„Wer noch nie ins Aug’ geschauet münsterischen Mägdelein,
wer die Schilder nie geklauet, kann kein Münsteraner sein.
Wer den Stuhlmacherschen Tropfen und den Bullenkopp nicht kennt
und des Pinkus Müllers Hopfen war in Münster nie Student“, heißt es in der unter Münsters Studenten beliebten Hymne ihrer Stadt. Die darin gemachten Empfehlungen erstrecken sich über die Schönheit der Münsteranerinnen bis hin zu verschiedenen traditionsreichen Lokalitäten. Doch die liebe Stadt im Lindenkranze hat noch so viel mehr zu bieten als das schmackhafte Pinkus Bier und die historische Universität, deren Hauptgebäude sich in einem imposanten Barockschloss befindet. Wenige Gehminuten von der oben erwähnten Gaststätte Stuhlmacher am belebten Prinzipalmarkt entfernt befindet sich der Domplatz, der neben einer repräsentativen Kirche aus strahlend hellem Sandstein ein wahrlich bedeutendes Museum beheimatet: Das LWL-Museum für Kunst und Kultur; 1908 gegründet und 2014 mit einem modernen Neubau versehen, welcher in der sonst historisch geprägten Altstadt Aufmerksamkeit auf sich zieht, sich durch seine Sandsteinfassade jedoch gleichzeitig harmonisch in die innerstädtische Bebauung einfügt. Sein Themenspektrum reicht vom Mittelalter bis zur zeitgenössischen Avantgarde und wechselnde Ausstellungen begeistern sowohl den klassischen Kunstliebhaber als auch die Anhängerin von Videokunst und innovativen Medien.
Die neu konzipierte Präsentation der umfangreichen und exquisiten Sammlung beginnt im ersten Obergeschoss des Neubaus mit der Kunst des Mittelalters, der Renaissance und des Barock und setzt sich in den hellen Tageslichträumen im zweiten Obergeschoss mit der Kunst der Gegenwart fort. Das zweite Obergeschoss des Altbaus hingegen bietet Werken der klassischen Moderne ein Zuhause und verteilt Arbeiten des Expressionismus, der Neuen Sachlichkeit und des Bauhaus auf eigens dafür vorgesehene Räume. Das Erdgeschoss beheimatet ein Archiv für die Skulptur Projekte, eine alle zehn Jahre in Münster stattfindende internationale Ausstellung im öffentlichen Raum, und Sonderausstellungen werden auf der zweiten Ebene des Neubaus präsentiert, der für diese Schauen sechs Räume bereithält.
„Wer noch nie ins Aug’ geschauet
münsterischen Mägdelein,
wer die Schilder nie geklauet,
kann kein Münsteraner sein.
Wer den Stuhlmacherschen Tropfen
und den Bullenkopp nicht kennt
und des Pinkus Müllers Hopfen
war in Münster nie Student“
Münsterlied, Strophe 5
Eine der aktuellen Ausstellungen widmet sich bis zum 08. September Sean Scully. Der 1945 in Dublin geborene Künstler wird mittlerweile als einer der relevantesten und einflussreichsten Protagonisten der abstrakten Kunst gefeiert. 98 Werke von den 1960er Jahren bis heute verdeutlichen dabei, wie Scully die Abstraktion neu denkt und sich von seinen meisterhaften Vorgängern frei macht. In seinen Augen liegt abstrakten Werken keine Abstraktion zugrunde: „Nichts ist abstrakt. Es ist immer noch ein Selbstbildnis. Ein Bildnis des eigenen Zustands“, erläutert Scully. Auch beschränkt er sich nicht nur auf ein Medium, sondern erschafft sowohl Gemälde in Acryl und Öl auf Leinwand und Aluminium als auch Pastelle, Aquarelle, Zeichnungen, Druckgraphiken sowie Photographien. Überdies präsentiert das LWL Museum auch drei Skulpturen von Sean Scully, so ziert bereits eine überdimensionale Stahlkonstruktion den Außenbereich des Museums und verleiht dem Domplatz auf diese Weise einen industriellen Charme, welcher der bisweilen puppenhaft anmutenden Bilderbuch-Altstadt Modernität und raues Charisma entgegenstellt.
Mit Skulpturen befasst sich auch die Ausstellung „Das Werk vor Ort. Vom Entstehen kommunikativer Räume“, die bis zum 29. September zu sehen ist. Dabei steht die Frage im Vordergrund, inwiefern künstlerische Arbeiten eine Auswirkung auf ihre Umgebung haben und auf welche Weise durch sie situative Räume, Orte der Versammlung und Interaktion, oder gar Refugien entstehen. Somit untersucht die Schau anhand ausgewählter Positionen aus der Geschichte der Skulptur Projekte die Wechselbeziehung von Werk und dem sie umgebenden Ort.
Überdies zeigt das LWL-Museum auch bis zum 29. September Multiples von Joseph Beuys, die dem Haus in Form einer großzügigen Schenkung der Familie Rotert zuteil wurden. Zeitgleich wird auch jungen, aufstrebenden Künstlern ein Forum geboten. So ist bis zum 18. August Jonas Justens Schau „Plötzlich Vorstand“ zu sehen, in welcher mit Einrichtungselementen und alltäglich genutzten Objekten gespielt wird.
Vorzumerken für das Ende des Jahres ist überdies ein wahrer Glanzpunkt in der Ausstellungshistorie des Hauses: „Turner. Horror and Delight“ wird ab dem 08. November 2019 großartige Werke des bedeutendsten britischen Landschaftsmalers der Romantik in Münster präsentieren. Dabei liegt ein Augenmerk auf den Reisen Turners nach Italien und in die Schweiz, seine Begegnungen mit den Alpen und den arkadischen Landschaften Italiens. Die Schau konzentriert sich auf die Erhabenheit der Natur, all ihre Schönheit und Harmonie und gleichzeitig ihre Stärke und Urgewalt, mit der sie Katastrophen verursachen und Furcht einflößen kann, wodurch Schrecken und Freude, Horror and Delight, bisweilen nah beieinander liegen.
Freude und Schrecken vereint auch ein anderer Künstler mit Bravour, dessen Arbeiten in Münster dauerhaft vertreten sind. Ebenfalls in der Altstadt befindet sich am Picassoplatz das erste und einzige Picasso-Museum Deutschlands, dessen Gebäude zu den bedeutendsten klassizistischen Bauten in Münster zählt. Zu sehen sind vornehmlich Graphiken des Kubisten und seiner künstlerischen Weggefährten und Zeitgenossen wie Georges Braque, Marc Chagall, Henri Matisse, Joan Miró sowie des Karikaturisten Honoré Daumier. Ergänzt wird dieser umfangreiche Sammlungsbestand von wechselnden Ausstellungen, bis zum 29. September beispielsweise durch die Schauen „Picasso und die Nachkriegsmoderne“ sowie „Durch das Licht. Abstraktion in Frankreich“, wobei sich die letztere einem erweiterten Künstlerkreis widmet, der in Deutschland bisher wenig Beachtung fand.
Wer danach noch nicht genug von Picasso und der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts hat, dem sei angeraten, 77 Kilometer von Münster aus gen Osten zu fahren, um im schönen Ostwestfalen und seiner repräsentativsten Stadt Bielefeld einzukehren. Häufig nur für Dr. Oetker, Seidensticker und die Bielefeld-Verschwörung bekannt, die besagt, Bielefeld gebe es nicht, zeigt sich die ostwestfälische Metropole vielseitiger, als man denkt. Umgeben vom Teutoburger Wald und somit zahlreichen Wander- und Erholungsmöglichkeiten, bietet Bielefeld auch mannigfache Kulturhighlights mit interessanten Theatern und Ausstellungshäusern. Das bedeutendste stellt die 1968 von Philip Johnson im internationalen Stil erbaute Kunsthalle dar. Der am Rande der Altstadt gelegene würfelförmige, moderne Bau aus rotem Mainsandstein gilt als einziger europäischer Museumsbau des amerikanischen Harvard-Absolventen und ehemaligen Mitarbeiters Mies van der Rohes und verfügt über einen zauberhaften kleinen Skulpturengarten mit Werken Rodins, Serras und Eliassons, der in den Sommermonaten zum Verweilen einlädt und einen malerischen Blick auf die Sparrenburg, das Wahrzeichen Bielefelds, freigibt.
Die Innenräume beheimaten, wie oben bereits angedeutet, zahlreiche Positionen der Moderne und Gegenwartskunst wie Picasso, Sonia und Robert Delaunay, Beckmann, den Blauen Reiter sowie konstruktivistische Strömungen der 1920er Jahre, die nicht zuletzt durch László Moholy-Nagy und Oskar Schlemmer vertreten werden. Dazu gesellt sich amerikanische und deutsche Kunst der 1970er und 1980er Jahre. Eine stetig wechselnde Auswahl aus der umfassenden Sammlung wird auf der ersten Etage präsentiert, die restlichen zwei oberirdischen Etagen widmen sich thematisch vielfältigen Ausstellungen, jährlich werden dabei vier verschiedene Schauen präsentiert.
Ab dem 31. August bis zum 20. Oktober verwandelt sich die Ausstellungsfläche in „Künstlerräume“, wobei seltene Werke von Anni und Josef Albers, Ernst Wilhelm Nay, Yoko Ono, Pablo Picasso, Karl Schmidt-Rottluff wie auch Hermann Stenner gezeigt werden. Wie sechs in sich geschlossene Einzelausstellungen mutet die Werkauswahl an und ermöglicht den Besuchern ein intensives Eintauchen in die Gedanken- und Bilderwelten der erwählten Künstler.
Wie die Erwähnung Josef Albers’ bereits vermuten lässt, sind die für den Künstler typischen Farbrechtecke selbstverständlich auch in dieser Exposition vertreten. Auch rare Holzschnitte Schmidt-Rottluffs zieren die Wände der Kunsthalle und zeigen expressionistisch verzerrte, kantige Protagonisten, die vom wahren Leben erzählen. Anrührende Zeichnungen steuert Stenner bei und Yoko Onos Präsenz wird anhand eines Films repräsentiert, der die Inspiration und Innovation, die Onos Œuvre innewohnen, auf herrliche Weise transportiert und zeigt, dass diese Künstlerin stets umdenkt und neu denkt und ihre Rezipienten ebenfalls dazu animiert, in einer Simplizität, die kaum nachzuahmen wäre, und doch mit bestechender Klugheit hinter jeder feinsten Regung. Auch die zweite in dieser Schau vertretene Frau macht Ausnahmekunst: Anni Albers, die zu den Künstlern des Bauhaus zählt, gilt als bedeutende Textilkünstlerin und Graphikerin. Intelligent und mathematisch-rational ordnet sie geometrische Formen an und erweckt diese durch ihre Kompositionen zu neuem Leben. Sie bringt Dialoge zustande und muss nur einen Strich setzen, um eine Geschichte zu erzählen. Formen und Muster vereinen sich zu Figuren vor dem Auge des Betrachters, und ohne vorzugeben, was wir in ihren Werken zu sehen haben, sehen wir doch die Welt für einen Moment durch Annis Augen.
Neben der Kunsthalle beheimatet Ostwestfalen ein weiteres Highlight moderner Ausstellungshäuser. Einen Katzensprung von Bielefeld entfernt befindet sich das MARTa in Herford, welches sich Zeitgenössischer Kunst, Architektur und Design widmet. Allein der Bau des amerikanischen Star-Architekten Frank Gehry ist einen Besuch wert. Die schwingenden Formen der fließenden und kippenden Wände und die wogende Dachlandschaft finden ihre Entsprechung im Flussverlauf der angrenzenden Aa, die ebenfalls Münster durchzieht und somit den Kreis unseres Ausfluges durch die ostwestfälische Museenlandschaft an dieser Stelle schließt.