Der 2015 verstorbene Kunstschriftsteller, Kunstsammler und Fotograf Hans Kinkel vermachte dem Germanischen Nationalmuseum seine erlesene Kollektion von fast 400 Zeichnungen der Moderne. „Es ist der bedeutendste Neuzugang der letzten 20 Jahre für die Graphische Sammlung“, hebt Generaldirektor Prof. Dr. G. Ulrich Großmann hervor. Mit einer Auswahl von insgesamt 124 Blättern gibt die Ausstellung einen ersten Überblick über diese hochkarätige Erbschaft mit Blättern von bildenden Künstlern, die in Deutschland die Kultur des 20. Jahrhunderts maßgeblich prägten. Mit zahlreichen Meisterzeichnungen entfaltet die Sammlung ein breites Panorama der Zeichenkunst vom Spätimpressionismus über den Expressionismus und die Neue Sachlichkeit bis zur Abstraktion.
Kinkel als Fotograf
Über Jahrzehnte interviewte und fotografierte Hans Kinkel zahlreiche Künstler. Aus diesem Fundus von mehr als 1000 Aufnahmen bilden 35 von in der Ausstellung vertretenen Künstlern den Auftakt der Präsentation. Sie gliedert sich in zehn Sektionen, die die besonderen Vorlieben Kinkels und seine thematischen Schwerpunkte spiegeln. Den Fotos folgen – in Anlehnung an den Ausstellungstitel – die Zeichnungen „Erna mit dem Stirnreif“ von Ludwig Kirchner und der „Große Kopf“ von Georg Baselitz.
Welche Rolle die Themen „Bildnis“ und „Figur“ in der Sammlung Kinkel spielen, veranschaulichen die Sektionen „Der Blick in den Spiegel“, „Gesichter der Avantgarde“ und „Modell und Idealfigur“. Unter den Selbstbildnissen ragen insbesondere eine Zeichnung von Karl Hubbuch und eine von Jean Mammen heraus: Der junge Hubbuch, noch auf der Suche nach der eigenen Identität, hält überraschenderweise nicht seine körperliche Erscheinung fest. Vielmehr zeigt er stellvertretend seine Kleidung und Masken seines Gesichtes. Rund 20 Jahre später gibt sich die damals arbeitslose Janne Mammen mit erbarmungslosem Blick ängstlich und ohne Selbstvertrauen wieder.
In der Porträtgalerie sind berühmte Schriftsteller, Galeristen und Künstler der Weimarer Republik vereint.
Seltene Bildhauerzeichnungen
Zum Kern der Kollektion gehören die Bildhauerzeichnungen, eine Auswahl ist in der Sektion „Modell und Idealfigur“ zu sehen. Dazu zählt das ergreifende Blatt „Mutter und Sohn“ von Käthe Kollwitz, auf der die Künstlerin der trauernden Mutter ihre eigenen Züge verlieh.
Der Mythos der Großstadt oder „Das Dickicht der Städte“ ist mit etlichen bemerkenswerten Zeichnungen präsent – wie beispielsweise in Karl Hubbuchs „Wahrzeichen“. 1926 reiste der Küstler zum ersten Mal nach Paris und hielt dort auf seinen Streifzügen den Eiffelturm fest. Die Perspektive ist ungewohnt, der Ausschnitt begrenzt. Durch die Distanz zu den Häusern im Hintergrund und das kleine Flugzeug am Himmel vermittelt das Blatt ein Gefühl für die Dimension des Pariser Wahrzeichens.
Neben Stadtbildern beanspruchen im Kinkel-Bestand auch Landschaftsdarstellungen ihren Platz. Unter der Überschrift „Horizonte“ ist beispielsweise die „Baumgruppe am Wasser“ von Karl Schmidt-Rottluff zu entdecken: Von 1907 bis 1912 mietete sich der Brücke-Künstler mehrfach in Dangast an der Nordsee ein, wo 1911 unweit des Kurorts die Baumgruppe einer Insel im Park der Sommerresidenz des Großherzogs von Oldenburg in Rastede entstand, die er fast bis zur Gegenstandslosigkeit vereinfachte.
Von Stillleben bis zur Abstraktion
Die Sektion „Das stille Leben der Dinge“ fasst ausgewählte Stillleben zusammen. Sie reicht von der intimen Zeichnung „Hand mit Rose“ von Lovis Corinth bis zu den scheinbar sachlichen Produktbildern eines Konrad Klapheck. Nach der Heirat mit Charlotte Behrend zeichnete Corinth in einem Zeitraum von etwa 20 Jahren zahlreiche kleine Studien seiner Frau.
Breiten Raum nehmen außerdem Zeichnungen der Nachkriegszeit ein, die einen Bogen vom Informel bis zur neuen Figuration schlagen. Für „Abenteuer Abstraktion“ steht stellvertretend das Blatt „Djerba“ von Emil Schumacher.
Großes Interesse hegte Hans Kinkel auch für die Illustrationszeichnungen, die die Ausstellung unter dem Motto „Bilder und Worte“ mit Beispielen von Paul Holz, Josef Hegenbarth und Jules Pascin vorstellt. Als „Gäste“ charakterisierte er Arbeiten von Mitgliedern der Académie Matisse wie Oskar und Marg Moll oder von Künstlern aus dem Kreis des Café du Dôme im Pariser Stadtteil Montparnasse. Hier traf sich die internationale künstlerische Avantgarde, darunter deutsche Küstler wie Hans Purrmann oder Rudolf Großmann. Unter dem Stichwort „Inspiration Paris“ werden ihre Zeichnungen neben Blättern von Henri Matisse und Alexander Archipenko gezeigt.
Fotocredits:
Raumaufnahme, Ausstellung Hans Kinkel im Germanischen Nationalmuseum, Foto © Staatsgalerie Stuttgart