Die Geschichte eines Kammermusiksaals in den Mittelpunkt eines Bildbandes zu stellen, darauf muss man erst einmal kommen. Oder vielleicht auch nicht, scheint es der Kammermusiksaal im „Historischen Reitstadel“ in Neumarkt in der Oberpfalz den Verleger:innen doch recht einfach gemacht zu haben. Denn in der Stadt, die (fast) auf halbem Weg zwischen Nürnberg und Regensburg verortet ist, spricht jeder vom „Neumarkter Wunder“, wenn man vom vorab erwähnten Kammermusiksaal spricht. Dabei ist dessen Geschichte eigentlich ganz schnell erzählt. Unter dem Pfalzgrafen Otto II. als Getreidelager errichtet und später als Reithalle genutzt, wurde das Gebäude im zweiten Weltkrieg bis auf die Außenmauern zerstört. Diese sollten dann auch noch der Planierraupe und den weiteren Bauplanung weichen und da beginnt schon der erste Teil dieses Neumarkter Wunders. Über Nacht quasi zum Denkmal erklärt und damit vor dem Abriss bewahrt, dauert es noch ungefähr 30 Jahre, bis aus den Ruinen der heutige, „Historische Reitstadel“ entsteht. Maßgeblich daran beteiligt, dass der Neubau keine übliche Mehrzweckhalle wurde, hatte der Neumarkter Unternehmer und Hobby-Cellist Ernst-Herbert Pfleiderer. Seiner Überzeugungskraft ist es wohl zu verdanken, dass gegen alle politischen Widerstände ein kleiner, aber feiner Konzertsaal entstanden ist. Und damit wäre man schon beim zweiten Teil des Wunders angekommen. Beim Eröffnungskonzert am 21. März 1981 stellte sich nämlich heraus, dass dieser kleine Saal, wenn auch ungeplant, über eine Weltklasseakustik verfügte, sozusagen ein Geschenk des Himmels.
Um diesen Saal dann regelmäßig bespielen zu können, gründeten sich dann der „Verein Neumarkter Konzertfreunde“ der dafür sorgte, dass sich von nun an die weltbesten Musiker sozusagen im Reitstadel die Klinke in die Hand gaben und dies auch bis heute noch tun. Die Liste der bisher aufgetretenen Künstler liest sich wie das Who is Who der internationalen Klassik-Musikszene. Namen wie Patricia Kopatchinskaja (Violine), Midori (Violine), Sol Gabetta (Violoncello), Sir András Schiff (Piano und Dirigat), Albrecht Mayer (Oboe) oder auch Mstislaw Rostropowitsch sind nur eine ganz kleine Auswahl aus der Gesamtzahl derer, die ihr Publikum auf der Bühne des Reitstadels begeisterten.
Mit dem Bildband „Neumarkt“ versucht sich der Fotograf Frank Schinski dem „Phänomen Reitstadel“ anzunähern. Jenseits üblicher Hochglanzästhetik kommt Schinski seinen Motiven (Künstlern, Mitarbeitern der Verwaltung, Abonnenten und vielen anderen) extrem nah und erreicht damit eine erstaunliche Natürlichkeit bei der Abbildung. Äußerst konzentriert bei seiner Konzertvorbereitung der eine (Florian Schötz, Seite 80), extrem relaxt der andere (François Leleux, Seite 78). Es scheint die Mischung aus Künstlern, Veranstaltern, Unterstützern und Publikum zu sein, die dieses „Neumarkter Wunder“ und eben auch diesen Bildband so einzigartig machen.
Eingebundene Erklärungen wie zum Begriff der „Stille“ und deren Verwendung in der Musik oder auch ein Bildband im Bildband zu der Violinistin Alina Ibragimova, die 2011 in Neumarkt debütierte, runden das gelungene Gesamtbild ab.
Neumarkt: Bildband mit Bildern des Fotografen Frank Schinski und Texten von Sir András Schiff, Dariusz Szymanski und Peter Gülke. Kerber Verlag, Bielefeld/Berlin, 2022, 24 x 32 cm, 304 Seiten, 65 Euro, ISBN: 978-3-7356-0846-8.