Wenn die Liebe dazu führt, dass zwei Menschen zu einem Paar werden, kann es später brenzlig werden. Ob es der oder die Richtige war, stellt sich meist erst nach einiger Zeit heraus – mit den bekannten Folgen. „Schau auf das Ende“, meinten schon die Römer, sagten es aber auf Latein. Pierre Carlet de Marivaux, der psychologisch hellwache Komödiendichter, wusste um die berechtigte Sorge, dass man/frau eine falsche Wahl getroffen haben könnte. Goethes späterer Spruch von der Möglichkeit bzw. der Hoffnung, dass sich vielleicht noch etwas Besseres finden ließe, ist zu Recht viel zitiert.
Also aufgepasst! Was aber tun, um fatalen Entscheidungen aus dem Weg zu gehen? Die moderne Lösung hört auf englische Ausdrücke und lautet wahlweise ‚Dating‘ oder ‚Casting‘. Letzteres kommt bei der Liebe wohl kaum in Frage, denn man kann schlecht eine ganze Horde von Bewerbern oder Bewerberinnen über die Rampe defilieren lassen. Bleibt das Dating, das übrigens neuerdings eine nicht unerhebliche Erfolgsquote haben soll, zumindest über die Kurzdistanz.
Marivaux hat sich als Tauglichkeitsprüfung für die Liebe und ihre Folgen – Ehe und Treue – eine besondere Form des Datings ausgedacht: die Anonymisierung der Kandidaten. Mozarts Librettist von „Così fan tutte“, Lorenzo da Ponte, hatte fast zeitgleich eine ähnliche Idee, doch da ging es um die Treue bereits Verheirateter. Dorante und Silvia sollen bei Marivaux von Madame Orgon verkuppelt werden, doch beide sind vorausschauende Menschen und wählen die Verkleidungsmasche, um einander mit der gebotenen Vorsicht näherzukommen. Man schlüpft in das Habit der Angestellten Lisette und Arlequin, vice versa geschieht dasselbe, und am Ende weiß niemand, wer mit wem zu tun hat.
Das Spiel mit dem Schein und den Identitäten ist für schauspielerisches Können eine Steilvorlage. Und so ist es ein pures Vergnügen, dem Quartett zuzuschauen, wie es durch die Treppenetage in der Alten Hofhaltung fegt (Bühne und Kostüme: Hannah Petersen). Regisseurin Kathrin Mayr hat sich für das Protagonistenpaar einen besonders anstrengenden Weg durch das Spiel von Liebe und Zufall ausgedacht, denn Silvia (zickig: Jeanne le Moign) geriert sich so hinhaltend und ablehnend, dass einem ihr Dorante (zum Erbarmen: Leon Tölle) nur leid tun kann.
Das andere Pärchen (Antonia Bockelmann und Eric Wehlan) tobt quirlig über die Bühne, spielt Versteck hinter Drehtüren und amüsiert das Publikum mit allerlei pfiffigen Einfällen. Einen ganzen lauen Sommerabend lang hat das Witz und eine Leichtigkeit, die schlichtweg gefangen nimmt (Dramaturgie: Armin Breidenbach). Dass auch der laut hörbare Jubel über ein EM-Tor in eine Aufführung integriert werden kann, zeigte köstlich improvisierend Eric Wehlan (zeitgleich mit der Premiere spielte Deutschland).
Iris Hochberger ist als gütige Madame Orgon die ordnende Kraft, Silvias Bruder Mario (Pit Prager) sorgt intrigant für zusätzliches Durcheinander im Plot. Textliche Aktualisierungen, die Kathrin Mayr als Autorin dieser Fassung einbaute, hatten viel Charme, ebenso die Idee, bekannte Songs einzubauen, bei denen ein erheblicher Teil des Publikums – nota bene abzüglich alter weißer Männer! – spontan einstimmte. Wie die ganze Geschichte ausging, braucht hier nicht weiter erzählt werden, denn klar war von vornherein, dass die Richtigen sich finden würden.
Die mitreißende Inszenierung des ETA-Hoffmann-Theaters stieß zu Recht auf einhellige Begeisterung, die sich ebenso triftig an den virtuosen schauspielerischen Darbietungen entzündete. Viel Spaß, viel Witz, aber zum Glück kein Klamauk und keine Klamotte. Natürlich war auch eine Prise Nachdenklichkeit dabei, immerhin ging es ja um die Liebe. Ob die Rezeptur von Marivaux’ Komödie – Verkleidung, Verstellung, Verwicklung – für heutige Datings anwendbar ist, wäre auszuprobieren. Wie auch immer, diese famose Versuchsanordnung muss man gesehen haben, eine pure Wonne!