Seit einigen Jahren publiziert der Emons-Verlag Bücher, die mit der originellen Idee um Aufmerksamkeit buhlen, die Zahl 111 im Titel zu führen. „111 Kirchen in der Oberpfalz, die man gesehen haben muss“, „111 Skipisten, die…“, „111 Badeplätze, die…“ etc. Das mag als pfiffiger Marketing-Einfall durchgehen, aber letztlich kommt es auf die Qualität des Gebotenen an. Und die ist höchst erfreulich, wie der jüngst erschienene Band „111 Orte im und am Bamberger Dom, die man gesehen haben muss“ eindrucksvoll bestätigt.
Dass liegt nicht zuletzt an der Nähe der Autoren zum Ort, der hier zur Debatte steht. Norbert Jung ist Domkapitular im Erzbistum Bamberg und war früher sogar summus custos des Domes, kennt also die Örtlichkeiten – und ihre Geschichte – so gut wie kaum sonst jemand. Harry Luck ist verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit im Erzbistum und als Journalist und Autor bestens vertraut mit dem Publikationswesen. Die qualitätvollen Photos hat mit Dominik Schreiner ein Photograph und Redakteur beim Erzbistum Bamberg beigesteuert.
Natürlich könnte man angesichts der kaum noch überschaubaren Literatur zum Bamberger Dom die Frage „Wozu noch ein Domführer?“ stellen, doch schon nach der Lektüre der ersten Beiträge erübrigt sich das. Dieser Führer berücksichtigt nämlich bei vielen Themen – so beispielsweise bei den textilen Objekten – neueste Forschungsresultate, ist also in mancherlei Hinsicht aktuell. Im Übrigen enthält er diverse Betrachtungen, die über den jeweils behandelten Gegenstand hinausgehen und auch kritische oder skeptische Untertöne enthalten.
Manche Texte enthalten kurze theologische oder historische Exkurse, die man selbst dann gerne „mitnimmt“, wenn es um relativ bekannte Dinge geht. Sehr angenehm, weil von Gelassenheit und ökumenischem Verständnis geprägt, ist der Ton bei jenen Themen, die konfessionelle Berührungspunkte aufweisen. So ist es durchaus nicht selbstverständlich, dass man den Schweden beim Thema Hexenverbrennungen – das bei der Betrachtung des Wappens von „Hexenbrenner“ Fuchs von Dornheim zwangsläufig erwähnt werden musste – das Verdienst von deren Beendigung zugesteht.
A propos Hexenwahn: sehr berechtigt ist der Hinweis im Text über den Erzbischof Michael von Deinlein, dass dieses dunkle Kapitel Bamberger Geschichte von der Kirche keineswegs verschwiegen wurde, wie immer wieder gerne behauptet wird. Der Mann war nämlich auch Wissenschaftler und schon in seiner Funktion als Vorsitzender des Historischen Vereins Bamberg der Aufklärung und Wahrheit verpflichtet.
Manch augenzwinkernde bzw. ironisch gefärbte Bemerkungen verleihen den Texten stilistisch einen feuilletonistischen Charakter, der häufig genug auf eine amüsante Schlusspointe zusteuert und schon deshalb zum Weiterlesen animiert. Ob man z.B. an die Originalität von „Schneewittchens Grabstein“ glauben soll, der sich seit wenigen Jahren als „märchenhaftes Ausstellungsstück im Kreuzgang“ befindet, lässt der Text nach einem kurzen Streifzug durch die diesbezügliche Legendenbildung offen. Im Beitrag über das Verkündigungsrelief ist gar die Kenntnis der „Bravo“-Aufklärungsseite erkenntnisfördernd…
Mit besonderer Neugier schlägt man die Seite über das Skulpturenpaar Synagoga/Ecclesia auf, zumal angesichts der jüngsten Debatten über die angeblich „judenfeindliche“ Ausprägung der Synagoga. Der Text argumentiert behutsam und spricht von „Herabwürdigung“, benutzt aber mit Blick auf andere Darstellungen auch den Begriff „Judenfeindlichkeit“. Vielleicht sollte man sich künftig auf „antijudaistisch“ einigen, denn judeophob ist die Synagoga keinesfalls. In Magdeburg hat sich dieser Begriff bei einem Vergleichspaar im dortigen Dom durchgesetzt.
111 Orte bzw. Objekte, das ist eine stattliche Zahl, weshalb dieses Buch durchaus als fast schon enzyklopädischer Führer durch Bambergs Kathedrale gelten darf. Doch es verschließt sich auch nicht dem unmittelbaren Umfeld des Gotteshauses, so dass es darüber hinaus als historisch- topographischer Wegweiser für den gesamten Domberg – bzw. den Hügel mit der alten Trutzburg der Babenberger – dienen mag. So gibt es Spaziergänge hinüber zur Residenz, zur Alten Hofhaltung, zu den Domherrenhöfen, zum Rotenhan’schen Palais oder zur Domschule.
Nicht zu vergessen das Diözesanmuseum, das mit mehreren besprochenen Exponaten zu einem baldigen Wiederbesuch mahnt. So oder so ist das Buch auch für all Jene, die sich in der Gewissheit einer intimeren Kennerschaft des Bamberger Domes wähnen, eine willkommene Einladung zur Wissensvertiefung. Wöge es nicht ziemlich schwer, so würde man es gerne bei jedem Dombesuch als Vademecum bei sich tragen.
Einen Vorschlag für weitere Einträge hätten wir noch, quasi als Nummer 112: der archaische Klang der Kunigundenglocke, die seit über 800 Jahren alldonnerstäglich abends (18 Uhr) ihr „Angstläuten“ über der unteren Bergstadt verbreitet. Ein Faszinosum für jeden Domplatzüberquerer! Aber die kann man halt nur hören, nicht sehen… Erwerben kann man diese lesenswerte Veröffentlichung des Emons-Verlages im örtlichen Buchhandel zum angemessenen Preise von 18,00 €, die ISBN-Nummer lautet 978-3-7408-1746-6.