Ein Großherzogtum verortet man eigentlich nicht in einem Eifelnest, aber dass Gerolstein ein so bekannter Begriff geworden ist, verdankt es neben dem heilsamen Wässerchen ebenso sehr der köstlichen Operette „La grande duchesse de Gerolstein“ von Jacques Offenbach. Da lohnt es doch, sich erst einmal geographisch zu orientieren. Und genau das tut die Inszenierung Josef E. Köpplinger am Münchner Gärtnerplatztheater gleich zu Beginn, wenn per Zoom auf das Eifelstädtchen zugesteuert wird. Folglich wird der Ort auch bald zur Touristenattraktion ausgerufen, was inszenatorische Folgen hat.
Das Original dieser Operettenversion wurde kurz vor Corona in Dresden präsentiert, jetzt kam es endlich nach München. Und es kommt ziemlich militärisch daher, was seine guten Gründe hat. Pardon, ganz aktuell hat es natürlich schlechte Gründe, aber das konnte Köpplinger noch nicht wissen, genauso wenig, dass eine Militärsatire jetzt so unpassend wie selten zuvor erscheint. Aber ging es Offenbach sowie seinen Librettisten Meilhac und Halévy nicht genauso? Die Operette wurde 1867 uraufgeführt, doch vier Jahre später ließ Bismarck seine Armee in Frankreich einmarschieren.
Da war es durchaus fatal, dass in der „Großherzogin von Gerolstein“ ein ebenso dümmlicher wie erfolgloser General namens Boum den Anführer der französischen Armee gibt. Travestien wusste das Publikum zur Zeit des Second Empire durchaus zu goûtieren, aber es gibt natürlich Momente, in denen der Vorwurf der Wehrkraftzersetzung geradezu auf der Hand liegt. Die Dresdner/Münchner Inszenierung setzt noch eins drauf, wenn sie eine gehörige Portion Queerness beimischt, angefangen mit dem Soldaten Rudi (famos: Giovanni Corrado), der über seiner Uniform noch ein nettes rosa Ballettröckchen trägt und im Übrigen mit seiner tänzerischen Virtuosität fasziniert.
Zum Glück nimmt sich das androgyne Moment in dieser Inszenierung nicht allzu ernst, hier wird nämlich keine Grundsatzvorlesung in Sachen Diversität gehalten. Die Großherzogin ist mit Juan Carlos Falcón als „umgekehrte“ Hosenrolle besetzt, man könnte auch von „Cross-Dressing“ sprechen. Es wirkt geradezu befreiend, wenn angesichts der aktuellen Debatten mit Geschlechterrollen so nonchalant umgegangen wird. Und es ist einfach witzig, wenn eine eigentlich fällige Nacktszene beim Schaumbad mit augenzwinkerndem Charme umgangen wird. Matteo Ivan Raši? macht das sängerdarstellerisch bravourös.
Die Dramaturgen Kai Weßler und Michael Alexander Rinz haben viele kleine Gags und Gesten eingebaut, die punktgenau zur Musik passen und der Langeweile keine Chance lassen. Natürlich gibt es auch Aktualisierungen im gesprochenen Text, die vom Klimawandel bis zum Tourismus reichen. Überhaupt, Gerolstein als Touri-Destination, darauf muss man erst einmal kommen. Ulrike Dostal als Fremdenführerin bringt ein ums andere Mal eine Gruppe von Touristen auf die Bühne, die das Geschehen neugierig beäugen und dann schnell wieder verschwinden.
Eine ganze Reihe weiterer Mitwirkender müsste man noch nennen, begnügen wir uns hier mit den vorzüglichen Personifikationen von Prinz Paul durch Daniel Prohaska und Wanda durch Julia Sturzlbaum. Das Bühnenbild von Johannes Leiacker geizt nicht mit großformatigen Ölgemälden à la David aus der endnapoleonischen Zeit. Das macht die Inszenierung sehr farbig, ebenso die Kostümierung Alfred Mayerhofers. Farbig klingt es auch aus dem Orchestergraben, denn das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz spielt unter der Leitung Michael Balkes geradezu mitreißend und stets launig. Insgesamt a große Gaudi! Weitere Termine noch im März.