Man hätte es ahnen können, aber nun wird es auch wahr: Nach seiner rundum gelungenen Grundsanierung und Modernisierung wird das Markgräfliche Opernhaus zu Bayreuth wieder für jene Werke zur Verfügung stehen, für die Markgräfin Wilhelmine es hatte errichten lassen. Längere Zeit waren die Bayreuther ihres prachtvollen Theater-Kleinodes beraubt, in dem sie früher bezaubernde Theater-, Opern- und Konzertabende erleben konnten, vor allem im Rahmen des seit 2000 veranstalteten Barockfestivals.
Nun ist der Dekor aufgefrischt, aber trotzdem noch in seiner originalen Üppigkeit erhalten, aber von zeitgemäßer Technik umgeben. Zeit also, wieder eine dem Stil des Hauses angemessene Nutzung – beispielsweise die Aufführung von Opern Händels und Grauns oder Wilhelmines eigener „Argenore“ – ins Auge zu fassen. Das hat zwar schon begonnen, aber in eher homöopathischen Dosen, denn denkmalpflegerische Erwägungen begrenzen allzu große Begehrlichkeiten bezüglich intensiverer Nutzung.
Da kommt das neue „Opera Festival“ – tja, englisch muss es wohl heißen – gerade recht, dass im September 2020 dieses Barocktheater, das 2012 in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen wurde, mit Opern aus der Zeit seiner Entstehung erfüllen soll. „Bayreuth Baroque“ ist es betitelt, und es hat den Anspruch, ein „Internationales Festival der Opera Seria“ zu sein. Oder besser: zu werden, denn es soll jährlich stattfinden und sich entsprechend entwickeln können.
Dass es dem anderen großen Bayreuther Event, den Wagner-Festspielen, terminlich aus dem Weg gehen muss, liegt auf der Hand und war auch früher schon so, also beim erwähnten „Bayreuther Barock“. Heuer wäre dies natürlich aus den bekannten Gründen gar nicht notwendig gewesen. Zwei der schönsten Opernhäuser der Welt locken nun also jedes Jahr die Musenfreunde nach Ostoberfranken, allerdings unter musikalisch völlig verschiedenen Vorzeichen.
Der Auftakt am 3. September bringt eine Wiederbegegnung mit dem bedeutenden, aber heute immer noch zu wenig beachteten neapolitanischen Komponisten Nicola Antonio Porpora, der vor allem auch als Gesangslehrer der berühmtesten Kastraten Italiens (u.a. Farinelli) wirkte. Seine Oper „Carlo il Calvo“ (Karl der Kahle) wurde 1738, also nur wenige Jahre vor dem Bau von Wilhelmines Theater, im römischen Teatro delle Dame, uraufgeführt. Die Handlung führt in jene Epoche des frühen Mittelalters, als das Europa Karls des Großen unter den Händen seiner zerstrittenen Erben zerfiel.
Franco Fagioli wird in dieser Inszenierung den Adalgiso singen, die russische Starsopranistin Julia Lezhneva die Gildippe. Mit dem Regisseur Max Emanuel Cencic, der als Countertenor auch den Lottario singt, konnten wir ein Gespräch über das Festival Bayreuth Baroque führen (s.u.). Er ist im Übrigen auch dessen künstlerischer Leiter. Die Porpora-Oper wird am 5. und 8. September abermals auf dem Programm stehen.
Das zweite Projekt aus dem Bereich der Opera Seria bezieht sich auf „Gismondo, Re di Polonia“, ein „Dramma per musica“ des Leonardo Vinci, den man tunlichst nicht mit seinem berühmten Fast-Namensvetter verwechseln sollte. In dieser abgründigen Oper geht es um einen unberechenbaren Gewaltherrscher, der mit erratischen Impulsen die Weltordnung an den Rand des Abgrunds treibt. Wer da nicht auf aktuelle Assoziationen kommt… Die Aufführungen am 11. und 13. September sind überwiegend konzertant, aber mit halbszenischen Akzenten.
Da das Festival „Bayreuth Baroque“ heißt und sich daher nicht auf Opern beschränkt, wurden auch weitere Gattungen berücksichtigt. So interpretieren die Pariser Kontraaltistin Delphine Galou und die „Accademia Bizantina“ am 4. September Motetten, Kantaten und Ausschnitte aus Oratorien. Im Zentrum des Abends steht Antonio Vivaldis „Stabat Mater“. Die 1983 in Ravenna gegründete und von Ottavio Dantona geleitete Accademia widmet sich ungehobenen Schätzen auch aus dem Bereich unbekannter Barockopern.
Mit dem gefeierten Soloprogramm „Lamento“ warten Romina Basso und Markellos Chryssicos, begleitet von dessen Ensemble „Latinitas Nostra“, am 9. September in der Bayreuther Schlosskirche auf. Zwei tragische Königinnen, Maria Stuart und Eleonore von Schweden, bürgen in diesem Programm für den Roten Faden. Anderntags tritt Jordi Savall mit seinem berühmten Ensemble „Hespèrion XXI“ in der Stadtkirche auf. Das weitgefasste Thema lautet: „Das musikalische Europa“.
Um Johann Adolf Hasse, den „Divino Sassone“, geht es am 12. September im Konzert der „lautten compagney“ Wolfgang Katschners, die mit Vivica Genaux eine amerikanische Gesangsdiva als Solistin begleitet. Das Programm sieht Arien und Ouvertüren aus sieben Opern Hasses vor. Der Komponist, der bei Porpora in Neapel studiert hatte, war der erfolgreichste Opernkomponist seiner Generation. Wilhelmine schätzte ihn besonders, weshalb sie ihn zur Eröffnung des Opernhauses 1748 mit „Ezio“ und „Artasere“ nach Bayreuth einlud und ihn zum meistgespielten Komponisten in ihrem Hause machte.
Ein besonderes Highlight von „Bayreuth Baroque“ steht beim Galakonzert mit Joyce Didonato am 6. September auf dem Programm. Die Mezzosopranistin aus den USA, einer der größten Stars der Klassikszene, hat mit dem Ensemble „Il pomo d’oro“ ein Programm konzipiert, das den Übergang vom „Dramma per musica“ des 17. Jahrhunderts zur Opera seria des 18. Jahrhunderts verständlich macht. Die Werkauswahl reicht von Claudio Monteverdi bis Hasse und Händel. Francesco Corti leitet das begleitende Spezialensemble, das Markgräfliche Opernhaus sorgt für die passende Atmosphäre.
Nichts lässt sich ohne die handelnden Personen gestalten, die gerade in schwierigen Zeiten den Veranstaltungen ihren Stempel aufdrücken. Aus diesem Grund hat ART. 5|III mit Max Emanuel Cencic, dem künstlerischen Leiter von „Bayreuth Baroque“, ein Interview geführt:
MEC: Definitiv nein, weil die Wagnerfestspiele völlig anders sind als die Barockopernfestspiele Bayreuth. Wir haben zwei komplett unterschiedliche Epochen und damit auch unterschiedliches Publikum. Wir sehen uns nicht als Konkurrenz, sondern als kulturelle Erweiterung des Festspiel-Spektrums der Stadt Bayreuth.
MEC: Das kann man so sagen. Obwohl für mich gerade die Faszination darin besteht, dass Bayreuth eine so unglaubliche Musikgeschichte vorzuweisen hat, die eben bis in das 17. Jahrhundert zurück reicht. Es war daher schon längst überfällig auch der „Vor-Wagner-Zeit“ ein Festival zu widmen, da das Markgräfliche Opernhaus ein Monument von Weltrang ist.
MEC: Definitiv ja. Für die Bayreutherinnen und Bayreuther war das Markgräfliche Opernhaus immer schon „ihr“ Haus. Weshalb es bereits vor Bayreuth Baroque ja auch
Bayreuth Barock gegeben hat, welches vom Kulturamt direkt organisiert wurde. Die Menschen hier haben immer ein Herz für dieses besondere Haus gehabt und man nutzte es immer schon als Veranstaltungsort für Konzerte, Festivals und allerlei wie Maskenbälle, Theater oder Ballette.
MEC: Mir geht es hauptsächlich um die Erweiterung des gängigen Opernrepertoires. So sind die weniger gespielten, aber damals in der Entstehungszeit des Opernhauses weltberühmten Komponisten, Porpora, Hasse, Vinci oder Händel, diejenigen die das Repertoire dominieren werden. Das Opernhaus ist ein Museum und soll mit Spitzenwerken der damals besten Komponisten wieder zum Leben erweckt werden. Die Idee ist, dass der Besucher die Barockoper im Originalambiente in Höchstqualität erlebt. Dies ist das Versprechen, welches die Wagnerfestpiele seit über hundert Jahren halten und treu diesem Bayreuther Konzept möchte ich auch am Markgräflichen Opernhaus Spitzenproduktionen im einmaligen historischen Ambiente im Markgräflichen Opernhaus bieten.
MEC: Neben lokalen und regionalen Besuchern haben wir sehr viele, die aus ganz Deutschland und aus dem Ausland wie Frankreich, Italien oder sogar Russland kommen.
Das Echo bisher ist grandios. Wir haben innerhalb von 4 Wochen 60% der Karten verkauft. So ist Carlo il Calvo von Porpora komplett ausverkauft und auch das Gala Konzert von Joyce di Donato. Dies war der Stand vor dem Lockdown im März. Ich denke, hätten wir die Möglichkeit gehabt den Verkauf ungehindert weiter zu betreiben, also ohne Covid-19 Krise, wären wir heute sicherlich schon komplett ausverkauft. Das ist für das erste Jahr eines Festivals mit einem so exotischen Programm eine Sensation. Weshalb ich sehr motiviert in die nächsten Spieljahre vorausplane und einen Erfolg auf voller Linie erwarte.
MEC: Einerseits nach künstlerischer Qualität, andererseits nach zeitlicher Verfügbarkeit.
Ich hoffe noch viele unterschiedliche Künstler einladen zu können, um spannende Projekte zu entwickeln. Das alles ist natürlich von Geld abhängig, weshalb die ersten drei Jahre sehr wichtig sind, um das Festivalprofil zu schärfen, um weitere finanzkräftige Partner zu finden.
MEC: Natürlich haben wir im Team über mehrere Ideen gesprochen und wir haben auch ein Plan C. Nur müssen wir Schritt per Schritt gehen und gemeinsam mit den zuständigen Behörden die Aufführungsbedingungen ausloten und alles tun, um einerseits die Sicherheit der Festivalgäste und der Künstler zu gewährleisten und andererseits den Finanzrahmen, der uns vorgegeben wurde mit möglichst geringen Verlusten zu bewerkstelligen.
MEC: Die prominenten Unterstützer hat Dr. Clemens Lukas gewonnen und ihm allein sei Dank, dass wir dieses Festival haben. Als Künstlerischer Leiter ist es natürlich mein Wunsch, mein Bestes zu geben und zu helfen aus Bayreuth Baroque eine weitere wichtige Kulturinstitution zu schaffen.
Bayreuth Baroque präsentiert Opera Seria im einmaligen Original-Ambiente mit Spitzenkünstlern aus der ganzen Welt.