Recherchieren in Archiven findet Amanda Lasker-Berlin spannend. „Man findet so viel Interessantes“, sagt sie, „über das sonst kaum gesprochen wird.“ Da kam 2023 der Auftrag des ETA-Hoffmann-Theaters Bamberg, ein Auftragswerk für die Schriftstellerin und Theaterautorin, 1994 in Essen geboren, zu schreiben, genau richtig. Passend zum geplanten Spielzeitmotto „Resonanzen“ standen das Thema Hexenverfolgung in Bamberg, die historische Betrachtung sowie ein gedanklicher Bogen zur Gegenwart als Eckpunkte fest. Nun wird das fertige Stück, bei dem die Autorin gleichzeitig auch die Inszenierung übernimmt, unter dem Titel „Jahre ohne Sommer“ am 13. Oktober 2024 in der Studiobühne uraufgeführt.
Das Wissen um die Vorgänge der Bamberger Hexenverfolgungen sowie der daraus resultierenden Folterungen, Prozesse und Verbrennungen, sagt die Autorin, sei eher „rudimentär“ anzusiedeln. Auch sei den meisten Menschen gar nicht bewusst, wie brutal da Anfang des 17. Jahrhunderts, vor allem in den Jahren zwischen 1612 und 1631, ganz besonders in Bamberg, vorgegangen worden war – ein Sonderfall in der Geschichte der Hexenverfolgung, daher auch relativ gut dokumentiert. Etwa 10 % der damaligen Bamberger Bevölkerung, quer durch alle Bevölkerungsschichten, seien während der drei großen Prozesswellen betroffen gewesen. Eine ganz entscheidende Rolle habe historisch zu jener Zeit auch das Hochstift Bamberg getragen, das mit unerbittlicher Härte gegen die Angeklagten vorgegangen sei. „Je tiefer ich bei den Recherchen in dieses Thema einsteigen konnte“, so die Regisseurin, „desto interessanter wurde es.“
„Das erforderte ganz viel Archivarbeit“, sagt die Autorin. Besonders schwierig finde sie es, den damaligen Zeitgeist einzufangen, um so die historischen Vorgänge darzustellen und zu zeigen, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Fragen, die sich dabei stellten, seien etwa die nach dem Verhältnis von Staat und Kirche, oder nach Bedingungen, die derart hassgeprägte Strukturen zuließen oder auslösten, gewesen. Nachdenklich mache sie auch, warum sich niemand gegen diese Bedrohungen und Verleumdungen gewehrt oder die Angeklagten verteidigt hätte. „Auch hier“, ergänzt sie, „gebe es durchaus Parallelen, kaum jemand wende sich gegen Hasskommentare im Internet.“ Sich dafür einzusetzen, um solche bedrohlichen Systeme und Strukturen zu überwinden und sich gegen Terror jeder Art zu wenden, findet die Autorin einen wichtigen Gedanken.
Allgemein gefragt: Was bringt Menschen überhaupt dazu, andere Menschen, im Zentrum der Hexenverfolgung waren es überwiegend Frauen, auszugrenzen, zu verfolgen, zu foltern oder gar zu töten? „Ein gedanklicher Sprung ins Jetzt bietet sich an“, sagt die Regisseurin nachdenklich, „Rufmord, üble Nachrede, Verleumdung, Hasskriminalität und Terror hat es nicht nur damals gegeben.“ Heute seien die Wege oft andere, zum Beispiel die Social-Media-Kanäle, die Auswirkungen für Betroffene aber durchaus vergleichbar. Exemplarisch möchte die Autorin diesen und weiteren Fragen nachgehen, dazu auch auf historische Fälle eingehen.
Als Kniff, beide Zeitbereiche zu betrachten, lässt Lasker-Berlin in ihrem Stück eine Chronistin beim Aktenstudium auf die Vorfälle stoßen und davon berichten, gleichzeitig aus heutiger Sicht auf die historischen Vorkommnisse blicken. „Man sieht ihr quasi beim Fühlen und Denken zu“, sagt die Autorin, „sie ist aber keine neutrale Betrachterin, sondern in ihrer Einschätzung der Dinge durchaus ambivalent, aber auch reflektierend.“ Zunächst sind die historischen Personen noch nahezu unbekannt, gewinnen aber im Verlauf mehr und mehr an Profil, nehmen einen stärkeren Anteil im Geschehen ein, werden „mächtiger“. Vor allem in Verbindung mit Hexenverfolgung um betroffene Frauen, was wieder einen Bogen ins Heute anbietet, da Gewalt gegenüber Frauen noch immer einen sehr hohen Anteil einnimmt.
Collagenhaft möchte die Autorin die einzelnen Szenen zusammenführen, sich dabei an den drei großen Hexenprozess-Wellen orientieren. Wie es dazu gekommen sein könnte, sieht die Autorin als wichtigen Ausgangsgedanken an. Klimatische Veränderungen und Kälteeinbrüche führten zu einer großen Krise. Es folgten „Jahre ohne Sommer“, darauf bezieht sich auch der Titel, bekannt auch unter der Bezeichnung „Kleine Eiszeit“ folgten europaweit, was zu Ernteausfällen, Hungersnöten und sozialer Unsicherheit führte. Ein Schuldiger, besser eine Schuldige, musste gefunden werden. Wer nicht ins System, gesellschaftlich wie kirchlich passte, stand ganz oben auf die Liste. Auch heute gibt es Krisen und die Fragen nach Schuldigen. Wer anders oder fremd ist, läuft mehr Gefahr, in den Kreis verleumdeter oder gehasster Personen zu geraten. Strukturen, die so etwas überhaupt möglich machen könnten, will Amanda Lasker-Berlin mit ihrem Theaterstück sichtbar machen, parallel einen Spiegel auf die Gegenwart legen und bestenfalls das Publikum zum Nachdenken anregen.
Informationen zum Stück gibt es auf www.theater.bamberg.de.