Wenn nicht heuer, wann dann? Wenn nicht zu Klimts Ehren, zu wessen Ehren denn? 2018 wurde uns eine längst überfällige Entscheidung sprichwörtlich aus der Hand genommen – nach Wien fahren um einige der führenden Museen Europas zu besuchen. Gustav Klimts Todestag (6. Februar) jährt sich heuer zum 100. Mal, Egon Schieles auch (31. Oktober). Großartige Sammlungen, die in der österreichischen Hauptstadt präsentiert werden, ebenso wie die Möglichkeit neue (Kunst-)Wege zu beschreiten. Es wäre sträflich, würden wir an dieser Stelle nicht berichten. Drei Tage Hauptstadt mit einem pickepacke vollen Kulturprogramm warteten auf uns. Ganz oben auf unserer Liste stand die ALBERTINA, jenes Museum, das im Palais Erzherzog Albrecht, einer historischen Residenz der Habsburger, mitten im ersten Wiener Bezirk untergebracht ist. Seine enzyklopädisch und universalistisch angelegte Sammlung umfasst rund eine Million Zeichnungen und druckgrafische Blätter von der Renaissance bis zur Gegenwart. Seit 2007 unterhält die ALBERTINA eine permanente Schau zur klassischen Moderne: „Monet bis Picasso. Die Sammlung Batliner“. Zum Zeitpunkt unseres Besuches widmete das Museum Keith Haring, der 2018 60 Jahre alt geworden wäre, eine große Ausstellung, die sein Werk sowohl aus kunsthistorischer als auch aus formaler Sicht präsentierte. Dabei kam besonders gut Harings einzigartige Zeichensprache zum Vorschein, die sich als künstlerisches Alphabet wie ein roter Faden durch sein Schaffen zieht. Seine U-Bahn-Bilder, Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen sind Botschafter für soziale Gerechtigkeit. Die Strahlkraft seines Œuvres berührt über alle Generationen hinweg, sein Einfluss auf Zeitgenoss/-innen sowie nachfolgende Künstlergenerationen ist gewaltig. Aber auch ohne die „Sonderschau Keith Haring, The Alphabet“ ist die ALBERTINA ein Muss für kunstbeflissene Wienbesucher. Das Museum beherbergt alle großen Künstler der modernen und zeitgenössischen Kunstgeschichte. Vom französischen Impressionismus und Fauvismus über Werke der expressionistischen Künstlergruppen und der russischen Avantgarde bis hin zu zahlreichen Meisterwerken von Picasso, Kiefer und Lassnig sind alle bahnbrechenden Ideen der Kunst der Moderne und Gegenwart in der ALBERTINA zu Hause. Ab 21. September zeigt das Museum die erste umfassende Präsentation von Claude Monet (1840–1926) seit über 20 Jahren in Österreich. Die Ausstellung enthüllt eine Retrospektive, die mit 100 Gemälden von über 40 Leihgebern aus der ganzen Welt bestückt sein wird. Sicherlich ein Muss für alle Monet-Fans.
Etwas fokussierter ging es da schon im Schloss Belvedere zu, schließlich findet man dort die weltweit größte Ansammlung von Gemälden des vielleicht bekanntesten Vertreters des Wiener Jugendstils, Gustav Klimt. Die beiden barocken Schlossbauten (Oberes und Unteres Belvedere) sind heute Heimstatt der Österreichischen Galerie Belvedere, die unter anderen die weltweit größte Sammlung von Gemälden Gustav Klimts besitzt. Wer einen möglichst großen Überblick über die österreichische Kunstentwicklung bekommen will, der kommt am Belvedere nicht vorbei. Egal ob Klimt, Schiele oder Kokoschka, aber auch bedeutende Werke des französischen Impressionismus und des Wiener Biedermeier sind dort zu sehen. Höhepunkt des Belvedere ist eindeutig Klimts goldenes Bild „Kuss“. Vor dem in den Jahren 1908/1909 entstandenen Werk drängeln sich Heerscharen vor allem asiatischer Besucher, die sich unbedingt mit dem Meisterwerk ablichten lassen, oder dank meterlanger Sticks, selbst ablichten. Was nützt es da, dass die Verantwortlichen einen Raum weiter einen „Photopoint“ mit einer Kuss-Replik aufgebaut haben, der leider keinerlei Beachtung findet. Original ist halt doch Original, selbst wenn es den Genuss der anderen Besucher erheblich stört.
Der nächste Weg am nächsten Tag führte uns direkt ins Leopold Museum, denn wer sich für Klimt interessiert, der kommt an Egon Schiele kaum vorbei. Und eben diesem Künstler widmet das Museum im MuseumsQuartier Wien vom Februar bis zum November 2018 eine Jubiläumsschau. Egon Schiele, in der Kunstwelt ein zumindest zeitweise eher umstrittener Maler, war, ein von Gustav Klimt vorbehaltlos gefördertes Genie. Seine Bilder ähnelten durchaus denen seines Mentors, allerdings ohne dessen verklärenden Blick darüber zu legen. Schiele malte die Menschen so, wie er sie sah und empfand, geprägt durch seine eigenen Erfahrungen wie etwa den frühen Tod seines leiblichen Vaters oder aber auch die immer wiederkehrenden Auseinandersetzungen mit seinem Stiefvater und Onkel, Leopold Czihaczek, der sich mit Schieles Berufswunsch, Maler zu werden, gar nicht anfreunden konnte. Durch die Kombination von Gemälden, Papierarbeiten und zahlreichen Archivalien gerät die Ausstellung im Leopold Museum zu etwas Besonderem. Während bei den Ölbildern und den Papierarbeiten der Schwerpunkt auf den expressionistischen Jahren 1910–1914 liegt und diese Arbeiten jeweils zu einem Drittel den Selbstdarstellungen, den Porträts und Akten der Mädchen und letztlich denen erwachsener Frauen gewidmet sind, umfassen die Gemälde seine gesamte Schaffensperiode, die, da er 1918 im Alter von gerade mal 28 Jahren und nur Monate nach seinem Förderer Gustav Klimt an den Folgen der Spanischen Grippe stirbt, ohnehin als sehr kurz bezeichnet werden darf.
Parallel zur Jubiläumsausstellung „Egon Schiele“ ist im Leopold Museum auch noch „WOW! The Heidi Horten Collection“ zu sehen. Damit wird eine der beeindruckendsten, europäischen Privatsammlungen erstmals öffentlich ausgestellt. Rund 170 Werke aus 100 Jahren Kunstgeschichte werden präsentiert, darunter Arbeiten von Baselitz, Basquiat, Hirst, Klimt, Macke, Marc, Richter, Schiele und Warhol, um nur einige wenige zu nennen. Die Liste der Bilder liest sich wie ein Who-is-Who der europäisch-amerikanischen Künstlerszene. Ursprünglich bis zum 29. Juli angesetzt, wurde die Sonderausstellung aufgrund der großen Nachfrage bis zum 3. September 2018 verlängert.
Ebenfalls im MuseumsQuartier Wien, quasi in direkter Nachbarschaft zum Leopold Museum, befindet sich das Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, oder kurz Mumok. So einladend die bisher beschriebenen Kulturstätten auch schon aufgrund der Architektur wirken, so (beinahe) abweisend steht das Gebäude des Mumok, einem Monolith gleich, in der Landschaft. Grau, groß, quaderförmig, mit einem von außen fast unsichtbaren Eingang, scheint es seine Besucher eher abwehren denn einladen zu wollen. Nun gut, wir haben uns nicht abschrecken lassen und den Eintritt gewagt. Und eins kann man sagen: “Nomen est omen.“ Das Haus macht seinem Namen alle Ehre. Architektonisch auch im Inneren durchaus als überwältigend zu bezeichnen, ist die darin angebotene Kunst in der Tat etwas für „Hardliner der modernen Schaffenskraft“. Wir wollen an dieser Stelle nicht verschweigen, dass wir eher der Generation angehören, die mit den alten großen Meistern aufgewachsen ist und die sich bei zeitgenössischer Kunst und Malerei lieber an Künstlern wie Gerhard Richter, Herbert Baselitz, Neo Rauch oder der amerikanischen Pop-Art-Szene orientieren. Egal ob Bilder, Installationen oder aber auch schlichtweg inszenierte Alltagsgegenstände, es war schwer für uns, einen Zugang zu finden. Nur eins konnten wir überdeutlich feststellen: Der Geist von Joseph Beuys war stark zu spüren.
Natürlich kann man nicht in Wien gewesen sein, ohne auf den Spuren eines der berühmtesten und schillerndsten Söhne der Stadt unterwegs gewesen zu sein, Friedensreich Hundertwasser Regentag Dunkelbunt. Der Maler, Architekt und Umweltschutzaktivist hat in Wien deutliche Spuren hinterlassen, nicht zuletzt durch die 1985 fertiggestellte soziale Wohnungsbauanlage „Hundertwasserhaus“, deren Miturheber der österreichische Architekt Josef Krawina war. Um die weltweit einzige, permanente Ausstellung der Werke von Hundertwasser zu sehen, muss man nur ein paar Schritte weitergehen. Das Kunst Haus Wien, das eben diese Ausstellung beherbergt, ist ein von Friedensreich Hundertwasser gestaltetes Museum und nur einen Steinwurf von der Wohnanlage entfernt. Das Gebäude, in dem sich früher die Möbelfabrik Thonet befand, ist klar erkennbar im Stile des exzentrischen Künstlers gestaltet, die Böden sind uneben, farbige Keramiken und Mosaiken bestimmen die Oberflächen. Auf zwei Etagen werden die Werke Hundertwassers präsentiert und die Auswahl übermittelt dem Betrachter schon einen Überblick über das Oeuvre des Meisters. Aufgrund der Einzigartigkeit seiner Bilder sicherlich eher als Anfang oder als Ende eines Wien-Besuches zu empfehlen.
Wien war und ist eine Reise wert, das steht sicher außer Frage. Und nicht nur im Jubiläumsjahr von Gustav Klimt und Egon Schiele, aber deshalb vielleicht noch ein bisschen mehr als sonst. Wir werden wieder kommen und uns dann weiter umschauen, eventuell ein wenig abseits der ganz großen Häuser und ein bisschen mehr in der „unabhängigen“ Kunstszene.
Fotocredits:
Egon Schiele, Liegende Frau, Foto © 2mcon
Keith Haring, HEE HEE HEE, Foto © 2mcon
Gustav Klimt, Adam und Eva, Foto © 2mcon
Roy Lichtenstein, Forest Scene, Foto © 2mcon
Dieter Roth, Quick, Foto © 2mcon
Hundertwasserhaus, Foto © 2mcon