Neben den zahlreichen Inszenierungen, die während der Bayerischen Theatertage in den vier großen Spielstätten stattfinden, wird auch der öffentliche Raum mit Aufführungen belebt. Um das Theater und den Horizont noch mehr zu öffnen und zu erweitern, hilft es manchmal unkonventionelle Wege zu gehen und die Position des Querdenkers einzunehmen. Im Falle der Bayerischen Theatertage heißt das, sich mit Hilfe der verschiedensten Spielarten quer durch den Fürther Innenstadtraum zu denken und zu bewegen. Das ermöglicht eine Reihe von Veranstaltungen, angefangen bei Kunstperformances, die ihnen bei einem Spaziergang durch Fürth auch zufällig begegnen, über Theateraufführungen bis hin zu szenischen Lesungen. Fast alle Inszenierungen werden zweimal angeboten, Überschneidungen wurden weitgehend vermieden. Nicht nur der (in der Regel) freie Eintritt ist ein Grund, dieses Angebot vollends auszuschöpfen – vor allem das, was da geboten wird, macht neugierig.
Walk Act / Szenischer Rundgang
So laden verschiedene Spaziergänge durch die Stadt ein, neue Wege zu gehen. Der Choreograph Willi Dorner hat mit „Bodies in Urban Spaces“ ein Kunstprojekt entwickelt, bei dem sich ein Ensemble aus Tänzerinnen und Tänzern aus der Region durch die Innenstadt bewegt und sich bunt verkleidet an den verschiedensten Stellen – seien es Türnischen, Treppenabsätze oder Parkbänke – zu Körperskulpturen aufbäumen und so für eine ganz andere Wahrnehmung dieser zumeist unscheinbaren Orte sorgen. Veranstalter ist das Kulturamt Fürth.
„Linda goes BTT“ heißt ein Walk Act der Tänzerin und Choreographin Susanna Curtis, die in der Inszenierung die pummelige, etwas schräge Singlefrau Linda spielt. Linda bemerkt auf ihrem Weg durch die Stadt die vielen Leute, die scheinbar auf dem Weg ins Theater sind und hofft bei dieser Gelegenheit selbst entdeckt zu werden.
Noch verrückter scheint da der Walk Act „Easy Walk“ von rosamund, Claus Franke und dem Streetperformance-Kollektiv Hä*Wie!?. „Hä, wie?“ ist auch die erste Assoziation bei der Beschreibung des „Easy Walk“, der als eine Komposition mit dem roten Teppich ausgewiesen wird. Es soll nur so viel verraten werden: Der rote Teppich weist den Weg ins Draußen, da wo sich Breakdance, Streetperformance und Bildende Kunst ganz wunderbar vereinen lassen. Im Anschluss an den „Easy Walk“ folgt der „Easy Talk“.
Ganz anders der szenischer Rundgang „Helden werden Helden“ der studierten Theater- und Medienwissenschaftlerin Jutta Körner aus Erlangen: Bei ihr wird Mut und Heldentum noch großgeschrieben. Passend zum Thema der bayerischen Theatertage 2018 verliert das Universum sein Grün. Es verlangt Mut, dieser Entwicklung einen Riegel vorzusetzen, denn Schuld an diesem Übel ist Superschurke Yellow Mist. Drei Superhelden/-heldinnen stellen sich dem übermächtigen Gegner in der letzten grünen Stadt. Alle Mutigen dieser Welt sind aufgefordert, dem szenischen Rundgang zu folgen.
Die Künstlerinnen Regina Pemsl und Anja Schoeller sind zusammen das forum 007. Sie wollen gemeinsam mit dem Fürther Publikum Zukunftsvisionen für konkrete Orte in der Stadt entwickeln. Mittel zum Zweck ist ihnen dafür das Kunstprojekt „Gwaaf Hogger“. Frei aus dem Fränkischen ins Deutsche übersetzt bedeutet das Geschwafel-Hocker und meint auch genau das. Die mobilen Stadtmöbel sind Bühne und Kulisse zugleich und wollen zur Interaktion und zum Gespräch einladen. Das Künstlerduo zieht von Ort zu Ort, ein Einstieg ins Geschehen ist jederzeit möglich.
Performance
Zum Experimentieren eignet sich auch im Theater hervorragend die Spielart der Performance. Sich der Umgebung zu öffnen und sie mit allen Sinnen wahrzunehmen, darum geht es auch in „Winden“ (Teil1-3) des Labels WildeVerwandteProduktionen. An drei verschiedenen Orten werden die Zuschauer zu Akteuren. Durch einfache Handlungen werden sie Teil einer Choreographie. Es entsteht eine Art Bewegungschor, der neue Sichtweisen eröffnet.
Das Berlocken Theaterkollektiv experimentiert hingegen mit geometrischen Formen und untersucht die theatralen Berührungspunkte zwischen Körper und Architektur. „Form der Frage # site specific“ nennt sich diese Performance. Konkret heißt das: Umrahmt von riesigen Holzrahmen bewegen sich die Akteure durch die Fürther Innenstadt. Man sehe und staune.
Einem sehr aufgeheizten Thema nehmen sich die Fürther Künstlerin Anna Poetter und die Berliner Regisseurin Monika Dobrowlanska an. Mit ihrer Performance „Kopftuch-Debatten“ widmen sie sich eben diesen und versuchen der Frage auf den Grund zu gehen, warum gerade das ganze Land über das Für und Wider von Kopftüchern debattiert. Für das Projekt haben sie Interviews mit unterschiedlichen Frauen geführt und arbeiten mit dem dabei entstandenen Material.
Die performative Versuchsanordnung mit dem Titel „Scheitern an der Themaverfehlung“ ist eingebettet in die Ausstellung „Information über Information“ von Lucia Hufnagel, Anna Poetter und Paul Weigel. Was genau es damit auf sich hat, gilt es, selbst in Erfahrung zu bringen. Verraten sei nur, dass es etwas mit „Alice hinter den Spiegeln“ zu tun hat.
Schauspiel
„Cardiac Countdown“ ist eine Inszenierung von und mit Katja Kendler, Philipp Fleischmann, Lisa Sophie Kusz und Helwig Arenz. Zwei Testpersonen werden an eine „Herzschlag-Verschwendungs-Maschine“ angeschlossen, die ihre bis zu ihrem statistisch errechneten Tod verbleibenden Herzschläge herunterzählt. Um ihr Überleben zu sichern, sollen sie gemeinsam die „einzig wahre (Über)Lebensstrategie“ finden. Hinderlich daran ist nur die nicht ganz unbedeutende Tatsache, dass die beiden völlig unterschiedliche Ansätze verfolgen. Während er auf eine gesunde und übervorsichtige Lebensweise setzt, will sie das Leben in vollen Zügen und um jeden Preis auskosten. Auf die Lösung des Problems kann man gespannt sein.
Das Open Border Ensemble der Münchener Kammerspiele wird von der Kulturstiftung des Bundes gefördert und wurde gegründet, um sich mit Theaterschaffenden aus aller Welt künstlerisch und kulturell zu vernetzen. Die aktuelle mobile Revue „Miunikh-Damaskus“ bringt dabei die beiden Städte München und Damaskus zusammen und lässt sie nicht zuletzt (zu einem Theaterstück) verschmelzen.
Eine dritte Inszenierung macht Lilith, die wegen ihrer Unangepasstheit aus dem Paradiesgarten vertriebene Gottheit, zum Thema des Geschehens. Sechs junge Erwachsene holen Lilith ins Hier und Jetzt und erzählen sechs verschiedene Versionen über eine junge Frau, die wie Millionen vor ihr versucht, allen Widrigkeiten zum Trotz ihren eigenen Weg zu gehen und zu meistern, bis sie wieder „on line“ ist. „Lilith@online“ von Paul Pourveur bewegt sich fernab der klassischen Erzählweise und ist deshalb umso spannender.
(Szenische) Lesungen
Freunde des geschriebenen Wortes können sich auf drei Leseereignisse freuen. Natürlich kann man auch hier sicher sein, dass es keine 08/15 Lesungen geben wird. Das lässt schon die erste Lesung mit dem Titel „Der letzte Erlass oder wie man Utopien aufräumt“ vermuten. In dieser szenischen Lesung, die selbst eine Utopie ist, wurden fast alle Ämter abgeschafft. Die letzten zwei übriggebliebenen Beamten (Antragsprüfer des Amts für Utopie) haben nur noch eines zu tun: aufräumen. Und zwar die Kisten und Kartons mit den Utopien der vergangenen Jahrhunderte. Dabei stellt sich die Frage, welche Utopien bleiben dürfen und welche davon ausgedient haben. Eine spannende Lesung von Jutta Körner.
Ziemlich lässig wird es mit Schauspielerin Janina Zschernig beim „Tresenlesen“, denn sie säuft mit Charles Bukowski. In der Reihe „Tresenlesen“ des Theaters Erlangen lesen Ensemblemitglieder aus ihren Lieblingstexten in Bars und Kneipen. Janina Zschernig liest aus Briefen, Zeitungskolumnen und Stories aus Bukowskis Nachlass – untermalt mit Musik von Tom Waits.
Die „Promenadenmischung“ ist nicht etwa ein befelltes Tier, sondern vielmehr ein Badeassistentinnentrio, das an der Fürther Uferpromenade zu szenischer Wortwellness einlädt. Denn die drei Damen, die eigentlich zwei Schauspielerinnen und eine Kostümbildnerin sind (Rebecca Kirchmann, Christine Mertens, Angela Loewen), verbinden gerne das Angenehme (Lesen) mit dem Angenehmen (Wellness).
Workshops für Kinder
Das Papiertheater Nürnberg macht anlässlich der Bayerischen Theatertage mit dem weltweit angelegten Projekt „Konferenz der Kinder“ Halt in Fürth. Vierteljährig geht es um die Frage, wie sich Kinder in der heutigen Welt und aktuellen Zeit fühlen. Dass den Kindern dieser Welt die Zukunft gehört, klingt allzu oft floskelhaft und abgegriffen. Bei der „Konferenz der Kinder“ aber sollen die Kinder tatsächlich den Ton angeben und mit Hilfe eines Fragebogens äußern, was sie von den Erwachsenen für eine lebenswerte Zukunft fordern. Am Ende des zweiteiligen Workshops (11. und 12. Juni) gehen die jungen Teilnehmer mit ihren Botschaften auf die Straße und präsentieren ihre Ergebnisse. Teilnehmen können alle Kinder und Jugendlichen von 10-17 Jahren. Eine Anmeldung zu Teil 1 ist unter
katja.hofmann@fuerth.de erforderlich.
…und mehr
Theater und Jazz haben mehr miteinander gemein, als es vielleicht vermuten lässt. Sowohl im Jazz, als auch im Improvisationstheater geht es um die spontane künstlerische Interaktion. Zumindest in der Theorie liegt diese Vermutung nahe. Wie es sich in der Praxis verhält, zeigt das in Bamberg beheimatete “Ensemble Ernst von Leben”, das sich ganz dem Improvisationstheater verschrieben hat und nun, begleitet von einer Jazz-Combo, das Experiment “Theaterjazz” wagt. Jeder der möchte, ist eingeladen bei Schauspiel und Musik mitzugrooven.
Nicht nur groovy, sondern auch tanzbar ist der “Open Air Community Dance” auf dem Vorplatz des Kulturforums. Jeder, der Spaß am Tanzen hat, ist eingeladen sich locker zu machen und sich gemeinsam mit anderen Tänzern in den Formen des Modernen Tanzes zu bewegen.
Fotocredits:
Willi Dorner: Bodies in Urban Spaces, Foto © Lisa Rastl
Gwaaf Hogger, Foto © Anja Schoeller
Theaterjazz, Foto © Privat