Im Oktober 2019 endete in Ostoberfranken eine Ära. Wilhelm Sieben, der langjährige Direktor des Porzellanikon, Europas größtes Spezialmuseum für Porzellan, wurde nach 35 Jahren leitender Tätigkeit mit einem großen Festakt von Kulturminister Bernd Sibler (CSU) in den Ruhestand verabschiedet. Das Museum, das sich seit 2014 in der Trägerschaft des Freistaates Bayern befindet, brauchte dringend einen Nachfolger bzw. eine Nachfolgerin und wurde in Anna Dziwetzki fündig. Seit 1. Februar 2020 leitet die Diplom-Kunsthistorikerin nun die beiden Standorte in Selb und Hohenberg an der Eger und wurde, kaum sechs Wochen im Amt, mit voller Wucht von der COVID-19-Pandemie überrascht. In der Regel bemühen wir uns recht schnell unseren Lesern neue Kulturakteure in exponierten Positionen vorzustellen. Aus vielleicht nachvollziehbaren Gründen haben wir in diesem Fall zunächst darauf verzichtet, holen dies hiermit aber gerne nach. Wir baten Anna Dziwetzki um ein Interview und lernten eine Frau mit Enthusiasmus und einer Menge Pläne kennen. Mit ihr haben wir uns über die Zukunft des Porzellanikon unterhalten.
Anna Dziwetzki: Es ist eine großartige Aufgabe, die mich wieder zur Kunstgeschichte gebracht hat. Ich habe in den letzten 10 Jahren die Ausstellung „terra mineralia“ geleitet, bei der es grob gesagt um Geologie und Mineralogie geht. Da ich ursprünglich Kunstgeschichte in Italien studiert habe, war da wohl immer der Wunsch da in diesen Fachbereich zurückzukehren.
Anna Dziwetzki: Mein Volontariat habe ich an einem Kunstmuseum absolviert (Städel Museum in Frankfurt Main) aber gleich danach eröffnete mir das ebenfalls in Frankfurt ansässige, naturwissenschaftliche Senckenberg Museum eine berufliche Perspektive. Das war das erste Mal, dass ich überhaupt mit Naturwissenschaft in Berührung kam. Das war Anfang der 2000er Jahre und da waren gerade die Themen der „Menschwerdung“ sehr aktuell. Da konnte ich eine Menge lernen und vor allem eine inhaltliche Kehrtwendung vollziehen. Der Hauptaspekt meiner Tätigkeit im Senckenberg Museum war Marketing und dadurch konnte ich für mich ein dynamisches Berufsbild schaffen. Für den Landschaftsverband Westfalen-Lippe habe ich das Marketing der Ausstellung „Imperium Konflikt Mythos. 2000 Jahre Varusschlacht“ verantwortet. Eine sehr große Sonderausstellung, die unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Merkel stand und meine Aufgabe bestand darin, die Ausstellung zu vermarkten.
Anna Dziwetzki: Natürlich kommt man um eine inhaltliche Auseinandersetzung nicht drumherum. Die Wissenschaftler informieren einen darüber, was sie gerne mit der Ausstellung erreichen möchten und wie sich die Inhalte der Ausstellung in der Werbung niederschlagen sollen. Da müssen sich auch im Marketing diese Inhalte wiederfinden, damit ein stimmiges Konzept zustande kommt. Neben den klassischen Medien wie Flyer, Broschüren und Plakatierung, konnten wir die Inhalte der Ausstellung auch auf eine ganz besondere Weise vermitteln. Wir haben ein römisches Schiff in Hamburg nachbauen lassen und dies auf eine Werbereise durch Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen geschickt.
Anna Dziwetzki: Ja schon, aber für meine nächste berufliche Station, die „terra mineralia“ waren auch meine Erfahrungen im Frankfurter Senckenberg Museum wohl ausschlaggebend. Die dort gesammelten, naturwissenschaftlichen Erfahrungen haben wohl das Auswahlkomitee der TU Bergakademie Freiberg überzeugt.
Anna Dziwetzki: Ja, ein Viertel meiner dortigen Tätigkeit war ebenfalls wieder eher marketingtechnischer Natur. Überhaupt zieht sich das Thema Marketing wie ein roter Leitfaden durch mein bisheriges Berufsleben.
Anna Dziwetzki: Ich kannte Selb oder auch das Porzellanikon vor meiner Bewerbung gar nicht. Wenn ich nach München fuhr, fiel mir immer wieder das Autobahnschild „Porzellanstadt Selb“ auf und ich überlegte schon damals, was es damit auf sich hat. Im Rahmen meiner Bewerbung habe ich die beiden Museen (Selb und Hohenberg a. d. Eger) dann mehrfach besucht und war sofort begeistert. Sowohl die Größe des Museums als auch die Tatsache, dass Selb Porzellan „atmet“, aber auch die Objekte in den Museen selbst, haben mich überzeugt.
Anna Dziwetzki: Es waren verschiedene Themen vorgegeben, wie Digitalisierung, Weiterentwicklung der Sammlung, Weiterentwicklung der Standorte allgemein oder auch Sonderausstellungen und Veranstaltungen. Insgesamt waren es ca. sechs Themen, über die die Bewerber ein Konzept zu erstellen hatten. Dieses musste in der zweiten Bewerbungsrunde vorgestellt werden.
Anna Dziwetzki: Das haben wir nun vor ein paar Wochen in der großen Runde hier im Museum diskutiert und haben die Ideen auch auf Praktikabilität hin überprüft. Wir werden hier dieses Konzept nach und nach umsetzen und haben damit bestimmt für die nächsten fünf bis sieben Jahre eine Menge Arbeit vor uns.
Anna Dziwetzki: Es gibt mittlerweile einen breiten Konsens in der Museumslandschaft darüber, dass der Erfolg einer Museumsleitung sich an anderen Parametern als bisher ausrichtet. Waren es früher die Objekte, die eine große Rolle gespielt haben, letztlich also die Sammlung schlechthin, ist es heute anders. Der Erfolg einer Museumsleitung bemisst sich derzeit eher an der Frage, welche Besucherschichten man für das Museum gewonnen hat. Wie hoch ist mein Bekanntheitsgrad? Wer nutzt das Museum, wie attraktiv ist das Museum, wie wird das Besuchserlebnis inszeniert? Diese Fragen müssen heute zufriedenstellend beantwortet werden, um erfolgreich zu sein. Storytelling ist das Zauberwort. Wir konkurrieren heute direkt mit Freizeitparks, Thermen und vielen anderen Vergnügungsbetrieben, deshalb ist es eminent wichtig unseren Besuchern etwas Besonderes zu bieten.
Anna Dziwetzki: Wir haben eine relativ hohe Empfehlungsrate, die klassischen Werbemedien sind aber auch noch sehr stark. Immer mehr Bedeutung im Vermarktungsmix bekommen die sozialen Medien. Der Standort Selb ist überregional bekannter als Hohenberg, was sicherlich auch an der Einwohnerzahl der beiden Gemeinden liegt. Selb ist wohl stärker auf Familien ausgerichtet, während Hohenberg ideal für Besucher ist, die eine besondere Affinität zu schönem Porzellan besitzen.
Die Marketingaufwendungen wurden in der Vergangenheit eher auf Selb konzentriert, was ich gern ändern möchte. Vielmehr sollte man den Besuchern eine Art Orientierungshilfe an die Hand geben aus der klar hervorgeht, dass es sich bei dem einen Haus (Selb) um die Fabrik handelt und das andere Haus (Hohenberg) die Sammlung beherbergt. Die unterschiedlichen Schwerpunkte der beiden Standorte sollten klar herausgestellt werden. Das ist auch eine unmittelbare Erfahrung, die ich bei meinen eigenen Besuchen gemacht habe. Als ich zuerst in Selb war, habe ich ständig nach der Sammlung gesucht, die sich aber in Hohenberg befindet.
Eigene Werbemedien für den jeweiligen Standort sind sicherlich ein Mittel der Wahl, aber auch, dass beide Häuser in den gemeinsamen Druckschriften entsprechend präsentiert werden. Die ersten Ergebnisse mit den neu gestalteten Medien stimmen uns hoffnungsvoll.
Anna Dziwetzki: Das Hauptinteresse bei den Besuchern galt bisher dem Standort Selb. Meiner Meinung nach hängt dies aber unter anderem daran, dass man den Standort Hohenberg bei der Vermarktung ein wenig vernachlässigt hat. Deshalb waren und sind die Besucherzahlen in Hohenberg niedriger als in Selb. Aber mit einer guten Vermarktung sollte es uns gelingen, diese Zahlen zu steigern.
Anna Dziwetzki: Was das Porzellanikon angeht, so muss insbesondere die Abteilung für Technische Keramik den aktuellen technischen Entwicklungen angepasst werden. Aber auch am Standort Hohenberg müsste man punktuell die Gestaltung im Hinblick auf die Inklusion anpassen. Mit den Kuratoren haben wir darüber schon eine Einigung erzielt und an den Konzepten wird bereits gearbeitet.
Anna Dziwetzki: Das Thema Digitalisierung wird in der Museumslandschaft schon seit Jahren diskutiert, weil sich die Wahrnehmungsgewohnheiten der Menschen verändern, wobei viele glaubten, dass gerade durch die Digitalisierung die Menschen von den Museen ferngehalten werden. Dem ist aber eindeutig nicht so. Digital gut aufgestellte Museen geben deutlich zu erkennen, dass sie modern und offen sind, sich auf den Besucher gut einstellen und damit zusätzliche Gründe liefern genau diese Häuser zu besuchen. Man kommt dem Besucher entgegen, sowohl in der Kommunikation als auch im Service.
Anna Dziwetzki: Digitalisierung ist bei uns ein ganz großes Thema. Es gibt bei uns zwei Aspekte der Digitalisierung. Da ist einmal die Sammlung, die online zugänglich gemacht werden soll. Das ist gerade angelaufen. Dabei geht es nicht nur um das „reine zeigen“ der Objekte, sondern wir möchten gerne Geschichten rund um diese Objekte erzählen. Beispielhaft erst einmal an 100 Exponaten. Bis Oktober dieses Jahres soll ein Teil schon online sein.
Bei dem zweiten Aspekt geht es unter anderem darum, dass sich die Kuratoren der Ausstellungen selbst online bringen. Das heißt die Kuratoren präsentieren kurze Filme zu vielen Anlässen, beispielsweise ein Tagebuch in dem erzählt wird in welchem Stadium sich die Vorbereitungen befinden, was an bestimmten Tagen gemacht wurde usw.. Eine Art Podcasts, die auf YouTube und Facebook laufen, mit wachsendem Erfolg. Zur Ausstellung „Kunst trifft Technik. Keramik aus dem 3D-Drucker“ (läuft am dem 11. Juli in Selb) drehen wir beispielsweise kleine Filme über die Ausstellungsgestaltung. Kleine Momentaufnahmen aus dem Ausstellungsalltag eben. Alle Kolleginnen und Kollegen sind begeistert dabei und ich freue mich auf die nächsten Dinge, die wir uns ausdenken.
Anna Dziwetzki: Nächstes Jahr kommt „More than Bricks“, eine Ausstellung über die Tradition und Zukunft der Architekturkeramik. Dabei wird man als Besucher durch eine Stadt gehen und Fassaden sehen, mit einer Menge interaktiver Stationen, damit die Vermittlung bereits in der Ausstellung stattfindet. Ein Highlight dieser Ausstellung wird eine virtuelle Zeitreise sein, die wir mit Hilfe einer VR-Brille realisieren können. Der Betrachter wird in das Paris des 19. Jahrhunderts versetzt und kann sich ein Porte Monumental anschauen.
Anna Dziwetzki: Da wir noch dieses Jahr unsere Internetseite überarbeiten werden, werden wir uns mit virtuellen Rundgängen durch unsere Häuser sicherlich befassen. Die Ausrüstung dafür haben wir bereits, wie zum Beispiel eine 360 Grad Kamera.
Anna Dziwetzki: Meine Freizeit wird so ziemlich von meinen Kindern bestimmt. Meine ältere Tochter entdeckt gerade die Museen, worüber ich mich sehr freue. Ansonsten lesen (hauptsächlich Fachliteratur).
Frau Dziwetzki, wir bedanken uns sehr herzlich für dieses Gespräch.