Schaut man auf den Titel der Gluck-Festspiele 2019, die von Ende Juni bis Mitte Juli für die Metropolregion Nürnberg einen markanten kulturellen Höhepunkt bedeuten wird, so darf man angesichts der Wortwahl durchaus einen politischen Hintersinn vermuten. „Neue Klänge für Europa“ lautet die Devise, und man ist geneigt zu glauben, dass der alte Kontinent auch in politischer Hinsicht mitgemeint ist, denn er könnte ja aktuell ebenso gut eine neue Dynamik gebrauchen wie das Musikleben im 18. Jahrhundert. Das bedurfte nämlich nach seiner barocken Erstarrung des genialen Reformers Christoph Willibald Gluck, um sich weiter entwickeln und den Weg zum modernen Musiktheater öffnen zu können. Nach Claudio Monteverdi, dem „Urknall“ der Operngeschichte, war es Gluck, der dieser Gattung völlig neue Impulse und eine ganz andere Ausdruckskraft vermittelt hat.
Im Gefolge langer Auseinandersetzungen zwischen zwei „Parteien“, den Piccinisten und den Gluckisten, die in Paris um den für die Zukunft maßgeblichen Stil im Operngenre kämpften, setzte sich Gluck durch und öffnete Wege, denen Mozart, Beethoven und Berlioz ebenso folgten wie später Verdi, Wagner und Strauss. Die barocke „Nummern-
oper“ wich nach und nach dem durchkomponierten Musikdrama, in dem „die Musik der Dichtung dient, ohne ihre Aktionen zu hemmen oder zu durchbrechen.“ Die Musik mit ihren aufeinander folgenden, stilistisch oder besetzungsmäßig festgelegten Arien, Rezitativen, Ensembles etc. war zu sehr Selbstzweck, doch nun sollte sie das dramatische Geschehen sinnstiftend befördern.
Die Uraufführung von Glucks azione teatrale „Orfeo ed Euridice“ darf in der Operngeschichte als der Beginn eines Epochenwechsels gelten. Nach der Uraufführung von Glucks „Alceste“ in Wien 1767 formuliertee Joseph von Sonnenfels folgende Eindrücke: „Seine Einbildungskraft ist ungeheuer; daher sind ihm die Schranken aller Nationalmusiken zu enge; er hat aus der Wälschen, aus der französischen, aus den Musiken aller Völker eine Musik gemacht, die seine eigene ist.“ Friedrich Schiller war von Glucks „Iphigenia auf Tauris“ so beeindruckt, dass er im Jahre 1800 an Christian Gottfried Körner schrieb: „Noch nie hat mich eine Musik so rein und schön bewegt als diese, es ist eine Welt der Harmonie, die geradezu zur Seele dringt und in süßer hoher Wehmut auflöst.“
Seit ihrer Gründung im Jahre 2005 begeistern die Internationalen Gluck-Festspiele mit ihrem abwechslungsreichen Programm und dürfen sich anrechnen, eine weltweite Gluck-Renaissance initiiert zu haben. Heuer schlägt das Festival einen großen geographischen Bogen von Nürnberg über Fürth, Erlangen, Lauf, Berching und Neumarkt bis nach Bayreuth, wo im faszinierenden Ambiente des Markgräflichen Opernhauses – Weltkulturerbe der UNESCO – Glucks Oper „Antigono“ konzertant aufgeführt wird. Natürlich ist auch eine Stippvisite in Berching im Programm, jenem Ort, in dessen Gemeindeteil Erasbach Christoph Willibald Gluck vor 305 Jahren zur Welt kam und wo er auch mit der Enthüllung einer neuen Statue geehrt werden wird.
Beginn ist jedoch standesgemäß im Opernhaus des Staatstheaters Nürnberg, wo am 27. Juni unter dem Motto „Große Gefühle, Glück und Verhängnis“ eine Gluck-Operngala als festliche Eröffnung stattfindet. Es musizieren die Barockspezialisten der „Armonia Atenea“ unter der Leitung George Petrous, der Countertenor Max Emanuel Cencic und die Sopranistin Karina Gauvin. Dieses Konzert wird am 14. Juli vom Festspiel-Partner Musica Bayreuth übernommen und im Markgräflichen Opernhaus nochmals aufgeführt. Am 28. Juni geht es in Nürnberg weiter mit „Ritter Gluck revisited“, einem Fantasiestück nach E.T.A. Hoffmann, der ein glühender Verehrer des Komponisten Gluck gewesen sein muss, wovon seine Erzählung „Ritter Gluck“ von 1809 Zeugnis ablegt.
Einen Tag später wird die Altistin Sonia Prina im prachtvollen Ambiente des Fürther Stadttheaters mit Bravourstücken aus den frühen italienischen Opern Glucks brillieren, begleitet vom „Orchester la Barocca“ unter dem Dirigat von Ruben Jais. „Heroes in Love“ lautet das Motto. Kammerbesetzungen gibt es am 30. Juni nachmittags im Gluck-Saal des Nürnberger Staatstheaters zu hören, die Moderation obliegt Jörg Krämer. Später geht es nach Erlangen in den schönen Redoutensaal zu einem Erzählkonzert vor allem für Kinder unter der Überschrift „Im Reich der Schatten“. Abends dann heißt es „Gluck Goes Bigband“, und das Sunday Night Orchestra wird die Nürnberger Tafelhalle erbeben lassen.
Der Juli beginnt mit dem Werkstatt-Projekt „Gesucht: Iphigenie“ des Theaters Pfütze (junge MET) abermals in der Tafelhalle. An diesem Tag ist auch der 305. Geburtstag des Komponisten, weshalb am Nachmittag des 2. Juli in Berching eine Feier ansteht. Anderntags wird die Glasharfe zu faszinieren wissen, wenn es um „GLUCKVibration!“ geht und daran erinnert werden soll, dass auch der Meister vom Klang „gestimmter Gläser“ begeistert war. Am 4. Juli wird ein literarisch-musikalischer Abend unter dem Titel „Eurydike und Orpheus“ angeboten, der die Perspektive der Frau hervorhebt. Nach einem Symposium über hohe Männerstimmen und das Kastratenwesen gastiert das Theater Halle am 5. Juli mit einem sich darauf beziehenden Konzert mit Lesung unter dem Titel „Die Nachtigall des Zaren“.
Parallel zur „Antigone“-Aufführung im Bayreuther Markgrafentheater findet am 6. Juli in Fürth ein Open Air Konzert mit den „Fürther Streichhölzern“ statt, das Gluck auf seine Eignung hin für die Filmmusik überprüft. Den Countertenören sind die beiden nächsten Veranstaltungen gewidmet: ein Round-Table mit dem Gesangsstar Valer Sabadus am 7. Juli im Theatercafé der Tafelhalle und ein Konzert mit dem gefeierten Countertenor Philippe Jaroussky und seinem Ensemble „Artasere“. Am 12. Juli lautet das Motto „Von Gluck zu Mozart“, wenn der Geiger, Buchautor und Dirigent Daniel Hope mit seinem Zürcher Kammerorchester in der kleinen Meistersingerhalle auftritt.
Am 13. Juli neigen sich die Internationalen Gluck-Festspiele allmählich dem Ende zu und laden zunächst zu einer Landpartie nach Berching ein, einer musikalischen Wanderung mit der Pocket Opera Company, die sich unter dem Titel „Ombra dell’amore“ abermals dem Mythos von Orpheus und Eurydike widmet. Den Schlusspunkt setzt am 14. Juli – übrigens dem französischen Nationalfeiertag! – eine „Glückliche Reise“ im Erlanger Schlossgarten vor der Orangerie, wo das „Ensemble Philharmenka“, eine Bläsergruppe der Nürnberger Staatsphilharmonie, mit dem Vielreisenden Christoph Willibald Gluck durch Europa zieht. Schon jetzt darf man mit dem Blick auf das Programm feststellen, dass die Vielfalt der Angebote und die Prominenz der Künstler aus der siebenten Ausgabe des Gluck-Festivals ein ganz besonderes Ereignis zu machen versprechen.
Drei Fragen an Intendant Rainer Mennicken:
Rainer Mennicken: Obwohl er schon zu Lebzeiten europäische Wirkung entfaltet hat und mittlerweile als Weltstar der Oper zu sehen ist, scheint Gluck in seiner Heimat immer noch nicht jedermann geläufig zu sein. Das hat mit der Quellenlage zu tun, die weitgehend verschüttet war und erst nach und nach verzögert aufgearbeitet wurde, immer noch wird – und damit, dass eine Reihe seiner Opern noch im barocken Zusammenhang gesehen werden – wo es unzählige Opern gibt, die sich gleichen. Gluck gehörte zu denen, die im 18. Jahrhundert in ihren bedeutenden Werken Unverwechselbarkeit erreichten. Dass er aus der Oberpfalz stammt, ist immer noch nicht überall bekannt – wenn auch die Erasbacher, Weidenwanger und die Berchinger einen gewissen Stolz entwickelt haben. Die Metropolregion sollte sich ihres großen Sohns deutlicher bewusst werden – deshalb gibt es ja unsere Festspiele, die in der aktuellen Ausgabe neue Wege der Popularisierung gehen!
Rainer Mennicken: Erstens gehorchen Terminfestlegungen nicht immer den Bedürfnissen des Veranstalters.
Ein Festival muss, wenn es bestimmte Qualitäten konzentriert präsentieren möchte, auf die Terminkalender der Künstler, der Spielstätten, der Kooperationspartner Rücksicht nehmen.
Zweitens hat das Programm der ION mit dem der Gluck-Festspiele etwa so viel zu tun wie Eiskunstlauf mit Stabhochsprung: In beiden Fällen handelt es sich um Sport... Wenn nun an ein und demselben Abend die Johannispassion und eine wilde Lesung von RITTER GLUCK mit Dominique Horwitz und Norbert Nagel in der Tafelhalle läuft – dann werden für beides Interesse an Musik und deren Wirkung(-sgeschichte)
Voraussetzung für den Besucherzustrom sein. Aber es liegen Welten zwischen den Darbietungen. Ich glaube, wir können das ganz entspannt sehen. Drittens sind die Gluck-Festspiele ja im Unterschied zur ION nicht nur in Nürnberg unterwegs..
Rainer Mennicken: Gluck gehörte zu den ersten großen Komponisten seiner Zeit, die in der Musik ein Mittel der Annäherung nationaler Kulturen sahen. Er hat sich zum Beispiel lange Jahre auf Betreiben Maria Theresias – im Sinne ihrer Friedens- und Bündnispolitik – dafür eingesetzt, die komische Oper französischer Prägung in Wien bekannt zu machen, er hat italienische, französische und deutsche Opern geschrieben, war ständig auf dem Kontinent unterwegs. Wenn wir angesichts derzeit grassierender Verunsicherungen gegenüber den großen Errungenschaften der europäischen Integration nach dem zweiten Weltkrieg seine Klänge, seine Motive reflektieren, dann darf das durchaus als Statement für eine europäische Kultur der Verständigung und Weltoffenheit gesehen werden. Und vielleicht als Reverenz an eine Stadt, die sich für 2025 einiges vorgenommen hat...
Wir bedanken uns bei Rainer Mennicken für dieses interessante Gespräch.