„Hier hat Luther disputiert, Bach komponiert, Goethe studiert und Napoleon kapituliert“, heißt es über die Stadt an der Pleiße. Neben einer bemerkenswerten Geschichte hat „das neue Berlin“ eine außerordentlich heterogene Kulturlandschaft zu bieten. Aufstrebende Komponisten arbeiten im Gleichklang mit dem großen Rundfunk-Sinfonie-Orchester und lassen sich zu experimentellen Stücken inspirieren, die Theater-Szene zeigt klassische Inhalte und moderne Inszenierungen und auch das Kunsthistoriker-Herz fühlt sich an diesem mondänen Ort zu Hause.
So lädt das Museum der bildenden Künste, ein 36 Meter hoher gläserner Kubus, welcher sich im belebten Zentrum inmitten von heimeligen Kaffeehäusern und ausgefallenen Boutiquen befindet, dazu ein, über 500 Jahre Kunstgeschichte hautnah zu erleben. Die Graphische Sammlung, die Skulpturensammlung sowie die Gemäldesammlung trumpfen mit Werken namhafter Künstler von Frans Hals und Lucas Cranach d.J. über Gianlorenzo Bernini und Balthasar Permoser bis hin zu Caspar David Friedrich und Max Beckmann auf. Was das 1858 gegründete Haus jedoch grundlegend von anderen Museen unterschiedet, ist das deutliche regionale Augenmerk. Leipziger Künstler sind hier stark vertreten und auch die Kunst der DDR prägt die Sammlung des MdbK maßgeblich. Dieser lokale Schwerpunkt zieht sich wie ein roter Faden durch alle Sammlungen und spielt auch bei der Auswahl wechselnder Ausstellungen eine wesentliche Rolle.
So ist bis zum 19. August eine Retrospektive des in Leipzig wirkenden Künstlers Arno Rink mit dem Titel „Ich male“ zu sehen. Rink konzipierte diese Exposition selbst mit, bevor er Ende letzten Jahres verstarb. 65 Gemälde, großformatige Zeichnungen wie auch biographische Photographien und Dokumente gilt es hier zu bestaunen. Als Wegbereiter der Neuen Leipziger Schule mit charakteristischen Konturen und waghalsigen Kompositionen gelang es Rink, figürliche Darstellungen auf Leinwände zu bannen, die aus einer anderen Zeit zu stammen scheinen, jedoch stets eigens interpretiert und aus moderner Perspektive dargeboten sind. Ohne Angst vor Pathos brachte der Künstler dabei eigene Erfahrungen in seine Werke ein.
Auch Bastian Muhr repräsentiert bis zum 17. Juni die Riege der Leipziger Künstler im MdbK. Eigens für die Ausstellung „Kante“ schuf er seine bisher größte Zeichnung und gestaltete in mehrwöchiger Arbeit die zentrale Halle in der ersten Etage mithilfe eines Kreidestiftes um. Das Ergebnis spiegelt die typische Arbeitsweise des Künstlers wider, dessen Werk durch Linien und Punkte geprägt wird. Mit reduzierten Mitteln und dem Repetieren von Formen erschafft Muhr ein spannungsreiches Wechselspiel zwischen Sehen und Nichtsehen, Bewegung und Statik sowie Leere und Dichte.
Bis zum 16. September ist überdies der lange als Enfant Terrible der zeitgenössischen chinesischen Photographie geltende Künstler Wang Qingsong mit der Ausstellung „The Great Wall?“ vertreten. Qingsong kombiniert traditionelle Techniken der chinesischen Malerei mit einer Protesthaltung gegen jeglichen offiziellen Charakter und kreierte explizit für das MdbK sein Monumentalwerk „The Great Wall?“.
Ferner stellt das Museum der bildenden Künste ein Bühnenbild des Leipzigers Titus Schade aus, welches er für die Inszenierung von Elfriede Jelineks „Wolken.Heim“ am Schauspiel Leipzig anfertigte, in Kombination mit Leinwandarbeiten des Malers. Die erste virtuelle Skulptur Paul McCarthys ist ebenfalls vertreten und „Blind Adam in Trance“ zeigt bis zum 19. August das Schaffen des blinden Künstlers Blind Adam, das sich entlang der Grenze zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem entfaltet.
Unweit des MdbK befindet sich ein weiteres sehenswertes Leipziger Ausstellungshaus: Das GRASSI Museum. Der Gebäudekomplex entstand von 1925 bis 1929 und gehört somit zu den wenigen Museumsneubauten der 1920er-Jahre. In seiner sachlich ausgeführten Eisenfachwerkkonstruktion mit sparsam eingesetztem ornamentalem Bauschmuck aus der Formenwelt des Art Déco gruppiert sich der Baukörper um zwei große, begrünte und zum Verweilen einladende Innenhöfe. Hinzu kommt der historische Johannisfriedhof, der sich an das Areal anschließt und zum Lustwandeln verlockt. Tritt man durch die Rundbögen am Eingang des GRASSI Museums, eröffnet sich sogleich eine andere Welt. Der Trubel der Stadt bleibt vor den Pforten, hier herrscht Ruhe, beinahe Idylle und der Besucher wird sogleich von Kunst umfangen. Von angewandter Kunst.
Was genau verbirgt sich im Fall des GRASSI hinter diesem Begriff? Drei Museen sind hier unter einem Dach vereint und befassen sich mit Kunsthandwerk, Völkerkunde und Musikinstrumenten.
Das letztere Thema greift das Museum für Musikinstrumente auf und bildet Deutschlands größte Musikinstrumentensammlung. Doch nicht nur 5.000 Musikinstrumente und detailreiche Einblicke in die Aufführungspraxis erwarten den interessierten Besucher, hier wird Musikgeschichte für alle Sinne erlebbar. So steht ein Klanglabor zur Verfügung, in welchem Instrumente aus aller Welt angefasst und ausprobiert werden können. Überdies wird die Musik vergangener Jahrhunderte anhand von Führungen und Konzerten wieder zum Leben erweckt. Wer sich also schon immer gefragt hat, wozu stumme Instrumente benötigt werden, wo der Orgelwolf haust oder wie es in himmlischen Sphären tönt, wird im Museum für Musikinstrumente Antworten auf diese und viele andere Fragen finden.
Das Museum für Völkerkunde hingegen lädt zu einer Reise durch alle Kontinente der Erde ein. Farbenfrohe Kleidung, Plastiken, Gefäße, Waffen und Schmuck werden hier präsentiert. Unter dem Thema „Rundgänge in einer Welt“ führt der Rundgang durch das Museum von Asien über Europa und durch den Orient sowie das subsaharische Afrika, Amerika, Ozeanien und schließlich Australien. Dabei werden Themen aufgegriffen wie der sibirische Schamanismus, die orientalische Art, Schmuck zu tragen wie auch der tibetische Buddhismus. Die Dauerausstellung, die immerwährend durch wechselnde Ausstellungen ergänzt wird, zeigt sowohl verschiedene künstlerische Exponate aus fremden Ländern wie auch den Alltag in verschiedensten Kulturen der Welt. Auf diese Weise werden Kunstkenner sowie die Besucher, die sich primär für Völkerkunde interessieren, gleichermaßen angesprochen.
Genauso geeignet für Kunst-, Geschichts- und Kulturinteressierte nimmt sich das Museum für Angewandte Kunst aus. Kunsthandwerk, Glasmalerei, Goldschmiedekunst gehören im Studium der Kunstgeschichte zu den unbeliebtesten Themen, die Vorlesungen ziehen sich dahin, die Objekte erscheinen im Vergleich zu abenteuerlichen Skulpturen und abstrakten Gemälden fad. Das GRASSI Museum schafft es jedoch, seine Exponate auf überaus exquisite Weise anhand eines kurzweiligen Konzeptes zu präsentieren und seine Besucher für diese Themen zu begeistern. Nicht nur die ausgestellten Stücke sind wahre Kostbarkeiten, auch ist die Präsentation sehr adäquat. In Glasvitrinen sind auch die kleinsten Objekte übersichtlich dargeboten und durch Beschriftungen ausführlich beschrieben. So staunt man nicht nur über die Kunstfertigkeit früherer Jahrhunderte, sondern bildet sich weiter. Wussten Sie beispielsweise, dass im Mittelalter Besteck nicht Teil der Tafel war, sondern ein privater Besitz? Daher stammt der Ausdruck „Den Löffel abgeben“, da dieser weitervererbt wurde, wenn man starb. Oder sind Sie bereits im Bilde darüber, dass der Barock einen Wandel der Trinksitten mit sich brachte, da die Deutschen im zweifelhaften Ruf maßloser Trunksucht standen, gegen die sogar Reichsgesetze erlassen wurden? So werden passend hierzu reich verzierte Trinkgefäße präsentiert, die häufig ein Monogramm trugen und anhand ihrer Größe auf die Trinkleistung des Besitzers schließen ließen.
Die mittelalterlichen Räume halten neben Besteck auch bunte Glasscheiben mit Heiligendarstellungen, sakrale Schnitzplastiken und Altäre bereit. Die Rokoko-Räume widmen sich liebevoll gestaltetem Porzellan und Chinoiserien. Der Klassizismus wird u.a. durch einen imposanten Gobelin repräsentiert, der eine solch detailreiche Darstellung der Schule von Athen aufweist, dass es kaum glaubhaft erscheint, hier tatsächlich einen Teppich zu sehen, so fein sind die Gesichtsausdrücke und Gesten der Protagonisten gewoben.
Weiter geht es chronologisch mit Biedermeier und dem Historismus, es folgt ein umfangreicher Ausstellungsteil, der sich Asien widmet und sodann thematisieren einige Räume den Jugendstil und das zeitgenössische Kunsthandwerk. Hier wandelt man durch möblierte Räume und erblickt Kuriositäten aus dem Alltag der 1960er-Jahre bis zum heutigen Tag. Den Schlusspunkt der Dauerausstellung bildet eine interaktive 360 Grad-Rauminstallation namens „Sinneslandschaften“ mit experimentellen Projektionen, in denen man sich selbst verlieren kann.
Zusätzlich wird eine Reihe an wechselnden Ausstellungen geboten. So ist bis zum 14. Oktober eine Exposition zu sehen, die sich dem Reichtum und der Vielfalt floraler Motive in Kunsthandwerk und Design widmet. Ferner begeistert die Niederländerin Carolein Smit bis zum 30. September mit ihrer „Amour fou“. Hier treten keramische Skulpturen in einen Dialog miteinander, um scheinbare Gegensätze zu verbinden und mythisch-phantastische Verästelungen der Kunstgeschichte aufzudecken.
Darüber hinaus befasst sich das GRASSI bis zum 7. Oktober mit der dänischen Formgestaltung seit 1900. „Made in Denmark“ greift Skønvirke, die dänische Ausprägung des Jugendstils, auf und legt dar, inwiefern dänische Entwerfer die Produkt- und Wohnkultur ganzer Generationen prägten.
Außerhalb dieser beiden Museen hat Leipzig eine wahrlich reiche und historisch wertvolle (Kultur-)Landschaft zu bieten. Ein besonderes Highlight ist nicht zuletzt das Restaurant Auerbachs Keller, in dem eine Szene aus Goethes „Faust“ spielt. „Der Worte sind genug gewechselt/Laßt mich auch endlich Taten sehn/Indes ihr Komplimente drechselt,/Kann etwas Nützliches geschehn.“ In diesem Sinne, genug des Lobes auf Leipzig, überzeugen Sie sich am besten selbst.
Fotocredits:
Die wieder hergestellte Pfeilerhalle im Grassi-Museum Leipzig, Foto © Martin Geisler, Wikimedia Commons
Grassimuseum in Leipzig, Foto © Regina Littig