Selbstbestimmung und somit zeitgemäßer, als es der erste Eindruck vermuten lässt.
Die Ausstellung „Unverschämte Schönheit. Fotografien“ ist noch bis zum 10. November 2024 in der Kunstsammlung Jena, Markt 7, 07743 Jena zu sehen. Auch diese Ausstellung steht leider, aufgrund der ausufernden Bauarbeiten im Museum, unter Vorbehalt. Es empfiehlt sich auf jeden Fall vor Anreise unter www.kunstsammlung-jena.de online Informationen einzuholen.