A spielt B und C schaut zu. Diese Minimaldefinition von Theater, die berühmte ABC-Formel von Eric Bentley, benennt prägnant, was eigentlich jeder weiß, sich aber selten jemand bewusstmacht: Zuschauen ist ein elementarer Bestandteil jedes Bühnengeschehens. Ohne Zuschauer:innen, die um ihre Rolle wissen und sie aktiv übernehmen, ist eine Aufführung keine Aufführung. Lange haben sich etablierte Kulturinstitutionen wenig Gedanken um ihr Publikum gemacht. Das bürgerliche Kultur- und Bildungsverständnis hat die Sehkonventionen von Theater, Tanz und Musik bestimmt und von Generation zu Generation weitergegeben. Die Aufgabe „Zuschauen“ war klar umrissen und stark von einem Wissens- und Verstehens-Zugang geprägt. Durch viele neue Ästhetiken, audiovisuelle Medien, Formen des kulturellen Ausdrucks und eine diversere Zivilgesellschaft ist dieses grundlegende bürgerliche Verständnis in den letzten Jahrzehnten immer stärker herausgefordert und in Frage gestellt worden. Von traditionellen Kulturinstitutionen fühlen sich viele Menschen heute ausgegrenzt, haben das Gefühl, künstlerische Inhalte nicht zu „verstehen“ und schrecken vorm Veranstaltungsbesuch zurück. Ein neuer Zugang muss geschaffen werden, ein Schwellenabbau ohne die Nivellierung von Inhalten; danach gilt es für etablierte Kulturinstitutionen zu suchen.
Die Nürnberger Tafelhalle, die vor allem ein Haus für Musik, Theater und insbesondere zeitgenössischen Tanz aus der Freien Szene ist, justiert die Beziehungen zum Publikum jetzt neu. Gemeinsam mit den Masterstudierenden des Studiengangs Theater – Forschung – Vermittlung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg werden unter dem Label „Perlentauchen“ neue Wege der Vermittlung erschlossen. Im Fokus des Formats steht die ganzheitliche ästhetische Erfahrung der Zuschauenden sowie das Live- und Gemeinschaftserlebnis. Ziel des Formates ist es, dem Publikum möglichst viele Wahrnehmungsmodi ins Bewusstsein zu rücken, das Publikum dazu einzuladen, Zuschauen als aktiven, gestalterischen Prozess zu begreifen, nicht als Entschlüsselungsaufgabe für die Botschaft vermeintlicher Autoritäten oder als leblosen Konsum.
So kann man beim „Eintauchen“ auf verschiedene Weise auf den Veranstaltungsbesuch eingestimmt werden. Vielleicht gibt es eine geführte Meditation, in der der Alltagsstress erst einmal weggeatmet werden und die Wahrnehmungsrezeptoren auf Aufnahmemodus gestellt werden können? Denn: Wie abgehetzt kommt man unter der Woche oft beim Veranstaltungsbesuch an? Vielleicht kann man aber auch eine Bewegungsform, die für den Abend stilbildend ist, selbst ausprobieren oder man darf vorab hinter die Kulissen schauen und an Orte spitzen, die man sonst nicht betreten darf. Es gibt viele Möglichkeiten, die im Rahmen von „Perlentauchen“ angeboten werden. Einer klassischen Werkeinführung wird man nur in Ausnahmefällen begegnen. Die gleiche Erweiterung des Erlebnis- und Erfahrungshorizontes gilt auch fürs „Auftauchen“ vielleicht gibt es ein Quiz, eine lebendige Statistik, ein Speeddating oder ein Lagerfeuer? Alles, was das gemeinsame Sprechen über das Gesehene, das Austauschen von Eindrücken, das Fragenstellen oder auch ein gemeinsames Herunterkommen ermöglicht, ist denkbar. Was genau bei welchem „Perlentauchen“ stattfindet, ist immer auf die individuellen Bedingungen der jeweiligen Produktion abgestimmt. Durch ein kleines Logo wird in den Veröffentlichungen der Tafelhalle gekennzeichnet, wann die Perlen „ertaucht“ und die Wahrnehmungsschätze geborgen werden können. Ab dem 29.9.23 regelmäßig mehrmals im Monat angeboten. Der Rest ist eine Überraschung.
Überraschung ist ein wesentliches Stichwort für das neue Vermittlungsprogramm der Tafelhalle. Ganz neugierige Zuschauer:innen sollten unbedingt bei „Ins Blaue! Die Musik/Tanz/Theater-Sneak“ vorbeischauen. Hier geht das Vermittlungsteam der Tafelhalle noch einen Schritt weiter, was das Aufbrechen von Erwartungen anbelangt, denn hier kann man erst gar keine haben. „Lass dich überraschen!“, lautet die Devise. Zum kleinen Preis kann man bei „Ins Blaue!“ eine vollwertige Vorstellung besuchen, von der man bis zum Öffnen des Vorhangs nicht weiß, was man erleben wird: ein Konzert, eine Tanzproduktion, eine Lesung – alles ist möglich. Der Blick über den Tellerrand und die Lust am Abenteuer Kultur sind gefragt. Dazu gibt es immer ein Glas Mut-Sekt oder Saft. Wer also von vollen Veranstaltungskalendern überfordert ist und aus dieser Überfülle heraus dann nicht gezwungenermaßen immer beim gleichen landen möchte, sollte sich auf das Angebot einlassen und „Ins Blaue!“ kommen. Angeboten wird die Reihe immer einmal im Monat. Feststehende Termine sind bereits der 12.10.23, der 8.11.23, der 14.12.23 und der 17.1.24, jeweils um 20 Uhr. Wie bei einer Sneak-Preview im Kino – hier ist das Format entlehnt – gibt es am Ende auch etwas zu gewinnen. Mut zahlt sich auf jeden Fall aus und wird beim Besuch in der Tafelhalle belohnt.
Weitere Infos unter tafelhalle.de