Zwei Reflexe könnten Lesende nach den ersten Seiten dieses Buches sofort haben: Ganz nach hinten blättern, um zu sehen, ob Sabah Hussein (die Protagonistin dieses Buches) wirklich die Wahl zur Bundeskanzlerin gewinnt und ein „das kenne ich doch irgendwo her, das habe ich doch schon einmal gelesen“ Gefühl entwickeln. Die Frage nach dem Wahlausgang bleibt letztlich unbeantwortet (aber doch klar) und ja, der Eindruck, dass Michel Houellebecqs „Unterwerfung“ zumindest inspirierend beim Schreiben auf dem Tisch lag, lässt sich nicht vermeiden. Zumal das umbenannte Berliner Ernst-Abbe-Gymnasium schon sehr nach Mohammed Ben Abbes klingt, der muslimische Politiker den Houellebecq Frankreich umbauen lässt. Aber von Anfang an.
Deutschland im Jahr 2050. Sabah Hussein, Flüchtlingskind aus dem Libanon, ist dank deutschem Schulsystem und islamischem Glaubensmentor zur Kanzlerkandidatin der „Ökologischen Partei“ aufgestiegen. Antirassismus, Förderung von Menschen mit Vielfältigkeitsmerkmalen, Quotenregelungen zur Beschäftigung praktizierender Muslime sind das Umfeld, in dem Sabah Hussein ihre Karten clever ausspielt und es damit bis ganz nach oben schafft. Daran kann sie auch nicht von einer (blonden) deutschen Polizistin gehindert werden, die aus politischen Motiven ein Attentat auf die Kanzlerkandidatin verübt.
Dieses Klischee, oder auch das vorauszuahnende Scheitern des politischen Gegenkandidaten beim Fernsehduell hätte es unserer Meinung nach nicht gebraucht. Ebenso wenig wie ein, im vollen Wortlaut abgedrucktes Interview oder der Entwurf eines „Vielfaltsförderungsgesetz“. Die politischen und journalistischen Instrumente sind wohl vielen Lesenden hinlänglich bekannt.
Wäre der Autor dieses Buches, Constantin Schreiber, aufgrund seiner Vita nicht so ziemlich über jeden Zweifel erhaben, könnte man bei der Lektüre von „Die Kandidatin“ auch ganz leicht den Eindruck gewinnen, dass der Verfasser einfach nur die nicht zu leugnenden Zukunftsängste unserer Gesellschaft vor Überfremdung, Fremdbestimmung oder auch dem „abgehängt werden“ bedient. Schreiber aber, Tageschschausprecher, ausgemachter Islamkenner und Mehrfachautor beim Thema Islam bewahrt mit der ihm unterstellten Integrität „Die Kandidatin“ davor ins Fach der Agitation abzurutschen.
Fazit: Lesbar, trotzdem wäre Houellebecqs „Unterwerfung“ sicherlich die bessere Wahl.
Constantin Schreiber: Die Kandidatin, Hoffmann und Campe, Hamburg 2021, 201 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3455010640