
Wenn die Vergangenheit, von der die Beteiligten oft gar keine Ahnung haben, in die Gegenwart eingreift, kann das zu traumatischen Ereignissen mit weitreichenden Auswirkungen, bis hin zum Verlust einer mühsam aufrechterhaltenen Fassade, führen. Ein Katastrophenszenario, das der norwegische Dramatiker und Lyriker Henrik Ibsen (1882 bis 1906) in seiner Familientragödie „Gespenster“ durchspielt. Das Theater Hof bringt das Drama, unter der Regie von Philipp Brammer, Dramaturg am Haus, im Studio auf die Bühne. Das Stück passt gut in das laufende Programm. Spannend dabei fand der Regisseur, dass er Ibsen bisher nur auf großen Bühnen gesehen hatte, „Gespenster“ aber für die kleinere Studio-Bühne vorgesehen war. Gerade für so ein tiefgründiges Werk passe der intimere Rahmen der Studios mit seinen knapp einhundert Plätzen wunderbar und verstärke die Intensität zusätzlich. Das Publikum sitzt relativ nahe dran, wird so fast Teil des Kammerspiels. Ibsen gehöre zu seinen Lieblingsautoren, gesteht der Dramaturg. Der sei ihm schon während seiner Ausbildung am Wiener Max-Reinhard-Seminar und seiner späteren Tätigkeit als Schauspieler und Regisseur, etwa am Burgtheater, begegnet und habe ihn nie mehr losgelassen.
Mit seinem Stück, im Originaltitel „Gengangere“, hatte Ibsen 1880 in seinem Heimatland einen echten Skandal ausgelöst. An eine Uraufführung war da nicht zu denken. Das Werk wurde daher nicht in Europa uraufgeführt, sondern erst 1882 in Chicago, zunächst aber ohne Ibsens Einverständnis. Die offizielle Uraufführung folgte erst im August 1883 in Helsingborg/Schweden. Erst Jahre später kam das Stück auch auf deutsche Bühnen. In Norwegen unterlag Ibsens „Aufreger“ zunächst einem Aufführungsverbot, zu viele Tabubrüche wurden ihm unterstellt, da er Themen wie Inzest, Erbkrankheiten, die gerade aufgekommene Darwin’sche Vererbungslehre, freie Liebe, Kritik an der Kirche oder auch außereheliche Beziehungen angesprochen hatte. Einige der Aufreger von damals haben längst nicht mehr diese Wirkung und werden im Theater oder auch gesellschaftlich durchaus verhandelt. „Da hat Ibsen Themen gewählt“, sagt Regisseur Brammer, „die auch heute noch vorkommen könnten. Unliebsames zu verschweigen, auch das gibt es noch und das vielleicht nur, um ein tadelloses Außenbild zu bewahren.“ Das große Thema bei Ibsen sei die Lebenslüge, sagt Brammer, wobei hier jede der Figuren irgendein Geheimnis, zumindest im Verborgenen, zum Teil ohne es zu ahnen, mit sich herumtrage. Das ganz Familiensystem stütze sich darauf. Das ginge so lange gut, bis irgendeine Kleinigkeit das Konstrukt ins Wanken bringe.
Ibsen führt hier nicht langsam in die Handlung ein, gibt keinen Idealzustand vor, der langsam einbricht, sondern lässt die „Hölle“ gleich von Anfang an präsent sein. Zum Andenken an ihren Mann Hauptmann Alving, lässt dessen Witwe Helene Jahre nach seinem Tod ein Waisenhaus einweihen. Zu diesem Ereignis kommt eine illustre Gesellschaft am Fjord zusammen: Sohn Osvald, der schon lange als Künstler in Paris lebt, Pastor Manders, ein Freund des Hauses sowie Regine, das Dienstmädchen. Mit ihnen kommen auch die Gespenster der Vergangenheit mit in die Runde. Lange Jahre hatte sie die Ausschweifungen des hoch angesehenen Gatten zurückgehalten. Die Vergangenheit scheint die Gegenwart zu vergiften. Frau Alving will reinen Tisch machen, sich selbst befreien, sagt der Regisseur, ahnt aber nicht, dass sie damit eine Welle lostritt, die die ganze Familienstruktur ins Wanken bringt. Die älteren Personen kennen Einzelheiten dieser Lebenslüge, weitere Zusammenhänge kennen sie auch nicht. Als Einzige kennt Helene die trügerische Wahrheit und allmählich kommt ihre Lebenslüge ans Licht. „Ibsen gilt als Erfinder des Psychodramas“, betont Brammer, „wichtig war ihm dabei immer der Umgang der Figuren mit dem Geschehen und ihren Nöten.“ „Das ist kein Abend, der unbeschwerte Unterhaltung bietet“, sagt der Dramaturg, „sondern ein ernstes Stück, das Ibsen aber faszinierend aufgearbeitet hat.“ „Der norwegische Dramatiker“, so Brammer, „hat vieles, was er damals als problematisch gesehen hatte, in die Handlung gepackt und kratzte damit kräftig am gesellschaftlichen Bild.“
„Das Publikum möchte ich auf eine Erzählreise mitnehmen“, beschreibt er sein Inszenierungskonzept. Die Geschichte habe in diesem Fall zwei Erzählebenen, eine in der Vergangenheit, die zweite im Jetzt. Diese beiden Spuren sowie ihre Verbindung zueinander möchte der Regisseur für das Publikum greifbar machen. Das Bühnenbild soll beide Ebenen zeigen, die lauernden Vorkommnisse der Vergangenheit aus der Ferne durchaus durchschimmern lassen. Ibsen habe eigentlich damals schon eine ganz moderne Sicht auf grundlegende gesellschaftliche Zustände gehabt. Heute gehöre „Gespenster“ zu den immer wieder gespielten Theaterklassikern.
Premiere hat die Inszenierung von „Gespenster“ am 22. Dezember 2024 im Studio des Hofer Theaters. Informationen zum Stück und weiteren Terminen gibt es unter www.theater-hof.de.