Es ist eine der schönsten Illusionen, deren man sich hingeben mag: die Hoffnung bzw. die Vorstellung, dass Menschen, die einander unversöhnlich im Hass verbunden sind, am Ende doch ein Einsehen haben und versuchen, zu einem Miteinander zu finden. Genau diese Illusion ist den Protagonistinnen in Friedrich Schillers Drama „Maria Stuart“ verwehrt, denn sie steuern in jener antagonistischen Zuspitzung, die ihnen im Original zubereitet wurde, unvermeidlich auf den bekannten letalen Ausgang zu.
Könnte man das, obgleich textwidrig, nicht anders machen?, fragt Philipp Arnold, der das Stück in seiner eigenen Version am ETA-Hoffmann-Theater vorstellte. Wer auch nur einen kurzen Blick in das Programmheft geworfen hat, weiß nach der Lektüre von Petra Schillers Einführungstext, dass am Ende ein lieto fine, neudeutsch ein Happy End, auf das Publikum warten wird. Das schürt Erwartungen, die freilich schon aus dramaturgischen Gründen eine Weile enttäuscht werden müssen.
Das Drama nimmt nämlich seinen gewohnten Lauf, und spätestens wenn Maria zur ultimativen Erniedrigung Elisabeths ausholt, indem sie ihre Version von deren Abstammung hinausschreit, weiß man: das war’s, und zwar unwiderruflich. Bis dahin hat Philipp Arnold eine fast konventionell wirkende Inszenierung präsentiert, in der die Schauspieltruppe des Theaters den Schillerschen Text so üblich wie angemessen deklamiert. Allerdings werden die Szenen auf ungewöhnliche Weise aufgefächert, ja quasi kommentiert.
Das geschieht durch die Einbeziehung von Regieanweisungen in den Text einerseits sowie Doppelungen und echoartige Wiederholungen andererseits. Dem Original nimmt das die unmittelbare Strenge und Unerbittlichkeit, ohne ihn inhaltlich zu relativieren, fügt aber ein dramaturgisch interessantes und kurzweiliges Element hinzu. Wenn Ewa Rataj als Maria in verbindlichem Ton zu einem „Friedensangebot“ anhebt, könnte man meinen, nun werde tatsächlich der Weg zu einer neuen Version des Dramas eingeschlagen, doch das erweist sich als Fehlalarm.
Die versprochene „Möglichkeit, in einem Miteinander zu leben anstatt sich dem eigenen Hass zu ergeben“, wird vertagt auf’s Ende und verkümmert so zu einer reinen Behauptung. Allerdings einer sympathischen, denn die finale „Verschwesterung“ von Elisabeth und Maria, die nach einem langen überschwänglichen Dialog sogar im gemeinsamen Tanz kulminiert, wirkt angesichts der zuvor erlebten Verhärtung der Hauptfiguren wie eine Befreiung.
Das kann man für naiv halten, vielleicht auch für utopisch oder gar visionär, aber es muss Teil der Vorstellungswelt bleiben dürfen, denn sonst wäre die Menschheit nur noch auf die schiere Verzweiflung zurückgeworfen. Ob Philipp Arnold dabei auch an die politische Situation gedacht hat, an die letztlich auch auf Männerhass zurückgehenden aktuellen Antagonismen wie Hamas/Israel oder Russland/Ukraine? Es wäre berechtigt, denn Maria und Elisabeth stehen ja auch für staatliches Handeln.
Unabhängig von der Beurteilung des gütlichen Finales dieser Textversion – die in den Postpremierengesprächen zwischen „völlig unpassend“ und „total überzeugend“ oszillierte – ist dem Schauspielensemble des ETA-Hoffmann-Theaters einmal mehr eine in allen Details schlüssige Darstellung zu bescheinigen. Die drei Adligen (Daniel Seniuk, Marek Egert und Jeremias Beckford) sowie Leon Tölle als Mortimer überzeugen durch ihren szenischen Witz, während sich die beiden Protagonistinnen in Beherrschtheit üben.
Alina Rank als Elisabeth und die schon erwähnte Ewa Rataj als Maria vermeiden ein Übermaß an Affekten und halten schon dadurch die Hoffnung am Leben, dass die schöne Illusion Wahrheit werden könnte. Man geht am Ende gut gelaunt und durchaus belehrt aus dieser Vorstellung, obwohl Arnolds Finalvariante aus dem Drama gewiss keine Komödie machen kann. Wird da eine Neudeutung beansprucht? Wohl kaum, sprechen wir lieber von einem Denkanstoß.