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Viel Literatur und Lesungen in Bamberg, der Stadt des Buches

Zwei Bachmann-Preisträger bei „Bamberg liest“

veröffentlicht am 27.07.2015 | Lesezeit: ca. 10 Min.

Einen Mangel an öffentlichem Interesse an Literatur wird man Bamberg ebenso wenig nachsagen können, wie einen Mangel an Gelegenheiten, bei welchen man dieses Interesse befriedigen kann. Reich ist die Zahl an Lesungen, die, über das Jahr verteilt, beispielsweise innerhalb der 1977 initiierten Reihe „Literatur in der Universität“ stattfinden (Uwe Johnson, Adolf Muschg, Felicitas Hoppe, Jenny Erpenbeck und andere waren zu Gast). Hinzu kommt die Poetikprofessur, die zuletzt der Schweizer Lukas Bärfuss innehatte, hinzu kommen Veranstaltungen in den Buchhandlungen, wobei sich vor allem Collibri und Hübscher hervortun, hinzu kommt das Internationale Künstlerhaus Villa Concordia und hinzu kommt, seit 2011, ein eigenes, an der Regnitz verankertes Literaturfestival.

Es heißt „Bamberg liest“ und hat sich längst einen Namen als Plattform für innovative Literaturvermittlung und als Kulturbeschleuniger auch über die Region hinaus gemacht. Verantwortlich für dieses Festival zeichnet, gemeinsam mit einem mehrköpfigen, überwiegend weiblichen Organisationsteam, Martin Beyer. Beyer, Jahrgang 1976 und aus Frankfurt gebürtig, hat bei dem Bamberger Emeritus Wulf Segebrecht promoviert, ist aber auch und vor allem ein Mann der belletristischen Praxis, wofür seine „Mörderballaden“ stehen oder sein ziemlich grandioser, bei Klett-Cotta 2009 herausgekommener Trakl-Roman „Alle Wasser laufen ins Meer“.

In diesem Jahr nun firmiert „Bamberg liest“ erstmals als offizielles Literaturfestival der Domstadt und wird von dieser, angebunden an das städtische Kulturamt, mit 10 000 Euro gefördert. Das ist eine hohe Auszeichnung, eine Anerkennung für das bislang Geleistete. Dabei stand Beyer kurz davor, alles hinzuschmeißen. Denn, so sagt er im entspannten Gespräch, dergleichen auf die Beine zu stellen mache ja auch viel Arbeit. Und als junger Vater – sein Sohn ist achtzehn Monate alt – habe er im Sommer des vergangenen Jahres, nach dem letzten Festival, gespürt, dass ihm die Zeit und die Kraft fehlten. Mit der städtischen Förderung aber blickt man nun guten Mutes in die Zukunft und unternimmt in diesem Herbst zum fünfjährigen Bestehen eine „Standortbestimmung“.

Beyer ist bemüht, immer wieder neue Kooperationspartner zu gewinnen. Länger schon arbeitet „Bamberg liest“ mit der Villa Concordia zusammen, die auch jetzt wieder mit im Boot ist, insofern als Christoph Poschenrieder, einer der derzeitigen Stipendiaten, bei der literarischen Talentförderung mitwirkt. „Du sollst dir ein Bild machen!“ wird das „Tandembuch“ heißen, das von gestandenen (darunter, neben Poschenrieder, Tanja Kinkel, Nevfel Cumart und Thomas Kastura) und von Nachwuchsautoren gemeinsam gestaltet wird. Außerdem wird bei einer Lesung im Internationalen Künstlerhaus am 10. November, die mit „Ich suche nicht – ich finde“ überschrieben ist, dessen ehemalige Stipendiatin, die Isländerin Sigurbjörg Þrastardóttir, lesen und dessen Direktorin, die Bachmann-Preisträgerin Nora Gomringer, moderieren. Es soll, sagt Beyer, die „Suchbewegung als Künstler“ thematisiert werden: Welche Orte suche ich auf, um (wieder) schreiben, komponieren, malen zu können?

Gomringer ist nicht die einzige in Klagenfurt Ausgezeichnete, die an „Bamberg liest“ teilnimmt. Zum Auftakt des Festivals geht man am 3. November ins E.T.A.-Hoffmann-Theater, das ja unter der neuen Intendantin Sibylle Broll-Pape auch gerade dabei ist, eine „Standortbestimmung“ vorzunehmen. Eingeladen ist Tex Rubinowitz, der letztjährige Ingeborg-Bachmann-Preisträger, der aus seinem im Frühjahr bei Rowohlt erschienenen Roman „Irma“ lesen wird. Neu als Kooperationspartner hinzugekommen sind neben dem Historischen Museum (Stichwort Tandembuch; siehe oben) auch das Naturkundemuseum und die Städtische Volkshochschule. Wie für eine Lesung im Historischen Vogelsaal gemacht scheint Cord Riechelmanns „Krähen“-Buch, das er dort am 26. November vorstellt. Auch wird es zu einem Gespräch mit Museumsleiter Matthias Mäuser kommen. In der Cafeteria der Volkshochschule wird, vom 7. November an, ein „Lyrikraum“ eingerichtet werden.

Präsentiert wird der neue Lyrikband der frisch gekürten Bachmann-Preisträgerin Nora Gomringer, „Morbus“, der bei Voland & Quist erschienen ist und von dem Bamberger Reimar Limmer illustriert wurde. Wie bei einem Leuchtkasten, der Röntgenbilder belichtet, können Besucher Limmers Illustrationen selbst auflegen: eine interaktive Sache also. Darüber hinaus werden an Hörstationen Gedichte erlebbar etwa von Bertold Brecht, von Rolf Dieter Brink- und von Ingeborg Bachmann, begleitet von knappen erhellenden Kommentaren. Auch soll musikalisch und in Form von Kunstwerken, geschaffen unter anderem von Adelbert Heil, auf die Gedichte reagiert werden. Bei den „Lichthöfen“ (die Interessengemeinschaft Aktive Mitte ist ein weiterer neuer Kooperationspartner des Literaturfestivals) am 21. November werden im Lyrikraum Plot sowie The Quires spielen und, neben Nora Gomringer, auch Ricardo Domeneck aus Berlin lesen.

Beyer ist es wichtig, einen „völlig integrativen Ansatz“ zu verfolgen. Von allem Anfang an hätten er und seine Mitstreiter versucht, Literatur auf eine Weise zu vermitteln, die die ganze Stadt trage. Beispielsweise dadurch, dass Lesungen an ungewöhnlichen Orten stattfinden, etwa im Klinikum, wo am 12. November Kristof Magnusson seinen „Arzt-
roman“ (München: Kunstmann, 2014) vorstellen wird. Beyer geht es nicht um große intellektuelle Diskurse. Vieles, meint er, geschehe in der Literatur über das Gefühl, über Emotionen.

Vielleicht zu intellektuell aber, sicher zu wenig populär, scheint „Bamberg liest“, das ist kein Geheimnis mehr, drei anderen Herren, die ein weiteres Literaturfestival schon im frühen kommenden Jahr etablieren wollen: Citymanager Klaus Stieringer, der Geschäftsführer des Bamberger Veranstaltungsservice, Wolfgang Heyder, und der Buchhändler und Verleger Michael Genniges. Das Triumvirat war derzeit nicht zu einem Gespräch zu bewegen, auch wenn man nach eigenem Bekunden schon sehr weit fortgeschritten sei. Wir – Herausgeber Ludwig Märthesheimer und Chefredakteur Jürgen Gräßer – tauschten uns zu dieser Thematik mit dem für Kultur zuständigen Bürgermeister Christian Lange aus.

Lange sieht, sofern es nicht zu zeitlichen Überschneidungen oder zu einer zu dichten Abfolge kommt, durchaus Platz für ein weiteres Literaturspektakel in Bamberg und verspricht sich von einem zweiten Festival statt harter Konkurrenz positive Synergieeffekte. Es müsse eben „zeitlich entzerrt“ und eine andere Zielgruppe angesprochen werden. Gemeinsames Ziel solle sein, die Stadt für das Buch zu begeistern und mehr „Lesende“ zu gewinnen.

Zugleich macht Lange aber unmissverständlich klar: „Ich finde das, was Martin Beyer mit seinen Möglichkeiten macht, herausragend.“ Deshalb habe er „Bamberg liest“ stabilisieren wollen und hat sich ganz bewusst dafür stark gemacht – „weil Beyer uns wichtig ist“ – dass das Festival jetzt in die institutionelle Förderung aufgenommen worden ist. Lange selbst steht der Literatur durchaus nahe. Er ist mit einer Germanistin, die über Heinrich Böll gearbeitet hat, verheiratet, hat promoviert und auch eine Habilitationsschrift vorgelegt. Und auf den Regalen in Langes Büro findet sich unter anderem Wilhelm Buschs „Max und Moritz“, auf Altgriechisch, in der Übersetzung von Otto Schmied.

Apropos Lange und die Literatur: Der Zweite Bürgermeister möchte Bamberg als Stadt des Buches etablieren. So wird sich im Herbstsemester die Volkshochschule diesem Thema annehmen. Lange sieht Bamberg auf vielfältige Weise mit dem Buch verbunden, auch wenn es nicht stimmt, dass Johannes Gutenberg anno 1457 in Bamberg entweder in der Austraße oder in St. Getreu gedruckt hat (Anm. der Redaktion). Lange kann allerdings auf die Benediktinermönche auf dem Michaelsberg und deren Skriptorium verweisen. Dann seien da noch die Bestände der Staatsbibliothek mit ihrer prächtigen Handschriften-Sammlung. Und mit Bamberg verbunden sei auch der Karl-May-Verlag, von dem Lange sich wünscht, dass er wieder vor Ort drucken möge. An weiteren Verlagshäusern nennt der Kulturbürgermeister den Buchner-Verlag, den Erich-Weiß-Verlag sowie den noch jungen Kinder- und Jugendbuchverlag Magellan.

Mit Blick auf die Otto-Friedrich-Universität führt Lange die „starke Germanistik“ an, unter anderem mit dem Lehrstuhl des Segebrecht-Nachfolgers Friedhelm Marx, die Poetikprofessur und die Bibliotheken. Er freut sich zudem darüber, dass man die Zweigstellen der Stadtbücherei, die er noch benutzerfreundlicher machen möchte, in den Stadtteilen habe erhalten können. Und er weiß, dass in Bamberg eines der größten Antiquariate Deutschlands beheimatet ist. Außerdem lebten viele Autoren in der Domstadt, weshalb Lange daran denkt, einen eigenen Literaturpreis einzurichten. Dass Nora Gomringer gerade eine der prestigeträchtigsten Auszeichnungen überhaupt erhalten hat, weiß er zu schätzen. Gomringer ist Mitglied des PEN-Zentrums. Vom 21. April bis zum 24. April 2016 werden die „Poets, Essayists and Novelists“ im Spiegelsaal der Harmonie tagen. In seinem Bemühen, Bamberg als Stadt des Buches herauszustellen, betont Lange nicht zuletzt, wie wichtig es ihm sei, dass die (Buchkunst-)Sammlung von Richard H. Mayer erworben werden müsse.

Wie geht es weiter?

Nun sind es ja bis November noch ein paar Tage hin und die Entwicklungen bleiben generell nicht stehen. Deswegen wird ART. 5|III regelmäßig online und auch in der nächsten Ausgabe über „Bamberg liest“, „Bamberg – Stadt des Buches“ und „N. N.“ (leider ist uns der Titel der für nächstes Jahr angekündigten Veranstaltungsreihe (noch) nicht bekannt, berichten. Wir werden Autoren und Werke vorstellen, die Initiative der Volkshochschule Bamberg entsprechend würdigen und weiterhin versuchen, mit den Veranstaltern der zweiten Literaturlesereihe ein Interview zu führen. Denn schließlich ist nichts so aufschlußreich wie Information aus erster Hand. In diesem Sinne freuen wir uns auf auf spannende Geschichten und erhellende Informationen.


Copyright Fotos:

Interviewszene, © 2mcon Bamberg

Festivallogo, © Bamberg liest

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