Der Einstand ist gelungen, keine Frage: Jens Daniel Herzog hat zum Auftakt seiner Amtszeit als neuer Staatsintendant in Nürnberg einen wahren Premierenreigen präsentiert und gleich zweimal selbst zum Regiestab gegriffen. Eine aufwändige und selten gespielte Prokofjew-Oper („Krieg und Frieden“), ein Musical („Catch me if you can“), eine zeitgenössische Oper („Anna Nicole“), eine Barockoper (Händels „Xerxes“), eine Operette (Paul Abrahams „Ball im Savoy“) und ein Mozart-Klassiker („Cosí fan tutte“) stehen bislang allein im Bereich Musiktheater zu Buche; ganz zu Schweigen vom Schauspiel, das unter der neuen Leitung von Jan Philipp Gloger gleich zu Saisonbeginn mit einem Feuerwerk von Neuinszenierungen aufwartete.
Wer glaubte, dass es nach der so erfolgreichen Intendanzjahre Peter Theilers und dem noch längeren Wirken Kurt Kusenbergs als Schauspieldirektor für die Nachfolger schwierig sein könnte, das erreichte Niveau zu halten oder gar zu übertreffen, sieht sich schon jetzt angenehm enttäuscht. Die beiden Neuen machen manches anders, aber sie scheinen schon jetzt Garanten dafür zu sein, dass Nürnberg ein Hotspot des Theaters bleibt. Nicht zu vergessen, dass der erfolgreiche Ballettchef Goyo Montero geblieben ist und mit seinem Tanztheater-
ensemble für Kontinuität sorgen wird. Und was die Musik betrifft, so lässt sich jetzt schon sagen, dass mit der neuen Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz eine würdige Nachfolgerin für Marcus Bosch gefunden wurde.
Nun also Jens Daniel Herzog als neuer Intendant, und zwar als einer, der seine eigene künstlerische Handschrift als Regisseur nicht verstecken wird, sowohl in Nürnberg wie auch andernorts an prominenten Häusern. Wer seine bisherigen Regietaten Revue passieren lässt, kann das Interesse an einem sehr breiten Repertoire feststellen, das zunächst beim Schauspiel lag (während seiner Mannheimer Jahre) und sich dann mehr und mehr in Richtung des Musiktheaters verlagerte. Stilistisch hat er während seiner Zeit als Dortmunder Opernchef alle wesentlichen Epochen des Musiktheaters von Monteverdi bis zur Spätromantik berücksichtigt und hat sich bezüglich der Gattungen mittlerweile auch an das (besonders schwierige!) Operettengenre gewagt.
Jens Daniel Herzog ist familiär vorbelastet, denn er kommt aus einer Schauspielerfamilie. Nach einem Philosophiestudium an der Freien Universität Berlin ging er 1990 als Regieassistent an die Münchner Kammerspiele und arbeitete dort mit Dieter Dorn zusammen. Hier realisierte er 1993 auch seine Debütinszenierung mit der Uraufführung von Marlene Streeruwitz’ Stück „New York, New York“. Diese Arbeit wurde prompt zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. 1994 folgten Simone Schneiders „Die Nationalgardisten“ und „Die Nacht kurz vor den Wäldern“ von Bernard-Marie Koltès. In den folgenden Jahren avancierte er zum Spielleiter und festen Regisseur an den Kammerspielen.
Gastinszenierungen führten ihn bald an renommierte Häuser wie das Hamburger Thalia-Theater, das Wiener Burgtheater, das Schauspiel Frankfurt und das Schauspielhaus Zürich; seine dortige Inszenierung von David Mamets „Oleanna“ war beim Berliner Theatertreffen zu sehen. Ebenfalls in Zürich fand Herzog erstmals zur Oper, zunächst mit einer Inszenierung von Richard Wagners „Tannhäuser“, die auch als DVD erschien, dann mit Peter Tschaikowskis „Pique Dame“. Von 2000 bis 2006 war er Schauspieldirektor am Nationaltheater Mannheim, wo er auch die Mozart-Opern „Così fan tutte“ und „Die Entführung aus dem Serail“ sowie Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ inszenierte.
In den folgenden Jahren widmete sich Herzog vorrangig der Opernregie und gastierte u.a. am Staatstheater Mainz, an der Hamburgischen Staatsoper, am Staatstheater Nürnberg und am Koreanischen Nationaltheater in Seoul. Eine Produktion von Georg Friedrich Händels Oper „Rinaldo“ am Opernhaus Zürich (unter der musikalischen Leitung William Christies) wurde auf DVD aufgenommen. Dort inszenierte er 2008 auch „Intermezzo“, die „Bürgerliche Komödie“ von Richard Strauss. Es folgte 2009 mit Händels „Giulio Cesare in Egitto“ die erste Arbeit für die Dresdner Semperoper. Am Frankfurter Opernhaus inszenierte Herzog Wagners „Lohengrin“ und Giuseppe Verdis „Les vèpres siciliennes“. Inszenierungen in der Schauspielsparte entstanden am Bayerischen Staatsschauspiel München und am Badischen Staatstheater Karlsruhe.
Ab Herbst 2011 war Jens Daniel Herzog Intendant am Dortmunder Opernhaus. Dort inszenierte er Wagners „Der fliegende Holländer“ und „Tristan und Isolde“, Claudio Monteverdis „Die Krönung der Poppea“ und brachte Felix Mendelssohn-Bartholdys Oratorium „Elias“ in einer szenischen Fassung auf die Bühne. Sein Spielplan umfasste Stücke vom Frühbarock bis zum Musiktheater des 21. Jahrhunderts sowie aufwändige Musical- und Operettenproduktionen. Neben seinem Engagement in Dortmund arbeitete er weiterhin als freischaffender Regisseur an mehreren Opernhäusern, u.a. in Genf und Wien. Die Salzburger Festspiele eröffnete er 2012 mit Mozarts „Die Zauberflöte“ unter dem Dirigat von Nikolaus Harnoncourt. Die Ernennung zum Staatsintendanten in Nürnberg erfolgte 2016.
Art5drei stellte Jens Daniel Herzog Fragen zu seinen bisherigen Eindrücken vom neuen Wirkungsort, seinen künstlerischen Neigungen, seinem Regiestil und seinen Plänen.
Herr Herzog, mehrere vom Publikum umjubelte und auch von der Kritik begrüßte Inszenierungen sowie zwei eigene Regietaten mit einhelliger Zustimmung sind die vorläufige Bilanz Ihrer neuen Intendantenrolle in Nürnberg. Fühlen Sie sich verstanden und angekommen in der Noris?
Es macht großen Spaß, für Nürnberg Theater zu machen! Ich erlebe das Publikum hier als anspruchsvoll und begeisterungsfähig. Sicher wird auch mit Kritik nicht gespart, aber das beweist, dass die Leute aufmerksam sind und sich viel von ihrem Theater erwarten. Die Beziehung zwischen Publikum und Theatermachern muss wachsen, das kriegt man nicht mit einem Fingerschnippen hin. Einen sehr guten Anfang haben wir jedenfalls gemacht!
Die umfangreiche Liste Ihrer eigenen Inszenierungen und der Spielplan, den Sie zu Ihrem Amtsantritt in Nürnberg präsentiert haben, lassen auf eine große Bandbreite Ihrer Interessen schließen. Eigentlich vom Schauspiel her kommend, haben Sie sich zunehmend auf die Opernsparte fokussiert. Wenn Sie frei – also ohne Rücksichtnahme auf Programmimperative – über Ihre Aktivitäten entscheiden könnten, wo lägen Ihre Affinitäten?
Natürlich bin ich sehr neugierig auf neue Stücke und auf solche, die lange nicht zu sehen waren oder selten gespielt werden. Ich denke, das geht allen so, die sich professionell mit Oper beschäftigen. In meinen Jahren als Regisseur am Zürcher Opernhaus war ich abonniert auf das Entlegene und Außergewöhnliche, das hat mir viel Spaß gemacht. Als Intendant muss ich auf einen ausgewogenen Spielplan achten. Es ist das gute Recht der Zuschauer, auf den Repertoire-Klassikern zu bestehen. Ich denke, es kommt immer auf eine gute Mischung an. Die großen Opern-Klassiker sind ja nicht ohne Grund so berühmt geworden. Ich versuche immer, sie so anzuschauen, als hätte ich sie noch nie gesehen.
Wie würden Sie Ihren eigenen Regiestil charakterisieren, was sind Ihre Motivationen und Ziel?
Ich bin überzeugt, dass die klassischen Werke der Oper zu ihrer Zeit radikal waren und an Grenzen gegangen sind. Heute merken wir das nicht mehr so leicht, weil wir sie kanonisiert und uns an sie gewöhnt haben. Ich möchte in meinen Inszenierungen ihre ursprüngliche Kraft wiederfinden. Sicher, Oper ist schön, aber nicht nur: Es geht da meistens um Verrat, Gewalt, scheiternde Liebe und politische Intrigen. Sich da einfach zurückzulehnen und der herrlichen Musik zuzuhören, kommt für mich nicht infrage. Ich will, dass man sieht, was auf dem Spiel steht.
Sie werden auch in Zukunft nicht nur in Nürnberg, sondern auch andernorts inszenieren. Wie stehen Sie zur Doppelrolle Intendant/Regisseur?
Regie führende Intendanten, die früher eine Selbstverständlichkeit waren, gibt es inzwischen immer seltener. Das ist eine logische Folge davon, dass die Arbeit des Intendanten immer aufwendiger wird: Die administrativen und repräsentativen Pflichten nehmen zu, die Pflege der Rahmenbedingungen der Kunst und der politischen Landschaft nimmt immer mehr Zeit in Anspruch. Trotzdem glaube ich, dass es gut für ein Theater ist, wenn der Intendant auch im Maschinenraum der Kunst unterwegs ist. Vielleicht fehlt er dann mal bei einer Sitzung, aber der tägliche unmittelbare Kontakt mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf und hinter der Bühne macht das mehr als wett.
Der Operette haben Sie sich erst relativ spät mit einer eigenen Inszenierung zugewandt, und zwar in Franz Lehárs „Der Graf von Luxemburg“ an der Deutschen Oper am Rhein. In Nürnberg haben Sie Paul Abrahams „Ball im Savoy“ auf die Bühne bringen lassen und damit eine sehr positive Resonanz erreicht. Die Gattung ist zurzeit sehr en vogue – man entdeckt Vergessenes wieder und inszeniert Bekanntes neu. Welche Chancen bzw. Potenziale sehen Sie im Operettengenre bzw. seinem Patenkind, dem Musical?
„Der Graf von Luxemburg“ war für mich eine sehr wichtige Inszenierung, auch weil ich da mit einem Ausnahme-Sängerdarsteller wie Bo Skovhus arbeiten durfte. Ich habe die Operette in den letzten Jahren für mich entdeckt und erst richtig verstanden, wie subversiv diese Gattung ist, wie sie das Leben mit allen seinen Untiefen feiert und wie viel Humor gerade in den Werken der 20er und 30er Jahre steckt. Wir werden diesen Weg in Nürnberg auf jeden Fall weitergehen! Das Musical ist für mich das Musiktheater unserer Zeit und gehört unbedingt zum Spielplan eines Opernhauses. Unterhaltung auf hohem Niveau ist eine große Kunst. Wenn ich im Zuschauerraum sitze und merke, dass 1000 Menschen richtig Spaß haben, ist das einfach ein tolles Gefühl.
Wir bedanken uns bei Daniel Herzog für dieses interessante Gespräch.
Copyright Fotos:
Jens-Daniel Herzog, Staatsintendant,Operndirektor am StaatstheaterNürnberg © Philip Lethen
StaatstheaterNürnberg, Opernhaus © Staatstheater Nürnberg