Auftakt im Opernhaus Halle
Wie kann es sein, dass ein Glanzstück aus Georg Friedrich Händels Opernschaffen zugleich eine Rarität ist? Für die Saison 1736/37 am königlichen Theater Covent Garden in London widmete sich Händel der historisch belegten Geschichte um die ägyptische Königin Kleopatra Berenike III., die aufgrund machtpolitischer Interessen Roms in Kleinasien mit ihrem römisch assimilierten Stiefsohn verheiratet worden sein soll. Ein solcher Stoff bietet natürlich beste Startbedingungen für einen Plot voller Irrtümer, Missverständnisse, Rachegelüste, Macht- und Liebesspiele. Die „Berenice“ war der letzte musiktheatralische Edelstein, der noch nicht in Halle geschliffen wurde. Nun aber ist das Ziel erreicht: Alle 42 Opern Händels wurden bei den Hallenser Händel-Festspielen zur Aufführung gebracht!
Diese wurden Ende Mai mit der „Berenice“ im dortigen Opernhaus eröffnet und das in einer Inszenierung, die zeigte, dass Regietheater nicht unbedingt Regisseurstheater heißen muss. Jochen Biganzoli erzählt die Geschichte zeitgemäß, aber übertüncht sie nicht. Da öffnet sich zu Beginn ein glitzernder Lametta-Vorhang und gibt den Blick frei auf das fast ständig sich bewegende Drehbühnen-Karussell, dessen Türen und Durchgänge den Darstellern einige Bewegungsakrobatik abverlangen. Optisch wird ein mediales Feuerwerk präsentiert, das aufgrund seiner Vielfalt überrumpelt. Es wird getwittert und gechattet, SMS und Hashtags flimmern über die Monitore und die Sänger sind im permanenten Selfie-Rausch. Natürlich ist das recht ironisch gemeint und bedeutet den Zuschauern von der ersten Minute an: Diese Inszenierung ist im Hier und Heute angesiedelt.
Wer nun meinen könnte, hier entgleise einmal mehr der Regietheater-Wahn, sieht sich schnell eines Besseren belehrt, denn das Ganze wirkt trotz seiner chronischen Überreiztheit sehr stimmig. Wenn z.B. eine Da-Capo-Arie in die Kamera gesungen wird (inklusive Live-Übertragung), dann übersetzt das die Eitelkeit der Stars aus der Händelzeit in das heutige Gebaren von Reality Stars, Influencern und sonstigen medialen Wichtigtuern. Das geradezu rasende Zappen durch Bilder, Übertitel oder eingeblendete Nachrichten mag bisweilen des Guten zuviel sein, aber es begleitet eine Inszenierung, die ihrerseits voller Rasanz ist. Und voller witziger Einfälle: das Handyklingeln wird vom Cembalo täuschend ähnlich nachgeäfft, der Schlussapplaus erklingt zunächst – das Publikum fast hämisch zum Narren haltend – vom Band.
Zuvor gibt es eine eher rührende Einlage, wenn die Protagonistin (Romelia Lichtenstein als Berenice) in den Orchestergraben hinunter steigt und ihre oboenbegleitete Schlussarie als Rendezvous mit dem Holzbläser der Staatskapelle Halle zelebriert. Die musizierte übrigens unter der Leitung Jörg Halubeks stilgerecht in historisch informierter Aufführungsweise. Die Sängerbesetzung darf man als durchwegs famos bezeichnen, gleichwohl ragte aus dem Ensemble mit Samuel Marino (als Alessandro) ein männlicher Sopran heraus, der dem sichtlich begeisterten Publikum eine Sternstunde des Händelgesangs bescherte. Dieser Südamerikaner, Anfang zwanzig und bar jeglicher Bühnenerfahrung, ist quasi vom Himmel gefallen, ein Naturtalent!
Ausflug nach Bad Lauchstädt
Die zweite Opernpremiere der Händel-Festspiele ist traditionsgemäß dem kleinen Goethe-Theater in Bad Lauchstädt vorbehalten. Als Kontrastprogramm zur zeitgenössischen und zeitgemäßen Interpretation im Hallenser Stammhaus wird hier der historische oder zumindest historisierende Interpretations- und Inszenierungsstil bevorzugt. Dafür ist Sigrid t’Hooft eine anerkannte Spezialistin. Sie ließ den Ausstatter Niels Badenhop für die 1734 uraufgeführte Serenata „Parnasso in festa“ eine opulente Kostümpracht entfalten. Dem Stück liegt keine Handlung im herkömmlichen Sinne zugrunde, vielmehr tauschen sich die auftretenden Götter, Halbgötter, Musen, Nymphen, Faune und Hirten über diverse Befindlichkeiten aus, die es der Musik ermöglichen, eine Vielfalt von Stimmungen, Gefühlen und Affekten auszudrücken.
Die Hauptpersonen sind Apoll und Orpheus (fabelhaft: der hohe Countertenor Riccardo Angelo Strano und die Sopranistin Margriet Buchberger). Sie werden von den drei Musen der Epik, der Lyrik und der Geschichtsschreibung begleitet, die mit Julia Böhme als Calliope (welch sonorer Alt!), Hanna Herfurtner als Clio (mit leuchtendem Sopran) und Aurélie Franck als Euterpe (mit schön timbriertem Mezzo) ebenfalls exzellent besetzt sind. Die Berliner Lautten Compagney unter Wolfgang Katschners Leitung steuert ein famoses Klangbild bei, das von der direkten Akustik des historischen (und innen bereits umsichtig restaurierten) Theaterraumes sehr vorteilhaft unterstützt wird. Hier glänzt der Barock!
Fotocredits:
Parnasso in festa, Fotos © Marcus Lieberenz