Von den Lustgeschäften der Poesie
Das 34. Erlanger Poetenfest im Schlossgarten
veröffentlicht am 04.08.2014 | Lesezeit: ca. 7 Min.
Es dürfte fast leichter sein, die bedeutenden Lyrikerinnen, die Dichter, Kritiker, Verleger anzuführen, die noch nicht auf dem Poetenfest in Erlangen gewesen sind, als jene, die sich in den frühen Tagen im Burgberggarten und dann, von den neunziger Jahren an, im Schlossgarten in den letzten Augusttagen seit der Premiere 1980 ein vielstimmiges poetisches Stelldichein gegeben haben. Von Ilse Aichinger, Maike Albath und H. C. Artmann bis Ron Winkler, Gabriele Wohmann, Annemarie Zornack und Gerhard Zwerenz reicht die Gästeliste, und dazwischen ist noch viel Platz für Fritz. J. Raddatz etwa (der sich in seinen Tagebüchern über die schnöde Behandlung in Erlangen echauffiert), Iris Radisch, Peter Rühmkorf und Doris Runge.
Das Poetenfest – die 34. Ausgabe findet vom 28. bis 31. August statt – gilt mit einer Fülle von Veranstaltungen rund um die aktuelle Literatur hierzulande als inoffizieller Auftakt zum Bücherherbst. Mehr als 10 000 Besucher werden zu einem der traditionsreichsten Literaturfestivals im deutschsprachigen Raum erwartet. Das Programmheft wird erst Mitte August erscheinen, doch lässt sich schon jetzt sagen, dass es wieder eine „Nacht der Poesie“ geben wird, die Bayern 2 direkt aus dem Erlanger Markgrafentheater übertragen wird. Das Büchermagazin „Diwan“ wird sich aus der Orangerie im Schlossgarten zu Wort melden.
Im Mittelpunkt stehen die langen Lesenachmittage am Samstag und Sonntag im Erlanger Schlossgarten. Wichtige Neuerscheinungen werden erstmals öffentlich gelesen und mit namhaften Literaturkritikern darüber diskutiert. Im barocken Markgrafentheater finden an den Abenden Autorenporträts statt, die international renommierte Schriftsteller in Lesung und Gespräch vorstellen. Gespräche und Diskussionen zu literarischen, gesellschaftlichen und kulturpolitischen Themen sind weitere Eckpunkte des Programms.
Dass es gerade in jungen Jahren wichtig ist, Lust aufs Lesen zu machen, ist kein Geheimnis. Das „Junge Podium“ stellt aktuelle Kinder- und Jugendliteratur in Lesungen bekannter Autoren vor und bietet darüber hinaus ein attraktives Rahmenprogramm. Bibliophilen Besuchern sei die Buchkunst-Ausstellung „Druck & Buch“ empfohlen, nur eine von vielen auf dem Poetenfest. Ohne Übersetzer bliebe uns der Großteil der Literatur verwehrt. Einblicke in das faszinierende, wenn auch schlecht bezahlte Geschäft des literarischen Übersetzens bietet die Elfte Erlanger Übersetzerwerkstatt. Frank Günther wird sein vor dem Abschluss stehendes Shakespeare-Projekt vorstellen, Waldtraut Lewin Libretti-Übersetzungen (Händel), Bernd-Jürgen Fischer seinen neuen Proust, Wolfgang Tschöke seinen gleichfalls neuen Rabelais.
Wir haben uns umgehört und Stimmen von Teilnehmern der letzten Jahre gesammelt:
Fitzgerald Kusz (Dramatiker, Lyriker, Nürnberg, 1984, 2009):
„Das Erlanger Poetenfest ist einzigartig in der deutschen Literaturlandschaft. Lesungen unter freiem Himmel bei sommerlichen Temperaturen & Poeten zum Anfassen: ein Paradies für alle Literaturfans. Aus Büchern werden Lebensmittel.“
Thomas Meinecke (Musiker, Autor, DJ, Eurasburg, 1997, 2010):
„Phänomen Erlangen: in besonderer Stadtarchitektur auf offenen Plätzen großen Mengen interessierter Bürger gegenüberzusitzen, die dezidiert aufgeschlossen kompliziertesten Texten zuhören! (Außerdem nach eigener Lesung eine ganze Nacht mit dem großen Einar Schleef in dem einzigen All-Nite-Lokal durchgezecht. Unvergesslich auch das.)
Kerstin Hensel (Lyrikerin, Erzählerin, Berlin, 2003, 2013):
„Poesiefestivals, die in Metropolen stattfinden, sind ein Event unter vielen. Der Vorteil unprovinzieller, aber überschaubarer Städte, wie etwa Erlangen, ist eine höhere Konzentration und Spannung sowohl des Publikums, als auch der Poesie selbst. Die Erlanger Poesiefestival-Betreiber haben ihr Publikum und die beteiligten Medien über die Jahre gut erzogen, das heißt, mit Ansprüchen bedacht.“
Ursula Sowa (Politikerin und Freundin der Künste, Bamberg, 2005):
„Ich schätze das Poetenfest sehr! 2005 nahm ich an einer Podiumsdiskussion teil, als damalige Bundestagsabgeordnete und Mitglied der Enquetekommission Kultur in Deutschland. Ich diskutierte mit Johano Strasser und Ulrich Greiner, wie die Literatur und überhaupt die Geisteswissenschaften in Deutschland gefördert werden können. Das Poetenfest ist ein wunderbares Medium, Literatur zum Anfassen anzubieten. Tolle Leute mitten im Grünen. Das wünschte ich mir auch für Bamberg!“
Alban Nikolai Herbst (Autor, Blogger, Kritiker, Berlin, 1998):
„Das ist etwa zwei Jahrzehnte her, dass ich dort war, und man wird mich wohl auch nicht mehr einladen. Also einerseits ist meine Erinnerung grau, zum anderen mag ich nicht für etwas werben, das mich ignoriert. Es ist gut, dass ich meine Konsequenzen ziehe.“
Anton G. Leitner (Lyriker, Verleger, Herausgeber, Weßling):
„In Erlangen war ich seltsamerweise nie eingeladen, was an Michael Braun liegen könnte, der ja, wenn ich nicht irre, früher als Kurator mitbeteiligt war. Der hat mir immer meinen Erfolg als Anthologist missgönnt, und hätte selbst so gerne einmal auch eine Sammlung gemacht, die auch Leser außerhalb der Eingeweihten findet. Aber dies war ihm leider offensichtlich missgönnt. Er hat mal mir gegenüber bei einer Einladung des Lyrik-Kabinetts zum Abendessen gesessen und seine Suppe ausgelöffelt. Da war er dann furchtbar schüchtern und konnte mir nichtmal in die Augen sehen. Sehr seltsam. Und natürlich schade. Denn ich wär‘ gern mal in Erlangen dabei, Braun zum Trotz.“
Oleg Jurjew (Lyriker, Romancier, Übersetzer, Frankfurt am Main, 2011):
„Ich mag das Erlanger Fest, aber habe keine Meinungen dazu. Ich war einmal im Übersetzer-Seminar von Adrian La Salvia – das war sehr unterhaltsam.“
Rolf-Bernhard Essig (Autor, Kritiker, Bamberg, 2003, 2006 bis 2012):
„Die Fülle der Facetten lässt Erlangen einmalig brillant strahlen. Im einzelnen gibt es alles auch bei anderen guten Literaturfestivals, in der Summe aber nirgends sonst: Lesungen in freier Natur mit Picknickatmosphäre, reichliches und kundiges Publikum, eine gute Mischung aller Autorengenerationen und vieler Ausprägungen der Wortkunst, ein munter hin- und herfährendes Übersetzerforum sowie überhaupt eine Neugier weit über die deutsche Literatur hinaus, hochengagierte Organisatoren und Moderatoren, politische Wachheit, eine intensive regionale Verankerung, dazu Intimität und leidenschaftliches Ernstnehmen der Literatur.“
Dem ist wohl weiter nichts hinzuzufügen. Doch, noch dies: „A Mug’s Game“ hat, 1972, der in Berlin geborene, vor den Nazis nach England geflohene und in der ländlichen Idylle Suffolks 2007 verstorbene Lyriker und Übersetzer Michael Hamburger seine Memoiren genannt. Im Titel spielt er auf T. S. Eliot an, der seinen Studenten in Harvard gegenüber meinte, Lyrik sei keine Lebenslaufbahn, sondern verlorener Einsatz, vergebliche Liebesmüh‘. Dass dem nicht so ist, dass dem nicht unbedingt so sein muss, lässt sich auf dem Erlanger Poetenfest erleben, Jahr um Jahr, seit 1980 schon.
Copyright Foto: © Erich Malter