Wer zum ersten Mal vor dem Neuen Museum Nürnberg steht, der wird aus dem Staunen nicht herauskommen. Zu eindrucksvoll ist das von Volker Staab geplante Gebäude am Nürnberger Klarissenplatz, das den Besucher mit einer schier endlosen Glasfassade begrüßt. War es im Jahr 2000 noch ein Mann (Lucius Grisebach), der den Post des Gründungsdirektors begleiten durfte, folgten ihm seitdem nur noch Frauen auf dem Chefsessel. Von 2007 bis 2014 war es Dr. Angelika Nollert und von 2014 bis 2020 Dr. Eva-Christina Kraus, die die Gesamtverantwortung für das „Neue Museum – Staatliches Museum für Kunst und Design in Nürnberg“ (NMN), wie es offiziell betitelt ist, innehatten. Nach dem Wechsel von Eva Kraus an die Bundeskunsthalle Bonn musste also ein(e) neue(r) Chef(in) gefunden werden und im Rahmen des Auswahlverfahrens setzte sich letztlich Dr. Simone Schimpf durch. „Ein großer Gewinn für die staatlichen Museen in Bayern…“ nannte Staatsminister Sibler Simone Schimpf bei der Entscheidungsverkündung und wir waren neugierig, diesen „Gewinn“ persönlich kennenzulernen.
Dr. Simone Schimpf
Ich bin jetzt im Museum richtig angekommen, habe sehr viele Gespräche geführt, mir einen Überblick darüber verschafft, wie es im Haus und in der Stadt läuft. Für die Stadt braucht es aber noch mehr Zeit, um da richtig reinzukommen. Die ersten Vernetzungen stehen schon und als Haus sind wir ohnehin sehr eng in den Kulturbetrieb eingebunden. Und jetzt haben wir schon damit begonnen die Jahresplanung für 2022 aufzustellen und prüfen gerade, wo noch Regulierungsbedarf besteht.
Dr. Simone Schimpf
Nein, einen konkreten Plan hatte ich nicht. Allerdings wusste ich schon mit wem ich reden will, wenn ich die Leitung des Neuen Museums Nürnberg übernommen habe. Da stand an erster Stelle das Team und danach unsere engsten Partner wie zum Beispiel die Museumsinitiative Nürnberg, andere Förderer:innen und Sammler:innen und alle, die eng mit dem Museum verbunden sind. Mein Ziel war, durch die Gespräche zu erfahren, wo die anderen vielleicht Handlungsbedarf sehen, bevor ich komme und Ansagen mache. Für mich ist es wichtiger sich erst einmal briefen zu lassen und sich selbst einen Eindruck zu verschaffen, anstatt eine Agenda auf den Tisch zu legen, die dann hinterher nicht passt.
Dr. Simone Schimpf
Also begeistert haben mich das Haus durch seine Architektur und seine Lebendigkeit und natürlich auch das Team durch seine Dynamik schon seit vielen Jahren.
Der Handlungsbedarf wird uns derzeit eher von außen durch die Pandemie auferlegt, in der wir uns ständig fragen müssen, wie wir jetzt weitermachen und wie wir unsere Veranstaltungen aufstellen. Und wir müssen eventuell auch überlegen, welche Zielgruppen können wir noch besser erreichen, wie können wir mehr Publikum ansprechen und diese Ansprache auch noch präziser gestalten. Den Führungswechsel wollen wir als Chance nehmen und tatsächlich in eine Besucher:innenbefragung einsteigen, um zu erfahren, wo wir stehen, wen wir als Besucher:innen schon „haben“ und wen wir zukünftig noch wollen. Diese Präzisierung halte ich unbedingt für notwendig. Natürlich sind wir ein „Museum für Alle“ und natürlich sind auch „Alle“ willkommen, aber wir müssen uns schon aufgrund der finanziellen und personellen Ressourcen fragen, was denn die Zielgruppe für ein Museum für zeitgenössische Kunst ist und wo unsere blinden Flecken sind. Da sehe ich Handlungsbedarf.
Dr. Simone Schimpf
Das ist schon sehr allgemein formuliert, aber es stimmt tatsächlich. Insofern also keine Dienstanweisung. Und weil es so allgemein gehalten ist, bedarf es einer Konkretisierung. Genau schauen, welches Publikum wir haben und was für Nürnberg und die Region wichtig ist. Ich denke immer gerne vom Standort aus und muss das aus dieser Sicht heraus präzisieren. Klar sprechen alle von Digitalisierung und haben auch durch Corona digitale Formate gelernt, aber jetzt geht es darum zu überprüfen, was wir wie weiterführen. Sicher wird es weiterhin digitale Formate geben, aber in erster Linie geht es für mich darum, Menschen wieder in das Museum zu holen. Auch weil ich davon überzeugt bin, dass wir solche öffentlichen Kunsthäuser in unserer Gesellschaft brauchen. Bei dem Schlagwort Partizipation geht es für mich darum, etwas über die Bedürfnisse der Menschen zu erfahren und daraus zu lernen und auch noch etwas in das Thema „Kinder / Familie“ zu investieren. Da sind wir zwar schon stark, aber da kann man immer noch mehr machen, gerade was unterschiedliche soziale Gruppen anbelangt.
Dr. Simone Schimpf
Der Abschied war schon eine sehr emotionale Angelegenheit. Ich hinterlasse dort einen großen Freundeskreis und ein Netzwerk, mit dem man sicher verbunden bleibt.
Das Haus mitten im Neubauprozess, der ja auch meine Handschrift trägt, zu verlassen, war auch sehr schwierig. Aber zum Glück habe ich mit meiner damaligen Vertreterin, Dr. Theres Rohde, sehr eng zusammengearbeitet, so dass unsere gemeinsam erarbeiteten Gedanken nun fortgeführt werden. Theres Rohde hat nach mir die Leitung des MKK in Ingolstadt übernommen, was mich sehr freut.
Dr. Simone Schimpf
Das stimmt. Das macht man fest an den Besucher:innen und wo sie herkommen, am Feedback der Kolleg:innen und der Fachpresse. Das sind Indikatoren, an denen wir das bemessen können. Als Beispiel könnte man den von der Genshagen-Stiftung initiierten deutsch-polnischen Museumsdialog bemühen. Da sind sechs deutsche Museen angefragt und bei diesen sechs Museen sind wir dabei. Wen die bundesweit auswählen, das ist auch ein Indikator. In Bayern sind wir das einzige Museum, das angefragt wurde. Wir werden offensichtlich als wichtige Institution wahrgenommen.
Dr. Simone Schimpf
Nein, diese Gefahr besteht nicht. Das ist uns wichtig und das spiegelt ja auch unsere Sammlung wider. Wir eröffnen im November eine Ausstellung zu Bernd Klötzer, einem wichtigen Nürnberger Künstler. Der feiert in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag und da war es für uns selbstverständlich, dass wir ihm im Neuen Museum Nürnberg einen Raum einrichten und ihn damit gebührend feiern.
Und natürlich können wir durch die Zusammenarbeit mit der Akademie für Bildende Künste auch immer wieder junge Künstler:innen präsentieren.
Dr. Simone Schimpf
Ich höre das und habe natürlich auch schon Kontakte in die Stadt, aber wir sind zum einen kein städtisches Haus, womit mir der Zugriff auf das Kulturamt fehlt, und darüber hinaus bin ich einfach noch zu kurz hier, um da aktiv zu sein.
Eva Martin
Soweit es in unseren Möglichkeiten steht, versuchen wir das natürlich mitzubegleiten. Mit unserer Vernetzungsplattform „Creative Monday“ bringen wir Künstler:innen und Stadtverwaltung an einen Tisch, damit ein direkter Austausch stattfinden kann. Außerdem gab es im Rahmen der Kulturhauptstadtbewerbung mehrteilige Prozesse zum Thema „Entwicklung der Kongresshalle“ die von mir als Vertreterin des neuen Museum Nürnberg moderiert wurde. Und in dieser Arbeitsgruppe wurde auch geplant, die Kongresshalle tortenstückartig für die freie Szene zu nutzen.
Dr. Simone Schimpf
Natürlich habe ich mitgefiebert, aber letztlich muss man es sportlich nehmen. Ich glaube auch, dass es ein wichtiges, politisches Signal ist, dass Chemnitz diesen Wettbewerb für sich entscheiden konnte. Wir stehen in engem Kontakt mit dem dortigen Haus und wissen, dass es einen starken rechten Druck auf die dortige Kulturszene gibt. Insofern ist es wichtig und richtig, die dort handelnden Personen zu stärken. Wir möchten auch gerne Solidarität zeigen und planen für 2022 eine gemeinsame Ausstellung.
Dr. Simone Schimpf
Für Januar habe ich ein Sammlerehepaar aus München eingeladen, das die Fassadenräume mit seiner Privatsammlung bespielen wird. Und im Sommer werde ich eine Einzelausstellung einer jungen Künstlerin begleiten. Mir ist aber wichtig zu betonen, dass hier im Haus alles vom Team getragen wird, insofern ist das mit der „Handschrift“ so eine Sache.
Dr. Simone Schimpf
Das verträgt sich vor allem aus dem Gesichtspunkt der Vermittlung. Man kann Atelierbesuche und Künstler:innengespräche digital aufziehen und plötzlich hat man da ein ganz anderes Publikum. Das Angebot wurde sogar bundesweit genutzt. Natürlich leben wir davon, dass die Menschen sich die Kunst vor Ort anschauen, aber solche Dinge wie Künstler:innengespräche, die gehen auch sehr gut digital und fördern auch den Aspekt der Nachhaltigkeit.
Dr. Simone Schimpf
Unbedingt. Wir können da aber auch noch stärker werden. Wir hatten zwar schon klassische Medienkunst bei uns im Haus, aber noch nicht so stark. Da wollen wir noch zulegen, wobei das auch eine Kostenfrage ist, weil die Medienkunst meistens teurer ist als eine klassische Ausstellung.
Dr. Simone Schimpf
Ich weiß es nicht. Tatsächlich habe ich mich damit noch nicht so intensiv beschäftigt. Ein Anfang könnte sein, sich mal einen Experten oder eine Expertin zu diesem Thema zu holen, um eine Diskussion rund um dieses Spektrum zu veranstalten. In der Tat ist es spannend was da passiert und wie viel Geld da fließt. Tatsächlich ist das Prinzip nicht völlig neu. In den 1960er Jahren entstand die Konzeptkunst und für viel Geld wurde ein Zertifikat mit einer Handlungsanweisung verkauft und alle haben sich gewundert. Nun hat sich das konsequent im Digitalen weiterentwickelt.
Dr. Simone Schimpf
Kunst und Wert ist immer ein schwieriges Thema, da hat der Kunstmarkt seine eigene Logik bzw. Dynamik. Qualität kann auch durch ein Konzept begründet werden und da ist die Einzigartigkeit nicht das einzige Kriterium. Es gibt auch in der Kunst Auflagenobjekte. Beim Thema Ankauf dieser Kunstwerke wäre ich erst einmal zurückhaltend und würde schauen, was beispielsweise das ZKM (Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, Anm. d. Red.) damit macht. Denn tatsächlich stellen sich auch viele praktische Fragen, wenn ein Museum digitale Kunst über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte aufbewahren soll. Da braucht es viel digitale Expertise.
Dr. Simone Schimpf
Ich möchte das Haus gerne als öffentlichen Platz definieren, aber es wird sicherlich nicht jeder kommen. Trotzdem glaube ich, dass das Museum nochmal transparenter sein kann, den Menschen die Möglichkeit geben kann Kunst zu sehen, ohne das Haus zu betreten. Bei uns könnte man dazu die Fassade oder auch den Vorplatz nutzen. Ein Schaufenster zur Stadt generieren, womit ich alle erreiche, die daran vorbeilaufen. Ich bin sicherlich nicht so naiv zu glauben, dass wir alle Menschen ins Haus holen können. Aber ich sehe noch Luft nach oben, denke dass wir noch mehr Menschen ansprechen können. Die Kommunikation mit den potenziellen Besuchern und die Vermittlung der Kunst selbst werden wichtige Faktoren sein, um das museale Angebot niederschwelliger erscheinen zu lassen. Ein Prozess, der sicher noch dauern wird.
Dr. Simone Schimpf
Meine „Visionen“ gehen schon sehr stark in Richtung Besucher:innen. Bei unserer ersten Ausstellungseröffnung (Keith Sonnier) unter 3G-Regeln fiel mir auf, dass die Aufenthaltsqualität für die Besucher:innen und die Verweildauer der Besucher:innen im Haus verbesserungswürdig waren. In solch einem Kontext wäre es beispielsweise eine Vision von mir, dass wir bei so einem Anlass ein wirklich offenes Haus sind. Jeder kann kommen und wird nicht mit einem schweren kunstgeschichtlichen Vortrag konfrontiert, sondern hört eine leichte, unterhaltsame Einführung zu einer Ausstellung, kann sich neue Kunst anschauen, trifft andere Menschen, trinkt ein Glas Wein, hört vielleicht nette Musik und hat einen schönen Abend. Das wäre für mich ein echtes Ziel, für solche Events eine größere Akzeptanz zu finden. Besucher:innen sollen nicht im Vorfeld fragen müssen, ob man zu einer Ausstellungseröffnung kommen darf, sondern es als Selbstverständlichkeit ansehen, dass man hingehen kann, wenn man denn will. Das Museum soll als Veranstaltungsort, als Treffpunkt wahrgenommen werden, an dem man sich wohlfühlt und an dem man verweilen möchte. Da gibt es viele kleine Stellschrauben, um die man sich kümmern muss.
Dr. Simone Schimpf
Die nächste große Geschichte ist die Ausstellung nach Keith Sonnier, Evelyn Hofer. Hofer war eine deutsche Auswanderin, die sich in New York mit dem Maler Richard Lindner befreundete. Lindner wiederum, der in seiner Kindheit und Jugend in Nürnberg wohnte, war vor den Nationalsozialisten nach Amerika geflohen. Evelyn Hofer porträtierte Lindner regelmäßig. Eine großartige Geschichte aus dem New York der 60er Jahre, die richtig Laune macht. Da werden wir große Fototapeten sehen und opulent die New York Geschichte von Lindner und Hofer erzählen.
Danach kommt eine Ausstellung zu Henrike Naumann, einer Berliner Künstlerin, die sich sehr stark mit der Nürnberger Geschichte auseinandersetzt, sowohl mit den Reichsparteitagen als auch mit dem NSU (Nationalsozialistischer Untergrund, Anm. d. Red.).
Frau Dr. Schimpf, wir bedanken uns für das Gespräch.
Zur Person von Dr. Simone Schimpf:
geboren 1973 in Darmstadt
1992 Abitur in Darmstadt
Von 1993 bis 1998 Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Mainz, Dijon und Freiburg
2004 Promotion als Kunsthistorikerin
2006 – 2013 Kuratorin für Kunst nach 1945 im Kunstmuseum Stuttgart (davon 2009 – 2013 stellvertretende Direktorin)
2013 – 2021 Leiterin des Museums für Konkrete Kunst (MKK) in Ingolstadt
Seit 1. Juli 2021 Leiterin Neues Museum Nürnberg (NMN), Staatliches Museum für Kunst und Design in Nürnberg